"Konservativ und verlogen"?

Jeanne Benay legt einen Sammelband zu Ingeborg Bachmann vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wiederholt standen intertextuelle Beziehungen zwischen dem literarischen Werk der promovierten Philosophin Ingeborg Bachmann und den Schriften Wittgensteins und Heideggers im Zentrum literaturwissenschaftlicher Untersuchungen. Auch wurde Hinweisen auf Theodor W. Adorno in Bachmanns Werk nachgegangen. Wenig Beachtung fanden hingegen bislang Übereinstimmungen mit Überlegungen Jaques Derridas, Michel Foucaults oder Hannah Arendts. Mit dem von Jeanne Benay herausgebenden Buch "Und wir werden frei sein, freier als je von jeder Freiheit..." liegt nun ein schmales Bändchen vor, das Konvergenzen zwischen Bachmanns Prosawerk mit Theoremen und Themen der drei untereinander divergenten AutorInnen aufzeigt.

In einem kurzen, kaum vier Seiten umfassenden Text vertreten Guy Schwaab und Renate Gerwing die bedenkenswerte These, dass Bachmann nicht zuletzt darum eine "eigene Position" in der Literaturgeschichte zukommt, weil sie "in einem ähnlichen Sinne" am Autorbegriff gearbeitet habe wie Foucault. Beide, so die AutorInnen, konstatierten "die Auflösung des Erzählers in der modernen Literatur". In einem ebenfalls lesenwerten Beitrag betont Françoise Rétif, dass die Literatin die "sogenannte Dekonstruktion [...] ansatzweise poetisch entworfen und vorweggenommen" habe, und zeigt, wie sie das Denken Maurice Blanchots "variierend und umfunktionierend" manchen Entwicklungen den Weg bereitet hat, die später bei Derrida "in ähnlicher Form wiedergefunden werden". Bilge Ertugrul schließlich weist darauf hin, dass Ingeborg Bachmann und Hannah Arendt ein "vergleichbares Interesse" für die "Nazi-Geschichte" bewegte, und beleuchtet die "unterschiedlichen Mittel, mit denen sie sich in ihren Werken mit ihr konfrontier[t]en".

In einem weiteren Beitrag geht Richard Heinrich dem Motiv des Briefgeheimnisses in Bachmanns Roman "Malina" nach, das als "Leitfaden" für Reflexionen über Schreiben und Sprache diene. Gábor Kérèkes wendet sich der Bedeutung Ungarns in Bachmanns Roman zu und Richard Schrott zeigt anhand zahlreicher Graphiken und Tabellen die Textstrukturen und Themenfolgen von Bachmanns einzigem zu Lebzeiten publizierten Roman auf.

Schwach sind die beiden Texte der Herausgeberin, nämlich das Vorwort und ein Beitrag zum "plurale[n] Streben nach Freiheit" in "Malina". Zudem sind sie in einem oft derart unzulänglichen und gelegentlich sogar fehlerhaftem Deutsch verfasst, dass nicht immer ganz klar wird, was uns die Autorin eigentlich sagen will: "Wie für Musil, für den 'Mann ohne Eigenschaften' (1942) immer zur Lebensaufgabe gewesen war, waren die 'Todesarten' ein ähnliches Projekt für Bachmann", "Meistens wird jedoch ein zwiespältiges Bild [der zwischen 1950 und 1980 'zur literarischen Diva, zur feministischen Heroldin [...] proklamierten Autorin'] gepflegt, weil selbstverständlich der Widerspruch in einem Werk nur ungern akzeptiert wird." Nicht nur solchen Stellen hätte ein aufmerksames Lektorat gut getan. Vermutlich wäre dann auch der Irrtum korrigiert worden, dass Bachmanns handschriftlicher Nachlass bis 1925 gesperrt sei, wie Benay gleich mehrfach schreibt.

Noch ärgerlicher als solche Fehler ist jedoch ein in den Band aufgenommener Text des französischen "Malina"-Übersetzers Philippe Jaccottet aus dem Jahre 1973. Weniger, weil Jaccottet Bachmanns Todestag falsch datiert oder weil er das Klischee der schusseligen Literatin bedient - "Bald verlor sie ihre Brille oder ließ sie fallen, bald vergoß sie den Tee" -, sondern wegen der Arroganz, mit der er sich über Bachmann, die er als "zitternd, gierig und gehetzt" beschreibt, und über ihren Roman erhebt. Das Buch sei "ein unfertiges und oft geschwätziges Werk", geschrieben von einer "unmögliche[n], einer schreckliche[n] Person". Über den Roman ähnlich abschätzig äußert sich Lucas Cejpek. In einem den vorliegenden Band beschließenden Gespräch mit Margret Kreidl verurteilt er "Malina" als "ein zutiefst konservatives" und schlimmer noch: als "verlogen[es]" Buch.

Jaccottets überheblicher Blick auf Bachmann als "eingesperrtes Insekt, das in herzzerreißender Aufgeregtheit hoffnungslos immer wieder gegen die Scheiben fliegt - während doch vielleicht, nicht weit entfernt, ein anderes Fenster offen steht", wird wiederum von der Herausgeberin derart goutiert, dass sie meint, so ziemlich jeder, "der Ingeborg Bachmann kannte oder ihre Werke gelesen hat", werde mit diesem Bild einverstanden sein. Im Übrigen liest sie "Malina" als autobiografisches Werk einer Autorin, die an "seelische[n] Störungen" gelitten und der "das Literarische" die Möglichkeit geboten habe, "ihre Ängste zu evakuieren und ihre Hoffnungen durchblicken zu lassen".

Titelbild

Jeanne Benay (Hg.): Und wir werden frei sein, freier als je von jeder Freiheit ... Die Autorin Ingeborg Bachmann.
Edition Praesens, Wien 2005.
143 Seiten, 27,20 EUR.
ISBN-10: 3706902850

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