Lieblingsfigur Oxymoron

Die beeindruckende Sammlung von Erzählstücken, Gedichten, Tagebucheinträgen, und Traumprotokollen eines lebenslangen und zeitlosen Dissidenten

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

145 Bücher hat der mährische Schriftsteller Jakub Deml (1878-1961) zu Lebzeiten veröffentlicht. Zumeist im Eigenverlag oder als Privatdruck, da er sich auf dem freien Markt nicht recht etablieren konnte. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert - weder in Böhmen, noch anderswo. Eine kritische Werkausgabe existiert bisher nicht. Große Verdienste erwarben sich allerdings Vladimír Binar und Bedrich Fucík mit einer zehnbändigen Ausgabe, die unter schwierigsten Bedingungen zwischen 1978 und 1981 als Samizdat-Edition im Untergrund der "normalisierten" CSSR erschien.

Der 1902 zum katholischen Priester geweihte Jakub Deml hatte immer wieder mit der Zensur sowie gegen Verleumdungen, Verbot und Ausgrenzung zu kämpfen. Als Polemiker verfügte er allerdings auch über eine giftige Zunge. Seiner Amtskirche war er ebenfalls ein Dorn im Auge, weshalb er bereits 1909 von seinem Dienst suspendiert worden war. Dennoch fühlte Deml sich Zeit seines Lebens der Priesterweihe verpflichtet und hat auch nie geheiratet, wiewohl Frauen in seinem Leben und künstlerischen Schaffen eine wichtige Rolle spielten.

Bei allen Anfeindungen war einer kleinen Schar von Anhängern die sanfte Sprengkraft von Demls Texten nicht verborgen geblieben. Im Gegenteil: Viele moderne tschechische Schriftsteller ließen sich von Demls Visionen inspirieren. Bohumil Hrabal bekannte in seinem "Lesebuch", daß er geradezu verliebt sei in Demls Art zu schreiben und schließlich wirkte Demls ,oraler' Stil prägend auf seine eigene Prosa.

Heute steht es außer Frage, daß Jakub Deml einer der bedeutendsten tschechischen Dichter des 20. Jahrhunderts war. Seine Schriften und Texte bilden einen schier unversiegbaren Quell an Ideen, Bilderreichtum, reinen Überschwang und eindrucksvoller Prosabeschreibung. Die vielen Texte, die Deml verfasst hatte, sie sollten eigentlich nach seiner Vorstellung ein einziges Buch darstellen. Eindrucksvoll sind die ungewöhnlichen Bilder in Demls Prosa. Als "Der Fremde" in der gleichnamigen Erzählung dem Ich-Erzähler etwas vertrauensvolles mitteilt, "neigte er seinen ganzen Körper so weit vor, daß ich den Eindruck hatte, ein im wehenden Wind geducktes Getreidefeld vor mir zu sehen" und in der Geschichte "Die Kirche" wurde eine Nebenpforte beschrieben, durch die "einzeln Menschen wie die Körner in einer Sanduhr" gingen. Eine besondere Art der Verdichtung seiner Landschaft und Kindheit in Tasov stellt im wahrsten Sinne des Wortes Demls Porträt-Text "Meine Freunde" dar, den er über Jahrzehnte hinweg bis kurz vor seinem Tod immer wieder überarbeitet und erweitert hat. Ausgehend von Pflanzen werden Gedanken, Assoziationen oder auch fiebrige Träume über das Leben ausgelöst: "BUSCHWINDRÖSCHEN, wie ist der Blick vierzehnjähriger Mädchen, die an Schwindsucht sterben?". Oder: "SPITZWEGERICH, bist du zu Mittag nicht immer traurig dort oben in deinem Minarett?".

Kein geringerer als Vítezslav Nezval bezeichnete Deml als "Monarchen der Phantasie" und hielt in schwerer Zeit immer wieder schützend seine Hand über ihn.

Religiöse Topoi prägen Demls Texte, werden aber in einer eigenartigen Weise auch überschritten. Der rebellische Priester Deml weigerte sich hartnäckig, den Großinquisitor mit dem Nazarener zu identifizieren. Demls tief verwurzelte Religiosität war somit immer auch von einem subersiven Charakter gekennzeichnet. Konsequenterweise spielt das Element Licht neben allen Abgründen in Demls somnambulen Welt eine große Rolle. Deml schöpfte diese Helligkeit aus der mährischen Landschaft um Tasov. Prag war für ihn ein ferner Sündenpfuhl, dessen Überfluss an Sinnesreizen die eigentliche Wahrnehmung von Sinnlichkeit verdeckt. In Demls besten Texten entfaltet sich ein sensibles Horchen auf die Äußerungen menschlicher Existenz. Dieses Hören bringt Deml mit einer derart lebendigen Feder zu Papier, daß der Leser nicht mehr zu Atem kommt, hat er sich erst einmal mit der Lektüre eingelassen. Christa Rothmeiers gelungene Übersetzung der vorliegenden Sammlung von Prosa, Lyrik und Tagebuchtexten kommt dieser Lektüre entgegen.

Titelbild

Jakub Deml: Pilger des Tages und der Nacht. Prosa, Lyrik, Tagebuchtexte.
Herausgegeben von Christa Rothmeier und Vladimir Binar.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005.
324 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 342105259X

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