Wissen auf einer silbernen Scheibe?

Pierer's Universal-Lexikon und Meyers Großes Konversations-Lexikon sind auf DVD erschienen

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im 17. und 18. Jahrhundert begann man Wissen systematisch zu sammeln und zu konservieren. Das 18. Jahrhundert brachte mit Denis Diderots und Jean le Rond d'Alemberts "Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers" - zwischen 1751 und 1772 erarbeitet - "das" enzyklopädische Standardwerk auf den Markt. Natürlich hatte man auch schon davor Lexika geschrieben, Wissen gesammelt und in Buchform anderen Menschen wiederum zugänglich gemacht. Aber gerade das französische Projekt von Diderot/d'Alembert repräsentiert die ganz der Aufklärung verbundene Wissenssammlung.

Es sind Unternehmungen, die ein Spiegel für das Selbstverständnis der Menschen und der jeweiligen Zeit bzw. Epoche waren, denn es ist eine Idee von der Welt, eine Repräsentation von allem verfügbaren Wissen in Buchform vorzulegen, eine universelle Enzyklopädie zu schreiben, die den Großlexika zugrunde liegt und die letztendlich auch ein direkter Ausdruck der zeitgenössischen Philosophie ist. Alles Wissen der Welt kann zusammengefasst, archiviert und festgehalten werden. Dies ist nur theoretisch möglich, da Wissen dynamisch ist - wovon die Ergänzungsbände der Lexika zeugen - , aber ein Lexikon ist trotzdem immer ein kondensierter Ausschnitt des Wissens eines bestimmten Zeitraums.

Zwei dieser kondensierten Essenzen des Wissens einer Epoche liegen jetzt in der Digitalen Bibliothek als DVD-Rom vor: "Pierer's Universal-Lexikon" in der vierten Auflage, zwischen 1857 und 1865 erschienen, umfasst in der Druckausgabe 19 Bände und Meyers Konversations-Lexikon (seit 1905) erschien in einer ebenfalls stattlichen Bandzahl. Über die Platzersparnis im Bücherregal muss man sich nicht besonders auslassen, sie ist offensichtlich. Sollte man allerdings Gefallen finden an dem Blättern in einem Nachschlagwerk, wird man wohl weiter auf die antiquarisch zwar erhältlichen, aber doch um ein Vielfaches teureren Werke zurückgreifen müssen.

Der Pierer war und ist eines der umfangreichsten Lexika des 19. Jahrhunderts. Diese allein schon quantitativ herausragende Rolle verbindet sich mit einer aufklärerischen Geisteshaltung des Nachschlagewerks, die relativ wenig durch konfessionelle Einschränkungen und Weltsichten verstellt wurde: "Ab 1840 erschien das 'Universal-Lexicon der Gegenwart und Vergangenheit oder neues encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe' in einer völlig neubearbeiteten Auflage. Der auf 34 Bände erhöhte Umfang des Gesamtwerkes ist ein Indikator sowohl für den Fortschritt in Technik und Wissenschaft, aber auch für den ausgeweiteten Begriff dessen, was der Aufnahme würdig galt. Die gut 17.000 Seiten waren in sechs Jahren zusammengetragen - vor dem Internet eine logistische, wissenschaftliche und auch verlegerische Meisterleistung, die 1847 komplettiert wurde", erläutern die Editoren. Der Wissensvorrat wurde in verschiedenen Auflagen verarbeitet und kontinuierlich ergänzt. Nicht wenig zu schaffen machten dabei die Konkurrenzunternehmungen. Trotzdem führt der Pierer in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Liste der Lexika an, die man bei schwierigen inhaltlichen Problemen aus dem Bereich des Allgemeinwissens zur Hand nimmt, war er doch auch vor allem eine zeitgenössische Informationsquelle: "Seine rund 200.000 Stichwörter zeigen ein grandioses und dabei - anders als etwa das katholische "Herder's Conversations-Lexikon" (1853 bis 1857) weltanschaulich nicht gebundenes Panorama aus der lebendigen Mitte des 19. Jahrhunderts, an dem schließlich etwa 300 Gelehrte mitschrieben." Erwähnen sollte man noch, dass auf der vorliegenden DVD ebenso wie im Fall der Meyer-DVD der gesamte Textkorpus nicht nur als Volltext zur Verfügung steht. Man hat auch alle Seiten des Nachschlagwerks digitalisiert und als Faksimile für Recherchen verfügbar gemacht. Zwischen neu gesetztem Text und Faksimile lässt sich einfach wechseln, und ein Faksimile der Originalseite ist jederzeit für die Recherche in guter Qualität verfügbar. Damit wird der Pierer zu einem der wichtigsten Hilfsmittel bei der Suche nach allgemeinen Informationen zur Mitte des 19. Jahrhunderts, ist nahezu unentbehrlich für jeden Editor, Kulturwissenschaftler, Literaturwissenschaftler oder Historiker, der sich mit dem 19. Jahrhundert beschäftigt.

Beim Meyer verhält es sich etwas anders. Zwar gibt es schon ein "offenes" Digitalisierungsprojekt im Internet, das nach und nach Meyers Konversationslexikon ebenfalls als Volltext und Faksimile jedem Anwender zur Verfügung stellt, aber einmal abgesehen von der dort etwas unübersichtlichen Benutzeroberfläche, ist der entscheidende Vorteil der Ausgabe der Digitalen Bibliothek, die Integration von Meyers Konversations-Lexikon in die Recherchier-Umgebung "Digitale Bibliothek", sodass zum Beispiel über den Pierer und den Meyer gleichzeitig gesucht werden kann. Vergleiche der Suchergebnisse lassen sich viele anführen, bei denen dem Benutzer nicht zuletzt die unterschiedlichen Schichten von Wissen, der zeitliche Wissenszuwachs, Veränderungen, Aktualität und Qualität von Informationen und vor allem auch die Relativität von Wissen deutlich werden. Der Meyer mit seinem Erscheinungsdatum 1905 kann auf seine Vorgängerausgaben zurückgreifen, repräsentiert den Wissensstand einer Gesellschaft, der etwa zehn bis zwanzig Jahre vor dem Erscheinungsdatum aktuell war. Er ist das Lexikon, das man zu Rate ziehen sollte, wenn es um Informationen geht, die sich auf das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts beziehen.

Beide Nachschlagwerke sind allein schon von ihrem Umfang nahezu unerschöpfliche Wissensquellen. In der einleitenden editorischen Vorbemerkung zum Meyer wird die Bedeutung des Nachschlagewerks kurz skizziert: "Die sechste Auflage von 'Meyer's Großem Konversations-Lexikon', die hier als Band 100 der Digitalen Bibliothek vorliegt, ist 100 Jahre alt. Sie erschien von 1902 bis 1909. Bereits ab 1905 wurden Neuauflagen der ersten Bände notwendig. In den Folgejahren wurden vier Supplementbände angegliedert, und von 1916 bis 1920 folgten drei Kriegsnachträge. Mit rund 155.000 Stichwörtern auf ca. 23.000 Seiten war dieses Lexikon in seiner Zeit ein herausragendes Mammutunterfangen. Das Ergebnis ist ein bis heute gültiges Standardwerk zu den technischen, naturwissenschaftlichen und sozialen Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die in jeder Hinsicht richtungsweisend für das 20. Jahrhundert waren."

Beide Lexika sind wesentliche Bereicherungen für jede Bibliothek und für jeden Bücherschrank - wenn man dies bei einem digitalen Werk so formulieren kann. Technisch hervorragend aufbereitet, bietet die Benutzeroberfläche komfortable Such- und Findemechanismen. Trunkierung, Volltextsuche und kombinierte Suche mit Operatoren ermöglicht effektives Recherchieren über alle Bände der Digitalen Bibliothek, eben auch über den Meyer und den Pierer. Beide Lexika sind sowohl für den Wissenschaftler als auch für den interessierten Laien ein repräsentatives Nachschlagwerk und damit auch eine Wissensbasis, die als zusätzliche Informationsquelle bei Sachverhalten aus dem 19. Jahrhundert hinzugezogen werden sollte - unverzichtbar und praktisch! Da nimmt man wissenschaftliche Hilfsmittel gerne zur Hand.

Nachbemerkung: Der Meyers wurde noch einmal als CD-ROM-Edition als Studienausgabe veröffentlicht. Hier fehlen die Faksimiles der DVD-Edition. Wer also aus die Reproduktion der Originalseiten verzichten kann, ist ebenso gut mit der Studienausgabe bedient.

Titelbild

Heinrich-August Pierer: Pierer's Universal-Lexikon. DVD. 4., umgearb. und stark verm. Auflage, 1857/1865.
Directmedia Publishing, Berlin 2004.
99,99 EUR.
ISBN-10: 3898535150

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Meyers Großes Konversations-Lexikon. DVD. 6. Auflage 1905-1909. Faksimile und Volltext aller 20 Bände, 10000 Abbildungen.
Directmedia Publishing, Berlin 2005.
222328 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3898535002

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Meyers Großes Konversations-Lexikon. CD-Rom. DVD-Box.
Directmedia Publishing, Berlin 2005.
210000 Seiten, 89,90 EUR.
ISBN-10: 3898530302

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