Letzter Renaissancemensch

Arthur Koestler zum 100. Geburtstag

Von Michael RohrwasserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Rohrwasser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Out of time: Noch vor einigen Jahrzehnten war er einer der Einflussreichsten und Bestgehassten, einer der Wortgewaltigen und Vielgelesenen. Er galt als die Personifikation des politischen Intellektuellen, der nichts mehr verabscheute als den "Virus der Neutralität" oder den Rückzug in einen Elfenbeinturm. Sein Werk war ein brisantes Amalgam von (Sensations-) Journalismus, Essayistik, Literatur und Agitation - und Arthur Koestler hatte nie Deckung hinter seinen Schreibtischen gesucht, er kannte keine Scheu vor Rednertribünen und suchte stets die Einmischung und Konfrontation. Und dennoch sind inzwischen fast alle seine Reportagen, Romane und politischen Essays nur noch in Antiquariaten zu finden.

1940 hatte er jenen Roman veröffentlicht, der ihn international berühmt machte: "Darkness At Noon" ("Sonnenfinsternis"), in dem er versuchte hatte, das Rätsel der Geständnisse und der Selbstbezichtigungen der alten Kampfgefährten Lenins bei den Moskauer Schauprozessen der 30er Jahre zu lösen (und der Wahrheit nahe kam, obwohl bis dahin kaum Nachrichten nach außen gedrungen waren). Mit der morgendlichen Verhaftung zu Beginn wie mit der demütigenden Exekution zu Ende verweist er auf Franz Kafkas berühmten Roman "Der Prozess", so als würden hier nun Konkretion und Entschlüsselung nachgeliefert.

In "Sonnenfinsternis" wird eine doppelte Entwicklung sichtbar, zum einen die Loslösung des Angeklagten Rubaschow (der Züge von Nikolai Bucharin, Karl Radek und seinem Autor trägt) von der kommunistischen Bewegung, zum andern eine zunehmende Leuchtkraft. Nicht zuletzt durch die Parallelisierung mit der Französischen Revolution gewann der Stalinismus die Würde eines philosophischen Entwurfs (der Fehlschluss dieses Entwurfs war der, dass im Blick auf die große Zahl der Opfer auf eine große Idee geschlossen wurde).

Neben George Orwells "Nineteen Eighty-Four" ("1984") ist "Sonnenfinsternis" der berühmteste Roman über Stalinismus und staatskommunistisches Lager geworden; und vermutlich haben nur wenige andere literarische Werke eine größere politische Sprengkraft entfaltet. Koestler, der in den 30er Jahren Strategie und Stilistik im "Konzern" von Willi Münzenberg gelernt hatte, hätte kaum Einwände gehabt, seinen in 30 Sprachen übersetzten Roman eine "ideologische Waffe" zu nennen. Die französische KP trug zu seinem Erfolg bei, indem sie versuchte, die gesamte erste Auflage aufzukaufen.

In Deutschland war es eher sein Essay "Der Yogi und der Kommissar", den Axel Eggebrecht 1945 in den "Nordwestdeutschen Heften" publiziert hatte, der eine ähnlich starke Wirkung entfaltete, weil die Leser mit einem scharfsichtigen Bild des Kommunismus konfrontiert wurden, das wenig mit dem vom "jüdischen Weltbolschewismus" und noch weniger mit der pompösen Theaterdekoration der Nachkriegszeit im Osten zu tun hatte.

In seinem späteren Roman, "The Age of Longing" ("Gottes Thron steht leer", 1951) schilderte er im Gewand einer negativen Utopie boshaft und hellsichtig die Verführbarkeit der Intellektuellen und attackiert die Rolle der westlichen "fellow-traveller". Schauplatz des Geschehens ist Paris, wo der Autor mit den "Mandarins" auf vertrautem Fuß verkehrte: mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus ebenso wie mit Raymond Aron oder mit André Malraux, der vom Spanienkämpfer zum kulturpolitischen Berater von Charles de Gaulles aufgestiegen war. Leitmotiv des Romans ist der "Sehnsuchtsbazillus" der Intellektuellen angesichts eines "verwaisten Himmels". Frankreich steht am Vorabend durch die Invasion der "Friedensmacht" Sowjetrussland, Deutschland und Österreich sind bereits "befriedet", Wien heißt inzwischen Wienograd. Die französischen Intellektuellen bereiten sich auf die "Befreiung" vor, indem sie Namenlisten von schädlichen Volksfeinden in den eigenen Kreisen erstellen - die Listen, gespeist aus Neid und Missgunst, sind so umfangreich, dass selbst der NKWD-Resident sie nicht verwenden kann. Es ist nicht Koestlers bester, aber sein boshaftester Roman, vielleicht deshalb so gut vergessen.

Danach wurde der politische Erfolgsschriftsteller und Funktionär ruhiger: Er habe das Gefühl, alles gesagt zu haben, was über die Faszinationskraft des Kommunismus gesagt werden konnte; "Kassandra ist heiser geworden und muß neue Wege gehen", schrieb er im Vorwort zu seinem Aufsatzband "Die Fährte des Dinosauriers" (1955). Und 1980 resümierte er, in der ersten Hälfte seines Lebens sei er "auf der Suche nach Utopia" gewesen, in der zweiten Hälfte "auf der Suche nach einer Synthese". Er wollte weiter wach rütteln, doch waren es nun psychologische und naturwissenschaftliche Themen, die ihn zu Spekulationen und erfolgreichen Sachbüchern verlockten. Es ging um Haustiere, genetische Veränderungen und Parapsychologie, zuletzt um das Recht auf einen selbst bestimmten Tod. Den hat er, 1983, gemeinsam mit seiner jungen Frau Cynthia, gefunden. Und zuvor einem Biografen freundlich die Feder gelenkt. Doch zur Ruhe kam er noch nicht.

Zwölf Jahre nach seinem Tod outete Michael Foot, der frühere Chef der englischen Labour-Party, Koestler in der Financial Times als Vergewaltiger; und vier Jahre darauf erschien die Biografie von David Cesarani (sie ist nicht ins Deutsche übersetzt worden), die weitere Vorwürfe hinzufügte. Studenten im schottischen Edinburgh drohten darauf hin, eine Statue des Autors zu zerstören, wenn sie nicht aus dem Park der Universität verschwinden würde.

Wie wenig Koestlers Leben und Werk ausgeleuchtet war, zeigte zuletzt die Biografie aus der Feder des jungen Berliner Judaisten Christian Buckard (2004), in der von Stalinismus nicht mehr viel die Rede ist, auch nicht von Koestlers krimineller Rastlosigkeit und auch nicht von dem manchmal schrullig wirkenden Sachbuchautor der späten Jahre. Stattdessen wird ein ganz neuer Faden aufgerollt, der bislang kaum auf Interesse gestoßen war, zumal Koestler selbst, nach der Bedeutung seiner jüdischen Herkunft befragt, ausweichend bis verneinend geantwortet hatte. Es war eine seiner wiederkehrenden Thesen, dass am Antisemitismus auch die nicht assimilierten Juden schuld seien. Buckard folgte den Spuren des jungen Koestler, der sich in Wien einer schlagenden Verbindung von Zionisten anschließt, sich dort mit Otto Weiningers antisemitischen Attacken auseinander setzt und mit Theodor Herzls Programmen, der in Palästina praktische Erfahrungen mit dem Kibbuz-Leben sammelt, Anhänger des konfliktfreien Zusammenlebens zwischen Arabern und Zionisten wird, aber auch mit terroristischen Aktionen sympathisiert. Später ging er auf energische Distanz und erklärte: "Ich betrachte mich erstens als Mitglied der europäischen Gemeinschaft, zweitens als naturalisierter britischer Bürger unbestimmter mischrassiger Herkunft, der die ethischen Werte unserer hellenisch-judäo-christlichen Tradition akzeptiert und ihre Dogmen ablehnt".

Buckard lieferte eher eine Ergänzung denn ein vollständiges oder gar ein neues Koestler-Bild. Die Erinnerung an den leidenschaftlichen politischen Kämpfer werden dagegen geweckt durch die vor wenigen Tagen erschienenen ersten Auszüge aus seinen Tagebüchern (herausgegeben von Stephan Lahrem, in der "Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat", Nr.17). Dort kommentiert Koestler seine Reise nach Westberlin im Jahr 1950.

Im Juni 1950 fand dort der "Kongress für Kulturelle Freiheit" statt, bei dem sich rund 120 Schriftsteller und Intellektuelle aus 21 Ländern trafen, darunter James Burnham, Sidney Hook, Hugh Trevor Roper, David Rousset, Sebastian Haffner, Carlo Schmid, Alfred Weber, Raymond Aron und Franz Borkenau; aus Wien war der Atomphysiker Hans Thirring angereist. Auch einige Schriftsteller wie Theodor Plievier, Walter Mehring, Luise Rinser, Ignazio Silone oder Carl Zuckmayer gehörten zu den Teilnehmern.

Koestler forderte angesichts der jüngsten Nachrichten vom Angriff der kommunistischen Truppen Nordkoreas auf den Süden ein klares "Ja, ja oder Nein, nein" und rief den Teilnehmern des Kongresses zu: "Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen". Dem ließ der moderne Kreuzritter, der im Spanischen Bürgerkrieg die Kerker General Francos kennen gelernt hatte und aus der Todeszelle befreit worden war (dokumentiert in seinem "Spanischen Testament"), ein paar Tage später einen Aufruf für eine "europäische Freiheitslegion" folgen. Neutralismus wird von ihm als "die raffinierteste Form des intellektuellen Betrugs und vielleicht die verachtenswerteste" gebrandmarkt.

Sein Engagement, seine Rastlosigkeit und seine Rücksichtslosigkeit haben ihm viele Feinde eingetragen, nicht nur im kommunistischen Lager, wo er als amerikanischer Agent denunziert oder als "Befehlshaber im Hauptquartier des Kalten Krieges" dämonisiert wurde. Ignazio Silone hat ihn (während des Berliner Kongresses) einen "Cosmopolitan Gigolo" genannt, und Gershom Scholem registriert in seinem Tagebuch (1945) beim Gedanken an Koestler die Empfindung von "Greuel". Weniger feindselig klingt ein Titel, den ihm zuletzt einer seiner Freunde (George Mikes) verliehen hat: Koestler sei der letzte Renaissancemensch gewesen.

Auch wenn demnächst einmal alle seine Bücher vom Markt verschwunden sein werden, so ist es kein Wagnis, Koestlers Wiederkehr zu prophezeien, denn seine antitotalitäre Frontstellung und seine kämpferischen wie suggestiven Formeln haben tiefe Fährten hinterlassen und nicht nur die Literatur seiner Zeit geprägt.

Titelbild

Christian Buckard: Arthur Koestler. Ein extremes Leben 1905-1983.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
416 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3406521770

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