Das Hässliche geerdet am Schönen (und umgekehrt)

Schmerzende Gedichte von Wiglaf Droste

Von Mario Alexander WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Alexander Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer wie Wiglaf Droste regelmäßig Kolumnen und ab und an Gedichte auf der letzten "taz"-Seite, die den Namen "Wahrheit" trägt, veröffentlicht, dem kann es passieren, dass er schnell mit einem Stempel versehen wird. Die letzte Seite darf sich austoben: Achtung - Satire! Dort schreiben ja nur die wirren Randständigen in ihrem von den seriösen Großen gnädigerweise überlassenen Refugium. Wenn von Wiglaf Droste dann mal überraschend ein Artikel im Zeitungsinnenteil oder gar auf der Titelseite platziert wird, ist das Geschrei groß. Huch! Darf man das (so direkt formulieren)? Die LeserInnenbriefseite der "taz" nimmt in solchen Fällen an Umfang schwer zu.

Bei Reclam Leipzig ist jetzt eine Gedichtsammlung von Droste erschienen, deren Klappentexte in einem ähnlichen Dilemma stecken bleiben. Dort wird in einer sich an den "Wahrheits"-Stil anlehnenden Info berichtet, dass in diesem "formidablen Gedichtband [...] liebenswerte Gedichte und zarte Liebeserklärungen neben fabelhaften Kalauern und ätzenden Versen über allerhand Persönlichkeiten deutschen Gemeinwesens" stehen. Auf dem Buchrücken findet sich ein Zitat von Willi Winkler und eines aus der "Jungen Welt", für die Droste ebenfalls schreibt, und als ob es sich um eine pornografische Sammlung handeln würde, wird die Edition mit "Die schärfsten Gedichte" angekündigt. Es entsteht der Eindruck, dass Droste hier unnötig klein gemacht wird. Er erscheint als ein bisschen grob, aber im Ganzen doch als ein Typ zum Tätscheln. Droste wird zu einem special-interest-writer degradiert und taucht somit in die untiefen literarischen Nachbarschaften des historischen Romans und der Science-Fiction ab. Das naive, an die Cartoons der "Brigitte" angelehnte und typografisch schlecht gemachte Cover trägt zu diesem Eindruck noch zusätzlich bei. Und die im Umschlag abgebildete 20er-Jahre-Fotografie eines ausgezehrten und leidenden Wiglaf Droste ist in diesem Zusammenhang nur noch absurd zu nennen. Der Verlag tut weder sich, noch seinem Autor mit dieser Aufmachung einen Gefallen.

Seltsamerweise hat im Zuge der medialen Daueroffensive in puncto Papstwahl niemand auf Wiglaf Drostes Gedichte zurückgegriffen. Andererseits ist dies auch wieder gar nicht so verwunderlich, denn die schonungslose Bösartigkeit dieser Gedichte über Kardinal Ratzinger, jetzt Benedikt XVI., passt schlicht und einfach nicht in unsere konsensgeprägte Medienlandschaft. Droste dichtet in "Ratzinger will Jesus werden": "Du willst sein wie Jesus Christus? / Nimm den Hammer, und dann bist du's! / Vergiss die langen Nägel nicht / Denn du bist kein Leichtgewicht. / Vorbildlich für alt und jung / Ist die Eigenkreuzigung." Hier hört der Spaß auf, hier beginnt die Satire. Und Satire darf laut Tucholsky alles. Aber vor allem sollte Satire wehtun, schmerzen. Der katholische Ausstieg aus der staatlichen Schwangerschaftsberatung ist vielerorts diskutiert worden. Droste schreibt in einem Büttengedicht, dass Dyba Ratzinger den Fötus rüberschmeißen solle. "Dyba fragt salopp zurück: / 'In Scheiben oder ganz, am Stück?'" Sicherlich ist das grobschlächtig, aber genau so ist eben auch die Welt. Droste attackiert nicht die Kleinen, nicht diejenigen, die sich nicht wehren können. Droste beharrt auf Eindeutigkeit. Davon zeugt auch sein mittlerweile schon zum Klassiker gewordenes Gedicht "Sind Soldaten Faxgeräte?", das im Kontext der Diskussion steht, ob man Soldaten Mörder nennen darf (eine Debatte, die es bis vor das Bundesverfassungsgericht schaffte). Es heißt in der letzten Strophe: "Selbst wer schlicht ist, muss erkennen: / Mörder soll man Mörder nennen."

Die Sammlung ist in acht Blöcke gegliedert, der siebte trägt den Titel "Nun spürst du ihn auch, diesen Hauch" und ist den Dichtern gewidmet. Verse über Enzensberger ("Ist er auf das Bundesverdienstkreuz scharf?"), Ingeborg Bachmann, Konsalik, Erich Fried - doch das Glanzstück, ein Reigen, parodiert Durs Grünbein:

"Mitbürger, Römer, Menschheit, alle - nehmt den letzten / Schluck noch mit: / Vom Vollrausch bis zum Leergut, glaubt mir, ist es nur ein kleiner Schritt."

Droste trifft in diesem Gedicht wunderbar den Grünbein'schen Ton und nimmt ihn auf die Schippe. Und allein diese letzten Zeilen sind schon grandios. Jörg Drews schrieb im Nachwort zu seiner Anthologie "Das bleibt. Deutsche Gedichte 1945-1995" über sein Auswahlverfahren: "Andererseits gibt es auch Gedichte, die ich geneigt war in die Sammlung aufzunehmen, obwohl sie nur ein oder zwei Zeilen haben, die herausragend oder einmalig sind, die aber das ganze Gedicht auf eine neue Stufe heben." Drostes "Vom Vollrausch zum Leergut" sollte in einer erweiterten Neuauflage dieses Buchs unbedingt eingegliedert werden...

Wie der Buchtitel "nutzt gar nichts, es ist Liebe" impliziert, findet sich im Band nicht nur Ätzendes, Grobes, sondern auch - darf man das so nennen? - Liebeslyrik. Hier zeigt sich Droste von seiner Seite als "toleranter Panther", der "niemals mehr ein Reh" jagt (wer einmal eine Droste-Lesung erlebt hat, weiß, dass das Gedicht "Ein toleranter Panther", im schnurrend-zufriedenen Ton vorgetragen, zu den Höhepunkten der Veranstaltung zählt). Beinahe friedlich und zärtlich klingt der Band mit "Guter Morgen" aus, in dem die Geliebte vom Balkon aus winkend verschiedet wird und Johnny Cash im Hintergrund von Begierde und Lust singt: "Wie wenn du bei mir wärst, lag ich still / Sah dich, mich, uns - und wusste: Ja, ich will."

Nicht alles, was Droste schreibt, ist jedoch als gelungen zu bezeichnen. Die "kulinarischen" Gedichte - Droste ist da Fachmann und gibt zusammen mit dem schwäbischen Fernsehkoch Vincent Klink die Zeitschrift "Häuptling Eigener Herd" heraus - sind Geschmackssache, und Gedichte über Blähungen sind tatsächlich nur bedingt lustig. Wobei "Heiße Hühnersuppe heilt" mit den großartigen letzten zwei Strophen, in denen ein "Franzmann im Gestrüpp", da ihn die Nachricht der heilenden Wirkung ereilt, ruft: "'ühnersüpp! 'eil 'ühnersüpp!", eigentlich auf jeden Medikamentenbeipackzettel gehörte.

Häufig verhaspelt sich Droste aber auch im Duktus eines eher anstrengenden "Wahrheit"-Stils, der manchmal originell, meist aber 'auf Pointe komm raus' nur bewusst "anders" sein möchte. Ab und an weiß man auch nicht, wo das Ganze lyrisch hinführen soll. Soll das schnoddrig sein, Straßen-Jargon, Satirsprech, Ringelnatz/Morgenstern/Kästner/Tucholsky gemixt und reanimiert?

Wiglaf Droste ist mit einer thematischen Bandbreite, die vom Koitus über Ententanz bis hin zum Wir(r)sing reicht, in erster Linie Satiriker, der strittige Themen in Gesellschaft, Kultur, Politik und Religion weder mit Samthandschuhen noch politisch korrekt oder im Wohlfühl-Konsens anfasst. Und Droste vermag nicht nur zu provozieren, er kann auch sehr gut dichten. Es gilt auch am Ende dieser Besprechung: Drostes Gedichte schmerzen. Und ein Typ zum Tätscheln wird er nie werden.

Titelbild

Wiglaf Droste: „nutzt gar nichts, es ist Liebe“. Gedichte.
Reclam Verlag, Stuttgart 2005.
160 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3379008397
ISBN-13: 9783379008396

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