Rückversetzt ins Niemandsland

Ben Anastas' witziger Roman über eine mitteleuropäische Zwischenkriegsseele - leider verdeutscht

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Am Fuß des Gebirgs" liegt der Grundlsee, wo der neurotische Prager Schmetterlingsjäger Arno seine Sommerfrische verbringt. Und ein Herumgrundeln in den Abgründen kleinbürgerlicher Zwischenkriegs-Seelen ist es auch, das uns der Amerikaner Ben Anastas, Jahrgang 1969, als bodenständige Variante des mondänen Zauberbergs anbietet, wo sich Vorkriegseuropa bei Thomas Mann sein letztes Stelldichein gegeben hatte.

Anastas' mit beachtlichem Einfühlungsvermögen in lokale Realien und Topografien vorgestellte Seelenschau findet zur Hälfte in Prag, zur Hälfte in besagter Pension statt, die alltagserschöpfte Mitteleuropäer und neureiche Amerikaner/inn/en beherbergt. Dort im Salzkammergut weilen unter einem Dach und speisen an einem Tisch verschrobene Zeitgenossen wie Egon Friedell und eine Auswahl amerikanischer Originale (- die Amerikaner wahrscheinlich wieder erkennen...). Arno, der sich unter der Fittiche seiner Psychoanalytikerin Frau Ochs auf Erholung begeben hat, trifft dort die gleichaltrige Schriftstellerin May, in die sich der junge Angestellte, von Mutter und Schwester in Liebesgeschichten und Heiratssachen als hoffnungsloser Fall eingeschätzt, verliebt. Vergeblich, denn nach einem Jahr erwartungsvollen Briefwechsels mit New York erweist sich, dass die ambitionierte Selbstverwirklicherin mit dem praktischen Menschenverstand die Verrücktere und Unberechenbarere von beiden ist. Arnos bodenständige Erwartungen an die Liebe werden enttäuscht - in Anbetracht der politischen Katastrophe, die bald über Arno und die Seinen hereinbrechen würde, marginal. - Soweit zum Kulturschock, der in der Pension der Eugenie Schwarzwald, wo alle logieren, von Kafkas deutsch-jüdischen Landsmann ausgestanden werden muss.

Umso größer ist freilich jener, den der - original amerikanische - Roman durch seine Rückverpflanzung nach Europa erleiden muss: Es ist Benjamin Anastas' dritter, bei Jung und Jung deutsch erschienen. Doch im Unterschied zum vorher gehenden, zu Recht erfolgreichen Roman "Die merkwürdige Geschichte vom Verschwinden eines Pastors", den Silvia Morawetz bravourös aus einem verschachtelten amerikanischen Kleinstadtstil kirchengemeindlicher Umständlichkeit in eine Art deutsches Vorstadtbarock aus Nebensatzreihen umgeschichtet hat, hält "Am Fuß des Gebirgs" seiner gewaltsamen Umsiedlung aus der böhmisch-österreichischen Heimat der Dreißigerjahre ins Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht Stand: Die Rückverpflanzung ist hier in den Schoß der falschen Muttersprache erfolgt. Mit dem Prager Deutsch, das Arno und die Seinen bei Anastas sprechen, kann man nicht warm werden - und darum auch nicht der Leser mit dem Roman. Man hätte nur Herta Müller auf den Mund schauen müssen, schon wüsste man, wie Arno und seine Familie sich äußern - mitteleuropäisch deutsch.

Dabei hat Ben Anastas mit großer Liebe ins Detail den Lebensraum seines Protagonisten gestaltet: Straßenbahnen und Auflugslokale, Essgewohnheiten und Tratschereien innerhalb der jüdischen Gemeinde rekonstruiert er mit bemerkenswertem Vorstellungsvermögen. Dagegen der Übersetzerin geht jegliches Gespür dafür ab, dass sich Kulinarismen und andere Gemütlichkeiten nicht mittels Englisch-Deutsch-Wörterbuch herüber wuchten lassen: Mag der böhmische Apfelstrudel im Amerikanischen auch in slices geschnitten worden sein, wer ihn vor Augen hat, würde ihn nie in "Scheiben" schneiden wie Silvia Morawetz. In Prag lässt sie "Palatschinken" als solche bestellen, im Salzkammergut werden selbige von den Bauerndirndln "Pfannkuchen" genannt - ohne dass der Übersetzerin die eierfladenbanale Deckungsgleichheit des pan-cake klar sein dürfte. Ich bin mir sicher, der "Straßenfeger" hieß in Prag "Straßenkehrer" und dass dort niemals "Brötchen" gebacken worden sind. Ebenso kennt die böhmische Küche - ein Blick ins Kochbuch genügt - Grammeln nicht als "Schweinegrieben" und die böhmische "buchtla" heißt deutsch immer noch Buchtel und hat auch niemals "Dampfnudel" geheißen - steht auch im Original "doughnut". Nachvollziehen lassen sich Morawetz' Lieblosigkeiten nicht - da uns der Verlag den Namen des Originals im Impressum vorenthält. Wie auch immer bei Anastas stehen mag - in jenen trefflich von ihm ausgemalten Breitengraden Europas nannte man Gastwirtschaften niemals "Kneipen" und ist dort - wie im gesamten Süden und riesigen Südosten der deutschen Sprache - mit grammatischem Beharrungsvermögen auch immer gestanden oder gesessen (... oder gelegen), während man lediglich in Deutschland gestanden oder gesessen hat.

Ein Pech für Anastas, der eine witzige Aufarbeitung seiner (schwiegermütterlichen?) Familiengeschichte geleistet und dabei das Psychogramm eines Mannes geliefert hat, der von Elias Canetti oder Franz Werfel sein könnte. Dabei ,ist' weniger Joseph Roth, wie im Klappentext versprochen, Pate gestanden, sondern mehr Djuna Barnes oder auch Frederic Morton, mit dem Anastas Schreibumgebung Brooklyn und imaginierten Lebensraum teilt. Nur hat der geborene Hernalser Morton den Vorteil, seine Übersetzung ins Wienerische selbst überprüfen zu können - was ich hiemit für Ben Anastas getan habe...

Titelbild

Benjamin Anastas: Am Fuß des Gebirgs. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2005.
471 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3902144904

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