Dümmliche Verbeugungen

Warum die Thomas Mann-Umfrage in der "Welt" zum Heulen war

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

"Der Nobelpreisträger Günter Grass sagt soeben der Deutschen Presseagentur, er bewundere Thomas Mann, sei aber nicht von ihm beeinflußt. Auch tadele er die Verherrlichung des Dichters", eröffnet Frank Schirrmacher seinen F.A.Z.-Feuilleton-Leitartikel zum 50. Todestag Thomas Manns. Er zitiert Grass weiter: "Sensationelle Überhöhung in Form von Übertreibung hat Thomas Mann nicht verdient".

Sicher: Von der Presse gefragt, was sie zu Thomas Mann zu sagen hätten, antworteten bekannte Schriftsteller seit jeher immer mal wieder gerne - vor allem, um sich selbst zu profilieren. Derartige Umfragen haben Tradition in der Presse und konnten in guten alten Zeiten auch schon mal sehr unterhaltsam sein.

Arno Schmidt beispielsweise schrieb dem NDR 1975, er habe weder "heute noch früher [...] Interesse an Thomas Mann genommen", da Mann "nicht den geringsten Einfluß" auf Ihn gehabt habe: "Im 'Handwerklichen' ist nichts von ihm zu lernen; da er, sowohl was das Gerüst seiner Bücher als auch die Oberflächenhandlung des Textes angeht, über Freytag nicht hinausgekommen ist. [...] Ich halte Mann, im Vergleich mit sagen wir - Alfred Döblin, für unbedeutend: nie hat er sprachlich etwas gewagt, da war ihm jeder Expressionist voraus; nie einen (längst fälligen) Versuch unternommen, durch neuartige Anordnung der Prosaelemente eine bessere, eindringlichere Abbildung der Welt zu erreichen."

Natürlich war das geflunkert: Selbstverständlich hatte Mann für Schmidt intertextuell eine viel größere Bedeutung, als der Bargfelder Schimpfkünstler vor der Öffentlichkeit je ehrlich hätte zugeben können. Auch der Schmidt im Polemisieren mindestens ebenbürtige österreichische Grantler Thomas Bernhard, der Thomas Mann in seinem Roman "Auslöschung. Ein Zerfall" (1986) mit den Worten des Protagonisten Franz-Josef Murau bescheinigte, er habe eine "durch und durch kleinbürgerliche Literatur geschrieben [...], die absolut auch für den Kleinbürger bestimmt und geschrieben ist", antwortete dem ORF-Redakteur Kurt Hofmann in den 80er-Jahren höchstpersönlich: "Wenn Sie heute die Zeitung aufmachen, lesen Sie fast nur irgendwas von Thomas Mann. Jetzt ist der schon dreißig Jahre tot, und immer wieder, ununterbrochen, das ist ja nicht zum Aushalten. Dabei war das ein kleinbürgerlicher Schriftsteller, ein scheußlicher, ungeistiger, der nur für Kleinbürger geschrieben hat. Das interessiert ja nur Kleinbürger, so ein Milieu, das der beschreibt. Das ist ja ungeistig und dumm. [...] Der war völlig verkrampft und ein typischer deutscher Kleinbürger."

Doch ach, leider lesen sich diese öffentlichen Statements heute lange nicht mehr so wunderbar böse wie einst. Die Stimmen, die "Die Welt" zum feierlichen Anlass versammelt, bieten dagegen ein schlicht erbärmliches Bild. Und zwar deshalb, weil alle befragten Thomas Mann vorhersehbarerweise irgendwie toll finden und damit ihre Leser genauso zu Tode langweilen wie der unvermeidliche Grass oder auch Bundespräsident Horst Köhler (CDU), der verdächtigerweise ebenfalls plötzlich sein großes Herz für deutsche Kultbilder wie das Thomas Manns entdeckt hat.

Thomas Lang z.B. lobt sich in der "Welt" zu allererst einmal selbst, die "Selbstverständlichkeit, mit der ich, 17, 18-jährig, den 'Zauberberg' und 'Doktor Faustus' las, erscheint mir heute kühn" und entblödet sich nicht, gezwungen poppig hinzuzufügen: "In meiner Playlist steht Thomas Mann neben Tocotronic."

Juli Zeh, offenbar kurzzeitig von Ihrem Unbewussten übermannt, nennt das große Vorbild gar einen "Teil des Urschlamms, aus dem sich mein lesendes und schreibendes Bewußtsein speist".

Und der notorisch überschätzte Bernhard-Epigone Andreas Maier schließlich bekommt in seinem stupiden Beitrag überhaupt keinen einzigen ganzen Satz mehr zustande: "Unglaublich unterhaltsamer und rührender Autor. Verspielt und (auf seine dilettierende Art) gebildet zugleich", stammelt er begeistert, um schließlich im Telegrammstil weiter zu jubeln: "Ein Jahrtausendgenie, spielt in einer anderen Liga als wir alle. Mit Wolfram, mit dem Verfasser des Nibelungenlieds, mit Luther und Grimmelshausen das Größte in unserer Sprache."

Tja - fragt sich bloß, wie der 'Ligaerstling' Thomas Mann mit den anderen Genies da überhaupt reinkommt, in die Sprache. Aber das kann uns Herr Dr. Maier bestimmt auch nicht erklären.