Gratwanderung mit Absturz

Zwei Bücher erinnern an Bernward Vesper

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im Jahre 1977 im März-Verlag das Romanfragment "Die Reise" erschien, da wurde es sehr schnell zum "Kultbuch" der in die Jahre gekommenen 1968er erkoren. Dezember 1979 erschien bereits die 16. Auflage. Hier hatte jemand etwas geschrieben, worin die 68er sich erkennen wollten. Denn der Autor, Bernward Vesper, war eine ihrer zentralen Figuren gewesen: 1966-68 Herausgeber der "Voltaire-Flugschriften", Verlobter von Gudrun Ensslin, Vater ihres Kindes. Als "Die Reise" herauskam, bot Vesper außerdem den Vorteil, bereits tot zu sein. Er hatte am 15.05.1971 nach zweimonatigem freiwilligen Aufenthalt in psychischen Kliniken Selbstmord begangen. Nun konnte ihn keiner mehr befragen zu seinem wilden Leben, das er in "Die Reise" so schön stilisiert hatte.

1980 kamen zu dem Fragment noch etwa 150 Seiten dazu, die seitdem in der "Ausgabe letzter Hand" zusammengefasst sind. "Die Reise" war vorher schon zu weiten Teilen unerträglich: wegen der Selbststilisierung des Autors zu einem ungeheuer coolen, tragisch fertigen, zerrissenen Polit-Hippie-Künstler, der nicht nur alle Theoretiker-Namen deklinieren und ihre Thesen mit massenhaft Zeitungsmeldungen über das Elend in der Welt zusammenwürfeln, sondern auch alle, auch die jüngsten, Frauen haben kann; der auf der einen Seite unter Drogen Größenwahnsinns-Trips fährt, andererseits aber auch ein ganz verletzter, sensibler Kerl sei. Wer dies vorher wahrscheinlich nicht nur noch ertragen, sondern wohl sogar goutieren konnte, dem kamen durch die Ergänzungen erste Zweifel. Man erfährt von Vespers Kindheit, die er auf dem väterlichen "Gut Triangel" in Norddeutschland verbrachte. Sein Vater war Will Vesper, ein gefeierter Nazi-Dichter, dem er nicht nur als Halbwüchsiger nacheiferte, indem er rechtsextreme Zeitschriften mit Lyrik versorgte, sondern dem er auch 1963 noch durch die Herausgabe einer Werkausgabe ein Denkmal setzen wollte.

Michael Kapellen schildert minutiös die Jahre 1961-64 in Vespers Leben, als dieser in Tübingen studierte und Ensslin kennenlernte. Nicht zuletzt weil "Die Reise" ihn begeisterte, ist er bemüht, Vesper zu "verstehen" und "vorschnelle Wertungen zu vermeiden", aber soviel Sympathie er für Vesper auch aufbringen möchte, gelingt ihm die Verteidigung nicht. Nicht nur zeigt Kapellen erneut und ausführlich, wie weitreichend die Identifikation mit dem ebenso verhassten wie vergötterten Nazi-Vater war, sondern auch Vespers "gewisser Hang zur Grandezza und Selbststilisierung", seine Selbstverliebtheit, Neigung zu Größenwahn und Arroganz. Auch Kapellen ist es irgendwann zuviel, dann bezeichnet er Vespers Opportunismus nicht mehr als "enormes Talent der Anverwandlung", sondern als "amöbenhafte Anpassungs- und Verstellungsfähigkeit".

Henner Voss hat weniger Skrupel, den einstigen Mitwohner und Mitstreiter, den er bereits im Frühjahr 1959 bei der Lehre zum Buchhändler in Braunschweig kennenlernte, bloßzustellen. Launisch und locker schildert er Vesper als selbstherrlichen Typen aus Unsicherheit, der bereits durch wenig Alkohol total enthemmt wurde, was aber "keine ansteckende Munterkeit" nach sich zog, "vielmehr ein... befremdendes Überschnappen, Ausrasten und Entgleisen, ein Verlust sämtlicher Sicherungen, der beunruhigend war." Dann nervte er nicht nur Frauen mit seiner Überheblichkeit, indem er sie mit großspurigen Lügengeschichten beeindrucken wollte, sondern fing auch gerne Streit an. Weil er regelmäßig Ärger verursachte, war er auf Partys bald unerwünscht, erschien aber trotzdem. Wieso Voss mit "diesem desequilibrierten Schwafler" befreundet war, der ihm stets die Tour bei den Frauen vermasselte, wenn er doch immer dessen Launen ertragen und dessen Fehler ausbügeln musste, ist fraglich. Wahrscheinlich waren sie sich ähnlicher, als Voss bemerkt: erlangte Vesper doch dessen Hochachtung, indem er während einer Vorlesung über Sophokles den Dozenten mit dem Satz "Was Sie da sagen, ist falsch!" unterbrach. "Nicht triumphierend, sondern ruhig, kalt, dezidiert, kompetent, rücksichtslos." Wer es so mag, der ist bei einem, der durch seine Nazi-Eltern zum Seelenkrüppel wurde, richtig.

Titelbild

Michael Kapellen: Doppelt leben. Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Die Tübinger Jahre.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2005.
196 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3937667652

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Titelbild

Vor der Reise. Erinnerungen an Bernward Vesper.
Edition Nautilus, Hamburg 2005.
77 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3894014555

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