Die Zerstörung der Kategorie "Frau"

Die französische Wissenschaftlerin, Literatin und Feministin Monique Wittig wäre am 13.7.2005 70 Jahre alt geworden

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

In Deutschland wie auch in ihrem Heimatland Frankreich wurde sie Zeit ihres Lebens von der Leuchtkraft des Dreigestirns des französischen Feminismus überstrahlt. Ob Monique Wittigs Popularität unter feministischen Intellektuellen jenseits des Atlantiks hinter derjenigen Luce Irigarays, Hélène Cixous' und Julia Kristevas - die zwar gerne von Feministinnen zu den ihren gerechnet wird, sich selbst jedoch nie als solche verstanden hat - zurückstand, kann allerdings durchaus bestritten werden. In den USA, wo sie von 1976 an als Professorin an der University of Arizona lehrte, wurde sie jedenfalls weit aufmerksamer rezipiert als in Europa. So etwa von Judith Butler in ihrem bahnbrechenden Werk "Gender Trouble". Wie viel die kalifornische Gender-Theoretikerin - und somit auch der von ihr geprägte feministische Diskurs seit Beginn der 1990er Jahre - ihrer französischen Kollegin verdankt, macht ein Zitat aus dem Buch deutlich, dem zufolge Wittig "keinen Unterschied zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex) und der Geschlechtsidentität" macht, sondern vielmehr betont, dass die Kategorie 'Geschlecht' "selbst bereits eine kulturell generierte Geschlechterkategorie" ist, "die vollständig politisch besetzt und obgleich naturalisiert, nicht natürlich ist". Die Macht, die der Sprache in Wittigs Untersuchung zukommt, schreibt Butler weiter, sei "gewaltig". So hat sie auch in dieser Hinsicht an die 'Vorarbeiten' Wittigs anschließen können.

So vielseitig Wittigs Œuvre ist - theoretische Schriften zählen ebenso zu ihren Werken, wie Romane und Erzählungen oder auch Übersetzungsarbeiten - so wenig weiß man über ihre Biografie, hat sie doch stets Sorge dafür getragen, dass ihr Privatleben nicht an die Öffentlichkeit drang. So beschränken sich die Kenntnisse denn auch weithin auf ihren literarischen, politischen und wissenschaftlichen Werdegang. 1935 im elsässischen Dannemarie geboren, studierte Wittig in den 1950er und 60er Jahren in Paris. Etwa um 1960 lernte die damals noch junge und unbekannte Schriftstellerin im Avantgarde-Verlag "Les Èditions de Minuit" prominente KollegInnen aus dem Umkreis des Nouveau Roman kennen. Unter ihnen Natalie Sarraute, die zu dieser Zeit mit ihrer Essaysammlung "L'Ère du Soupçon" (1956) sowie den Romanen "Le planétarium" (1959) und "Les fruits d'or" (1963) Furore machte. Sarraute erkannte Wittigs literarisches Talent sogleich und zögerte nicht, es zu fördern. Mit dem Aufkommen der Frauenbewegung zu Beginn der 1970er Jahre engagierte sich Wittig bis zu ihrer Emigration in die USA im französischen Mouvement de Libération des Femmes. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon keine ganz unbekannte Autorin mehr.

Ihren erzählerischen Erstling "Opoponax" hatte sie bereits 1964 (deutsch 1966) veröffentlicht und sogleich den Prix Médicis erhalten. 1969 folgte "Les Guérillères" (deutsch 1980 unter dem Titel "Der Aufstand der Balkis"), 1973 "Le corps lesbien" (deutsch 1977 u. d. T. "Aus deinen zehntausend Augen Sappho") sowie 1985 "Virgile, Non", in der die Protagonistin in Anspielung auf Dantes "göttliche Komödie" durch Fegefeuer und Hölle des Patriarchats schließlich ins weibliche Paradies eintreten kann.

Wittigs wichtigstes erzählerisches Werk jedoch dürfte "Les Guérillères" sein. In mit einander nicht verbundenen Szenen, die oft kaum mehr als eine Druckseite umfassen, entwirft sie hier eine - durchaus auch (selbst-)ironische - feministische Geschlechter-Utopie, in der das Leben einer Gruppe von Frauen, den "Guérillères", während und nach der Auseinandersetzung mit den Vertretern des Patriarchats beschrieben wird. Die "Guérillères" gehen als Siegerinnen aus den Kämpfen hervor, ohne dass allerdings eine Gesellschaft leidfreier und geschichtsloser Glückseligkeit erreicht wäre. Form und Inhalt des Romans heben die Bedeutung der Sprache für die Aufrechterhaltung patriarchalischer Strukturen ebenso wie für deren Überwindung hervor. So gebraucht Wittig etwa nur weibliche grammatikalische Markierungen, verzichtet aber (ebenso wie in "Le corps lesbien") auf die Bezeichnung Frau, was den deutschen Übersetzerinnen im übrigen nicht gelingt. Durch die Vermeidung des Begriffs Frau bringt Wittig ihre Ablehnung der Aufteilung der Menschen in eine weibliches und ein männliches Geschlecht zum Ausdruck. Anstelle des Konzepts der Frau entwirft sie nicht nur in "Les Guérillères" und in "Le corps lesbien", sondern auch in ihrem theoretischen Werk dasjenige der Lesbe, die keine Frau ist, sondern jenseits der dichotomen Geschlechterkonzeption steht, da sie sich nicht über Männer definiert und sich auch nicht auf diese, sondern auf ihresgleichen bezieht. Ziel dieses Konzepts und seiner Universalisierung ist es, die Kategorie Geschlecht abzuschaffen, dient diese doch Wittig zufolge der Perpetuierung der Zwangsheterosexualität.

Anders als in "Les Guérillères" und in "Le corps lesbien" kommt der Begriff Frau in dem von Wittig gemeinsam mit Sande Zeig 1976 veröffentlichten "Brouillon pour un dictionnaire des amantes" - als Lemma - vor. Allerdings nur, um ihn zu verwerfen. Denn im gerade angebrochenen "Gloriosen Zeitalter" gilt der Begriff als "veraltet". Viele der "Liebesgefährtinnen" sehen in ihm gar die "infamste Bezeichnung", bedeutete sie doch "Eine, die wem anders gehört" und wurde auf "Wesen" bezogen, "die in einen absoluten Zustand der Versklavung geraten waren". Das nunmehr annähernd 30 Jahre alte "Wörterbuch" ist nicht nur mit viel augenzwinkerndem Humor verfasst, sondern auch heute noch ausgesprochen erheiternd. Zu seinen witzigsten - und zugleich bedeutsamsten Lemmata gehört "Pulver": "Zwei Treffer mit einem Pulver, wird seit Beginn der Gloriosen Zeit vom Wegzaubernden Pulver gesagt. Dieses Pulver machte am Ende der konkreten Zeit, als die Hälften der Bevölkerung es einnahm, eine großangelegte Operation möglich. Daher stammt die Redensart 'ein Pulver einnehmen'. Es bewirkte ein doppeltes Verschwinden, wodurch beide Parteien einander vergaßen, gut daran taten und tun werden." Nicht minder witzig und wichtig als dieser Eintrag ist derjenige zu Sprache, in dem man erfährt, dass die "alte Sprache" des "Goldenen Zeitalters" "Berge versetzen konnte oder auf jeden Fall gewaltige Steine". "Es ist unvorstellbar", tritt Wittigs Sprachkritik im Weiteren hervor, "dass diese Sprache aus 'Sätzen' zusammengesetzt war, die eine so rigide, rigorose, repressive Konstruktion und Syntax hatten, wie wir sie kennen".

Monique Wittig, die, wie sie in "The Mark of Gender" (1985) schreibt, nicht beabsichtigte, "die Welt zu verweiblichen", sondern vielmehr anstrebte, "die Kategorien des Geschlechts obsolet zu machen", starb am 3.1.2003. Ein ebenso schwerwiegender wie trauriger Verlust für den theoretischen Feminismus, der hierzulande der Presse allerdings kaum eine Meldung wert war. Ihre Bücher - sofern sie überhaupt übersetzt worden sind - waren da schon lange vergriffen, und auf Neuauflagen wird kaum zu hoffen sein.

Am 13.7.2005 wäre Monique Wittig siebzig Jahre alt geworden.