Das Weiber-Regiment / Nimmt nie kein gutes End

Peter-André Alt fragt nach der politischen Logik des Königinnenopfers in Trauerspielen des 17. Jahrhunderts

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 28. April 1603 wurde in London mit Elizabeth I. eine der glanzvollsten Monarchinnen der westeuropäischen Geschichte nach fast 45-jähriger Herrschaft zu Grabe getragen. Bis heute befeuert ihr Leben, und nicht zuletzt der Kampf zwischen ihr und der schottischen Königin Mary Stuart, die dichterische und künstlerische Imagination überhaupt. Die rivalisierenden britischen Königinnen waren seiner Zeit aber nicht die einzigen starken Frauen auf Thronsesseln. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts regierten zum Beispiel die Königinnen Cathérine de Médici bzw. Marie de Médici das französische Reich. Doch halt! Regierten die Médici-Damen tatsächlich?

Anders als im Fall Englands mit den Königinnen Mary I. und Elizabeth I. im 16. Jahrhundert und Mary II. und Queen Anne im 17. Jahrhundert verzeichnet die Regentenliste jedes beliebigen Konversationslexikons im Fall Frankreichs bis zur endgültigen Abschaffung der Monarchie im 19. Jahrhundert keine einzige Herrscherin. Dies verweist auf eines der grundlegenden Probleme der politischen Geschichte Europas, die zu einer der Leitfragen in Peter-André Alts Studie zu den Dramen des 17. Jahrhunderts wird: Weibliche Herrschaft war in der politischen Theorie der Zeit in aller Regel nicht vorgesehen.

Die lex salica, das salische Gesetz, eines der wichtigsten politischen Regelwerke des Feudalismus, im Kern bis auf das 6. Jahrhundert zurückgehend, verbot weibliche Herrschaft, erlaubte aber Frauen die stellvertretende Ausübung der Herrschaft im Fall der Unmündigkeit des legitimen männlichen Thronerben. Diese Regel galt auch in Frankreich und machte die Königinnenmütter Cathérine bzw. Marie de Médici de facto zu Herrscherinnen, wo nominell ihre minderjährigen Söhne den Thron besetzten.

Anders in England: Hier hatte sich im frühneuzeitlichen Herrschaftsrecht (begünstigt durch die Faktizität des common law, das bis heute gegenüber dem kodifizierten Recht eine gewisse Vorrangstellung bewahrt hat) die Auffassung durchgesetzt, dass der Verwandtschaftsgrad in einer Erbmonarchie wichtiger sei als das Geschlecht. Die Regel lautete dann: Söhne sind zu bevorzugen, fehlen diese aber, so ist Töchtern gegenüber entfernteren männlichen Verwandten der Vorzug zu geben. Dieser Regelung verdankte etwa Elizabeth I. ihre Königinnenwürde. Gleichwohl war damit auch hier die Erwartung an die Königin verbunden, dass sie durch eine standesgemäße Heirat und die Geburt von Prinzen die männliche Thronfolge erneuere.

Wieder anders war es im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, wo es verschiedene Regelungen gab; in manchen Territorien galt das salische Gesetz, in anderen verbot das sächsische Gesetz sogar ein weibliches Interregnum. Trotzdem kannte man auch hierzulande starke Herrscherinnen, etwa wenn an ihrer Seite ein schwacher Fürst 'regierte', wie es letztlich auch im Fall von Cathérine de Médici war, die unter der Regierung ihrer drei Söhne trotz erlangter Volljährigkeit den entscheidenden Einfluss behielt. Ohnedies waren die Spielregeln der alteuropäischen traditionalen Gesellschaft im 17. Jahrhundert ins Wanken geraten, die "Geburt der Neuzeit" (Bauer/Matis 1988) gebar den modernen Staat, bei dem funktionale Kategorien zunehmend wichtiger wurden als die spätmittelalterlichen Körperrepräsentationen der Macht.

In dieser Zeit des Wandels nahm gerade wegen der prekärer gewordenen Situation der Geschlechterverhältnisse im politischen Raum auch das misogyne Schriftgut zu, auf der Traktatenebene erschien etwa noch gegen Ende der relativ frauenfreundlichen Periode der Frühaufklärung in Augsburg 1733 ein kryptonymer "Spiegel Der regiersichtigen bösen Weiberen", in dem es etwa mit Blick auf die Verhältnisse in Großbritannien heißt, in "Engelland und Schottland ist das Paradeyß der Weiber / weil sie allda Königin seynd / und die Hosen tragen", zugleich aber behauptet wird: "Das Weiber-Regiment / Nimmt nie kein gutes End."

Diesen Eindruck kann man allerdings tatsächlich gewinnen, wenn man sich die Trauerspiele des 17. Jahrhunderts ansieht, die Gegenstand der Studie von Peter-André Alt sind, denn hier ist es meist der Tod der Königin, auf den das Spiel hinausläuft; dem paradoxen Charakter der Epoche entsprechend bedeutet der Untergang der Königin aber nicht die Gefährdung, sondern gerade die Stabilisierung der Macht respektive ihrer dynastischen Kontinuität.

"Die herrschsüchtige Frau ist so recht ein Thema des Barock", meinte die bedeutende Barockforscherin Elida Maria Szarota in ihrem Buch "Stärke, dein Name sei Weib!" über die weiblichen "Bühnenfiguren des 17. Jahrhunderts", das 1987 im Verlag Walter de Gruyter erschien, das Alt aber auffälligerweise nicht zu kennen scheint oder auf das er jedenfalls nicht verweisen mochte. Szarota interessierte sich in diesem Buch für den "Höhenflug der Frau" im 17. Jahrhundert und dabei insbesondere auch für deren "Machtverlangen", gleichgültig ob "sie die Macht im wesentlichen für ihren Mann" oder für sich selbst anstrebte, oder ob sie "die Macht für ihre Söhne oder ihren Sohn beanspruchte, um später, sei es mit ihnen, sei es ohne sie, regieren zu können." Jedenfalls stellte Szarota als intime Kennerin der dramatischen Literatur des Zeitalters fest: "So ist das Machtgelüste der Frau durchaus kein Sonderfall, sondern ein verbreitetes Phänomen, das vom Ende des 16. Jahrhunderts an bei den weiblichen Bühnenfiguren Europas in Erscheinung tritt."

Alt kann also in der Tat aus einem reichen Fundus dramatischer Literatur schöpfen, um sein erklärtes Erkenntnisinteresse zu verfolgen, nämlich die politische Logik des Frauenopfers im Drama auf der Grundlage der Rechts- und Herrschaftsstrukturen vor allem des 17. Jahrhunderts zu verstehen und zu erklären. Er beschränkt sich dabei weitgehend auf die kanonisierten Texte der deutschen Trauerspielliteratur des genannten Jahrhunderts. Diese Gattung war damals in der Tat die literarische Gattung par excellence, in der die politischen Probleme der Zeit auf hohem Niveau und höchst differenziert verhandelt werden mussten, weil allein dies ihrer häufig betonten Würde als edelste Dichtungsart gerecht wurde. Seine Hauptbeispiele sind Gryphius' "Catharina von Georgien" und "Papinian", Hallmanns "Mariamne" (weniger ausführlich dessen "Catharina" und "Liberata"), Lohensteins "Cleopatra", "Sophonisbe", "Agrippina" und "Ibrahim Sultan", Haugwitz' "Maria Stuarda", Riemers "Des Regenten Bester Hofmeister", Weises "Marggraff von Ancre" und "König Wentzel".

Immerhin entgeht Alt dadurch die auf eine etwas andere Art verhandelte Problematik in den höfischen Festspielen der Zeit, die weder Trauerspiel noch Komödie im Sinn der gängigen Poetiken waren, sondern etwas dazwischen oder darüber hinaus. Um nur ein Beispiel zu nennen: Kaspar Stieler trieb in seinem "Vermeinten Printzen" (1666) die zunächst camouflierte weibliche Regentschaft bis auf einen Punkt, wo das salische Gesetz selbst zur Disposition steht, bevor die "Natur" das Spiel zu einem positiven Ende treibt, also das Opfer der Königin überflüssig macht. Die Fixierung auf kanonische Texte (diesmal der politischen Literatur) lässt Alt bei der Behandlung Lohensteins, der zu Recht die meisten untersuchten Texte stellt, übersehen, dass dessen Texte mitnichten mit Hobbes' Apologie des Absolutismus konform gelesen werden können, weil Lohenstein sich explizit gegen die Lehre des "ärgerlichen Hobbes" wandte. Auch im Fall von Christian Weises reichem Œuvre darf man sich eigentlich nicht wenige Texte herauspicken, sondern sollte dessen theatrum mundi insgesamt betrachten, weil dann nämlich die verhandelten Probleme differenzierter und dadurch auch uneindeutiger (vielleicht aufklärerischer?) in Erscheinung treten als in der zurückgewandten Betrachtung.

Wahrscheinlich wäre dies der Haupteinwand gegen diese im Detail vorzügliche Studie, dass Alt die Dramen des 17. Jahrhunderts zu streng auf der Grundlage der aus dem Mittelalter überkommenen politischen Theoreme der Zeit liest. Das Neue kommt darin zu kurz. Allerdings ist der vermutlich zu Grunde liegende Gedanke, die Dramen erst einmal auf ihren theoretischen Hintergrund zu befragen, durchaus nachvollziehbar. Die Literaturgeschichte als bloße Fortschrittsgeschichte zu lesen, sind wir leid. Das mag übrigens auch ein Grund sein, warum Alt Szarotas erwähntes Buch nicht für erwähnenswert hielt: Szarota blickte auf die weiblichen Bühnenfiguren von vorne, las sie als Vorgängerinnen der Frauenemanzipation des 20. Jahrhunderts. Alt dagegen liest sie auf der Folie zeitgenössisch überlieferter Überlegungen zur Rolle der Frau im politischen Raum, was notwendig den Ruch des Konservativen annimmt, aber aus sachlichen Gründen einmal gründlich durchgeführt werden musste.

Alt liest die Frühe Neuzeit erklärtermaßen vor allem in Kontinuität des Spätmittelalters. Die in den 1970-1990er Jahren etablierte Frühneuzeitforschung hat dagegen oft vor allem die prämodernen Qualitäten der Epoche betont. Hier ein Gegengewicht geschaffen zu haben, ist nicht das geringste Verdienst der vorzustellenden Studie, lässt sie aber ebenfalls etwas einseitig erscheinen. Denn die Diskussion der überkommenen Rechtsstandards in den Dramen der Frühen Neuzeit diente nicht zuletzt ihrer Infragestellung. Alt deutet dies in seinem Epilog auch an, wenn er von den paradoxen Bedeutungsordnungen spricht, die das 17. Jahrhundert charakterisierten.

In der Tat kann man die dialektische Betrachtung aller Dinge als die Signatur des Zeitalters begreifen, wie Erasmus von Rotterdam bereits Anfang des 16. Jahrhunderts deutlich machte, wenn er davon sprach, "dass alles im menschlichen Leben - wie die Silenen des Alkibiades - zwei Seiten hat, die voneinander völlig verschieden sind. Was, von außen gesehen, als Tod erscheint, ist, von innen betrachtet, das Leben, und umgekehrt erweist sich das Leben als Tod, Schönheit als Hässlichkeit, Reichtum als Armut, Unehre als Ruhm" und so weiter. In diesem Sinne wäre auch im Fall der problematischen Herrscherinnen in den Trauerspielen die doppelte Rolle als zu opfernde Stellvertreterinnen dynastischer Kontinuität und sich behaupten wollende Revolteurinnen gegen die tradierte politische Geschlechterordnung stärker zu beachten. Vor allem die Dramen Lohensteins scheinen eher als Beleg dafür zu taugen, dass die spätmittelalterlichen Modelle in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre Verbindlichkeit verloren haben, als dass sie deren fortdauernde Virulenz behaupteten. Bei der Analyse der "Maria Stuarda" von Haugwitz erkennt Alt den Wandel der staatlichen Ordnung im Absolutismus ausdrücklich an. Nicht mehr die Königin in persona, aber auch nicht der König, so wäre zu ergänzen, birgt den "mystischen Leib der Monarchie", sondern er wohnt nunmehr in den "Kanzleien der Administration", schreibt Alt: "An der Schwelle zur Moderne tritt die politische Macht in die unbeobachtete Zone der Abstraktion ein". Damit hat allerdings die Theorie von den "zwei Körpern des Königs" (Ernst Kantorowicz), welche die spätmittelalterliche Souveränitätsauffassung so stark prägte und die zum Ausgangspunkt für Alts Studie wurde, ausgedient.

Das Standardwerk zur politischen Tragödie des 17. Jahrhunderts hat Alt sicher nicht geschrieben; er schrieb aber ein wichtiges Werk zur Kontrolle weiterer Forschungen zum Trauerspiel des 17. Jahrhunderts, die die ihr inhärenten Widersprüche, aber auch die zur politischen Theorie der Zeit, vielleicht stärker betonen sollten als Übereinstimmungen herausstellen. Und vielleicht sollten die Untersuchungen auch kleinteiliger werden und auf metatheoretische Vorwürfe erst einmal verzichten. Alt ging in seiner Untersuchung auf das Ganze und lässt einen durch die glänzende Prosa gelegentlich vergessen, dass da im Detail manches nicht stimmt (etwa die Wiedergabe der Athalia-Geschichte aus dem Alten Testament). Er verschanzt sich dabei hinter der Behauptung von Walter Benjamin, dass es im allegorischen Zeitalter "aufs Detail so streng nicht ankommt". Immerhin war es derselbe Peter-André Alt, der in früheren Publikationen wagte, gegen Benjamin auf die Sache selbst zu sehen. In der vorliegenden Studie aber haben Benjamin und Niklas Luhmann den Status von Beglaubigern der Thesen wie in der Frühen Neuzeit nur Aristoteles. Das ist gelegentlich etwas störend. Uneingeschränkt zu loben indes ist die klare Sprache des Buchs und die buchmacherische Ausstattung.

Titelbild

Peter-André Alt: Der Tod der Königin. Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts.
De Gruyter, Berlin 2004.
261 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3110181177

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