Seine Exzellenz Herr Robert Böck

Peter Roos und Clemens Fabry beobachten eine lebende Legende im Wiener Café Landtmann

Von Ester SalettaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ester Saletta

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wien ist die Stadt der funktionierenden Legenden. Böswillige behaupten, daß die Legenden überhaupt das einzige seien, was in Wien funktioniert, aber das geht entschieden zu weit. [...] Die weitaus komplizierteste dieser Legenden ist das Wiener Kaffeehaus." So schrieb 1959 Friedrich Torberg in seinem "Traktat über das Wiener Kaffeehaus", und Friederike Hassauers Vorwort "Das Kaffeehaus als Lebens-Elixier" zum neu erschienenen Buch "Der Engel im Kaffeehaus" scheint gerade diese Behauptung zu bestätigen. Die Geschichte Wiens, seine Literatur und Kunst wären kaum ohne Kaffeehäuser denkbar. Berühmte Persönlichkeiten wie u. a. Arthur Schnitzler, Hermann Broch, Robert Musil oder Stefan Zweig hätten ihre Werke ohne die Kaffeehausatmosphäre nicht verfassen können. Hier war der Ort, an dem man die Besonderheiten möglicher literarischer Charaktere ungestört beobachten konnte, sich zu Hause fühlte, seine Post abholte, telefonierte, sich aufwärmen konnte. Wie auch Hubert Christian Ehalt in seinem Nachwort "Wiener Kaffeehäuser. Eine Melange danach" zu diesem Buch erinnert, war das Kaffeehaus früher kein Ort, an dem man nur einen Kaffee trank. Es war viel mehr als das; es war der Ort der lebendigen Kommunikation, des Meinungsaustauschs. Der spätere Tod dieses Kaffeehauses, den schon Karl Kraus Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Essay "Die demolirte Literatur" erklärte, klingt auch in Friederike Hassauers Vorwort an, wenn sie hinter den Kulissen des Wiener Café Landtmann die Gäste von heute beobachtet. Das moderne Kennzeichen der heutigen Kaffeehausgäste ist die Eile. Das Publikum des heutigen Kaffeehauses kennt zwar nicht die Wiener der alten Generation, die die vergangene Tradition des Kaffeehauses als Ort der Unterhaltung noch bewahren, schützen und am Leben halten wollen, aber auch die junge Generation der Studenten verkehrt hier, die zwischen ihren Vorlesungen an der Hauptuniversität den Karl Lueger-Ring in Eile besuchen, um einen kleinen Mokka im Café Landtmann zu trinken. Es gibt auch die Touristen aus aller Welt, die wie Opfer des Fotowahns die stille, fast verzauberte Atmosphäre jedes Kaffeehauses mit neumodischen Fotoapparaten oder Mobiltelefonen stören. Zudem haben die meisten Besucher heute keine Zeit mehr, den ganzen Tag am Marmortisch vor einer heißen Melange und einem Stück Kuchen beim Zeitungslesen oder beim Plaudern zu verbringen. Wenn man glaubt, dass die Auseinandersetzung mit dem Kaffeehaus heute anders sei als damals, hat man allerdings die zentrale Figur des Kellners vergessen. Der nämlich ist das letzte Relikt der Wiener habsburgischen Vergangenheit, die die Donaumetropole nie verlassen hat: und immer noch im Dienst! Peter Roos' kurzer Kommentar und seine Unterredung mit dem seit 28 Jahren beim Wiener Café Landtmann tätigen Oberkellner, der sich jetzt für die Pensionierung entschieden hat, lässt dem Leser Details eines Lebens im Dienst der Höflichkeit, der Freundlichkeit, des Gastrespekts und der Eleganz entdecken. Denn Herr Robert Böck, die lebende Legende des Café Landtmann in Wien, der mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet wurde und der von Frederick Forsyth in seinem Bestseller "Die Faust Gottes" literarisiert wurde, ist die perfekte Verkörperung dieser Eigenschaften. "Körperbeherrschung! Geschicklichkeit! Geschwindigkeit! Flink muß er sein, der Herr Ober. [...] Der Gast ist ein Partner, dem der Ober etwas anbieten will. Der Gast ist der König [...]."

Vertrauen und Komplizentum zwischen Ober und Gast sind in Robert Böcks Augen die notwendigen Zutaten für einen perfekten josephinischen Kaiserschmarrn, damals wie heute. Und Peter Roos erzählt tatsächlich, wie er diese Zutaten persönlich gekostet hat, als er einen halben Tag als "Beikellner" neben dem Meister Böck im Café Landtmann mitgeholfen hat. Auch der Wiener Fotograf Clemens Fabry hat mit seinen 41 Bildern in schwarz-weiß jede Bewegung, jede Miene und jeden Augenblick von Robert Böcks Tanz im Buch dokumentiert. Fabrys fotografische Reportage eines Arbeitstags des Oberkellners belegt nicht nur die verschiedenen Aktionen eines Kellners bzw. wie er sich kleidet, wie er die Gäste bedient und mit den anderen Kollegen kooperiert, sondern auch die Liebe, die Leidenschaft, die Pflege jeder Details, um ein einziges Ziel erreichen zu können: Das Gast soll sich wie ein Kind in einer guten Engelgesellschaft verwöhnt fühlen. Ja, denn "Der Engel im Kaffeehaus" muss nicht nur als Widmung und Danksagung für all die Jahre, die der Oberkellner des Café Landtmann jeden von uns mit Eleganz und Geschmack bedient bzw. unterhalten hat, gelesen werden, sondern insbesondere als Metapher des Weiterlebens der Wiener Tradition und Vergangenheit in der Moderne. Wien und die Wiener Kultur können nur existieren, in ihrer Tiefe verstanden und genossen werden durch die Erinnerung. Peter Roos' Kommentar und sein Interview sowie Clemens Fabrys Reportage lassen Claudio Magris' habsburgischen Mythos, der an jeder Ecke Wiens noch zu spüren ist, weiterleben. Dank solcher Bücher wird er nie sterben. Peter Roos' und Clemens Fabrys Buch wirft Licht auf eine "verborgene" Seite der Wiener Lebensart bzw. auf die Akteure des Kaffeehauses und dessen Geschichte, die für die selben Bewohner der Donaumetropole manchmal selbstverständlich und eine tägliche Gewohnheit ist, und für die Touristen nur als reine Attraktion erlebt wird. Gut strukturiert und balanciert sind auch die deskriptiven und figurativen Teile des Buchs, dessen Kern von dem Interview mit dem Protagonisten Robert Böck markiert ist. Es lohnt sich, das Buch zu lesen und Fabrys Bilder anzuschauen, um einen Moment auf der Brücke zwischen Vergangenheit und Moderne zu verweilen.

Titelbild

Peter Roos / Clemens Fabry: Der Engel im Kaffeehaus. "Herr Robert", Cafe Landtmann, Wien und die Welt.
Bibliothek der Provinz, Weitra 2004.
68 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3852525691

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