Erinnerungen an London

Stationen aus dem Leben der Doris Lessing

Von Heiko SeibtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heiko Seibt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach ihrem ersten autobiographischen Werk "Unter der Haut", das ihre Jugend in Afrika zum Thema hat, erzählt Doris Lessing nun in "Schritte im Schatten" von ihrem Leben in England zwischen 1949 und 1962. In diesem zweiten Band ihrer Erinnerungen schildert die Autorin ihre Bemühungen, als alleinerziehende, mittellose Mutter, die der Enge der britischen Kolonialgesellschaft in Südrhodesien entronnen ist, im London der Nachkriegszeit Fuß zu fassen.

Mit Hilfe ihrer präzisen Beobachtungen gelingt es Lessing, die Aufbruchsstimmung der Metropole, die ihr in den Jahren nach dem Krieg wie "eine Stadt voll Dickensscher Übertreibungen" erscheint, einzufangen.Die gleichzeitig humorvollen und zornigen Berichte über ihre mühsamen Versuche, sich als Frau, Autorin und engagierte Linke in einer männlich dominierten Welt Anerkennung zu verschaffen, weisen zu keiner Zeit Spuren selbstgefälliger Glorifizierungen auf und versuchen nie, das Handeln der Autorin oder das ihrer Weggefährten in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Wenn sie von ihrer damaligen politischen Einstellung und ihrem Eintritt in die kommunistische Partei spricht, tut sie dies nicht, ohne ihre Beweggründe selbstkritisch zu beleuchten und eigene Fehlschritte als solche zu entlarven. Mit ihrer Kritik an Massenbewegungen aller Art und der Desillusionierung durch Parteigenossen begründet sie ihre baldige Distanzierung von der kommunistischen Partei, deren Ideologie nur noch wenig mit ihren eigenen Idealen gemein hat.

Die zahlreichen Liebschaften Lessings finden in der Autobiographie ebenso Erwähnung wie ihre Arbeit als Autorin, Entwicklungsprozesse ihrer Romane oder Begegnungen mit Verlegern, Agenten und Lektoren. "Schritte im Schatten" erzählt von ihren Londoner Bekanntschaften - beispielsweise mit dem streitbaren Bertrand Russell - und von den Freundschaften mit John Osborne und dem russischen Schriftsteller Samuel Marschak in der Zeit der "zornigen jungen Männer", die nach Doris Lessing "nichts als eine Erfindung der Zeitungen, der Medien" waren.

Die Autorin zeichnet ihren ungewöhnlichen Lebensweg mit einer solch schonungslosen Offenheit nach, wie sie nur in wenigen anderen Autobiographien zu finden sein dürfte. Mit ihrer Autobiographie "Schritte im Schatten" liefert Doris Lessing somit ein umfangreiches, der Wahrheit verpflichtetes Zeugnis ihrer Zeit, ihres Lebens und ihres Werkes.

Titelbild

Doris Lessing: Schritte im Schatten. Autobiographie 1949-1962. Aus dem Englischen von Christel Wiemken.
Goldmann Verlag, München 1999.
480 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3442722764

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