Die Schöpferin eines neuen Frauenideals

Helga Meises "Sophie von La Roche Lesebuch"

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zuge der Gender-Orientierung innerhalb der Literaturwissenschaften gewann vor allem in den vergangenen eineinhalb bis zwei Jahrzehnten das umfangreiche Œuvre von Sophie von La Roche zunehmend Profil. Bis dahin wurde sie meist nur als Verfasserin der "Geschichte des Fräuleins von Sternheim", als Herausgeberin und Autorin der "Pomona für Deutschlands Töchter" (1783-1784), der ersten von einer Frau mit einer großen Leserschar herausgegebenen Zeitschrift, oder als Großmutter von Bettina und Clemens Brentano wahrgenommen. Dabei war sie, wie Helga Meise im Nachwort ihres rund 300 Seiten umfassenden "Lesebuchs" hervorhebt, "die erste Autorin des deutschen Sprachraums". Als die 1730 in Kaufbeuren als Kind des Arztes Georg Friedrich Gutermann geborene Sophie von La Roche 1807 in Offenbach stirbt, "ist es ihr zwar gelungen, auf dem Markt präsent zu bleiben. Aber Literaturkritik und literarische Öffentlichkeit haben einige ihrer letzten Texte bereits verworfen", während andere dabei sind, "in Vergessenheit zu geraten. Obwohl die Texte noch Leserinnen und Leser finden, hinterlässt ihre Rezeption kaum Spuren".

Meises chronologisch und unter sechs thematischen Schwerpunkten zusammengestellte Textauswahl will, wie im Nachwort dargelegt, sowohl ein "Lese- als auch ein Arbeitsbuch" sein. Letzteren Anspruch kann der Band nicht ganz erfüllen, fehlen doch bis auf die erst im Nachwort zu findenden Erklärungen wichtige Text- und Verständnishilfen, wie sie etwa der 1983 in der "Bibliothek des 18. Jahrhunderts" von Michael Maurer herausgegebene und kommentierte Sophie von La Roche-Lese-Band "'Ich bin mehr Herz als Kopf'. Ein Lebensbild in Briefen" in einer fundierten Einleitung und im knappen Kommentar bietet. Gleichwohl vermittelt Meises Lesebuch einen guten Einblick in das umfangreiche Œuvre und das "zwischen Extremen wie Erfolg und Niederlage, begeisterter Zustimmung und ätzender Kritik, Omnipräsenz und Vergessenheit" sich bewegende Leben und Werk der La Roche.

"Sie gehört", meinte schon Goethe 1799 in einem Brief an Schiller, "zu den nivellierenden Naturen, sie hebt das Gemeine herauf und zieht das Vorzügliche herunter und richtet das Ganze alsdann als Sauce zu beliebigem Genuß an", während er 1813 in "Dichtung und Wahrheit" über die Salondame und Mutter seiner einst geliebten Maximiliane notiert: "Sie war mild gegen alles und konnte alles dulden, ohne zu leiden; den Scherz ihres Mannes, die Zärtlichkeit ihrer Freunde, die Anmut ihrer Kinder, alles erwiderte sie auf gleiche Weise, und so blieb sie immer sie selbst, ohne dass ihr in der Welt durch Gutes und Böses, oder in der Literatur durch Vortreffliches und Schwaches wäre beizukommen gewesen. Dieser Sinnesart verdankt sie ihre Selbständigkeit bis in ein hohes Alter, bei manchen traurigen, ja kümmerlichen Schicksalen."

Zu den "traurigen, ja kümmerlichen Schicksalen" von Sophie von La Roche gehörte zunächst der Tod von drei ihrer acht Kinder, die zwischen 1755 und 1768 geboren wurden. Zum andern auch der Sturz ihres Mannes Georg Michael von La Roche, der 1780 als Kanzler des Trierer Kurfürsten und Erzbischofs entlassen wurde. "Die Familie büßte Einkommen, gesellschaftliche Position und Wohnsitz am Hof von Koblenz-Ehrenbreitstein ein." Nun war Sophie von La Roche, deren Briefroman "Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" 1771 unter der allseits bekannten "Mithilfe" ihres zeitweiligen Verlobten Christoph Martin Wieland erschienen war und sie mit einem Schlag bekannt gemacht hatte, gezwungen, die Familie mit ihrem Schreiben zu ernähren. "Sie lanciert im Selbstverlag die 'Pomona für Deutschlands Töchter', eine Zeitschrift für Frauen" und forciert ihre Reiseleidenschaft, um sie erfolgreich literarisch zu vermarkten. So unternimmt sie "zwischen 1784 und 1787 mehrere ausgedehnte Reisen, in die Schweiz sowie nach Frankreich, Holland und England. Noch vor Reiseantritt ist der Verlagsvertrag unter Dach und Fach, die Reise selbst der Auflage der Publikation unterstellt. Die Reiseberichte und Tagebücher verkaufen sich", schreibt Helga Meise im Nachwort, "ohne Probleme und gewinnbringend."

Diese Strategien zur Professionalisierung des Schreibens werden in ihrem Band in fünf Schritten chronologisch nachvollziehbar. Zunächst gibt Meise unter dem Wieland'schen Diktum "Kurz, Sie sind geschickt, eine vollkommene Dichterin zu werden", einen kurzen Briefwechsel von Wieland und La Roche wieder. "Auf dem Weg in die Autorschaft", wie Meise das erste Kapitel überschreibt, das auch Auszüge aus der "Sternheim" bietet, deutet sich die zunehmende Schreibsicherheit Sophie von La Roches bereits an. Ist im Januar 1753 noch davon die Rede, "dass ich mehr und besser empfinden als beschreiben kann", so schreibt sie im Februar 1770, zur Zeit ihrer Arbeit an der "Sternheim" etwa: "Sie wünschen, mein lieber Vetter, dass ich etwas von dem Enthusiasmus meines Herzens verlieren möchte, manchmal wünsche ich es auch, aber ich muss Sie bitten, mir zu sagen, was ich an den Platz dieser Triebfeder zu meinen besten Handlungen und Gegenwehr manches unvermeidlichen Missvergnügens setzen solle, nehmen nicht die Jahr u. Erfahrungen immer etwas hinweg u. würde nicht, wenn ich neben dieser natürlichen Abnahme es selbst verminderte, auf die spätere Jahre meines Lebens Frost und Schnee in meiner Seele liegen, u. dieses möchte ich nicht." Insofern heißt es in Meises zweitem Kapitel, das sich der "Pomona" widmet, in einem Leserbrief: "Man soll finden, dass ich mich um das Zeugnis meines Herzens in Erfüllung aller meiner Pflichten und um den Beifall des klugen Mannes und der vernünftigen Frau bemühe, indem ich alles tun will, was einen guten Verstand, eine reine Seele und die größte Geschicklichkeit anzeigen kann."

La Roches pädagogisch-moralischer Impetus scheint ebenso in ihrer "Reiseliteratur" als auch in ihren moralischen Erzählungen und Romanen durch, wie auch in Texten, die ihr Selbstverständnis als Schriftstellerin kritisch reflektieren.

Mit einem kurzen Blick auf "einige Stationen der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte" schließt Helga Meise ihre Textauswahl, die zwar anregend ist, aber letztlich aus zweierlei Gründen auch unbefriedigend bleibt. Zum einen aufgrund einer nicht ganz ausgewogenen Auswahl, denn der Weg vom Brief- zum Romanschreiben bleibt allzu skizzenhaft dargestellt - einige Dokumente mehr zugunsten wiederholender Eindrücke und Reflexionen beispielsweise der Frankreichreise aus dem Jahre 1787 wären hier wünschenswert - und zum anderen aufgrund einer allzu spärlichen Erklärung und Erläuterung der Texte und Kontexte. Dennoch macht der Band Lust, wieder einmal eingehender im Werk der La Roche zu lesen.

Titelbild

Helga Meise (Hg.): Sophie von La Roche. Lesebuch.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2004.
311 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3897411113

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