Spiel mit dem Feuer

Fotografische Porträts von Loretta Lux

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Anne Geddes die Mutter der Kinder-Fotografie ist, dann ist Loretta Lux der nette Onkel. Das klingt zwar verwirrend, beschreibt aber zutreffend, was Lux' Fotografie vom zur fotografischen Umweltverschmutzung tendierenden Kitsch Geddes' unterscheidet. Wohliges Baby-Gebrabbel kommt Lux nicht vor die Linse. Auch den Weichzeichner lässt sie lieber in der Tasche. "Meine Fotografien handeln von Kindheit und Verlorenheit in der Welt als existenzielle Grunderfahrung des Menschen", kommentiert die Fotografin ihre Portraits, die für die New York Times "zu den eigentümlichsten, überaus raffiniert manipulierten Bildern" unserer Zeit gehören.

Die digital nachbearbeiteten Aufnahmen der 1969 in Dresden geborenen Künstlerin irritieren den Betrachter in ihrer Unbestimmtheit zwischen Fotografie und Malerei, zwischen Realität und märchenhaft entrückter Traumwelt: Die Dargestellten, meist Kinder mit Porzellanteint und manierierten Gesten, wirken in ihrer Puppenhaftigkeit beinahe unnatürlich. Ihr Blick ist ausdruckslos und leer und erinnert nicht von ungefähr an die Alien-Kinder in John Carpenters Science-Fiction-Klassiker "Das Dorf der Verdammten". Sie posieren vor schlichten Interieurs, kargen oder romantischen Landschaften, die an Ansichten alter Meister erinnern, etwa an Gemälde von Velásquez oder Runge.

Im Spiel mit den Ebenen heben sich die überscharfen, perfekt ausgeleuchteten und klar umrissenen Figuren collagenartig vor ihren Hintergründen ab. "Kinder werden zu dem, was wir aus ihnen machen." - So lautet das Credo dieser Art von Fotografie, die die visuelle Konstruktion unserer Wahrnehmung auf besonders nachdrückliche Weise in die Gestaltung mit einbezieht. Lux' Portraits entstehen in einem aufwändigen Arbeitsprozess - von der Auswahl der Modelle und deren Kleidung, den oft selbst gemalten, farblich abgestimmten Hintergründen bis zur Nachbearbeitung am Computer.

Wo der nette Onkel aus dem ersten Absatz geblieben ist, wollen Sie erfahren? Den will ich ihnen nicht vorenthalten. Doch sein Name lautet nicht Loretta Lux, sondern Rast. Peter Rast, um genau zu sein. Auch Herr Rast hat sich das Buch angeschafft und blättert eben versonnen darin. Denn Fotomontagen wie "The Rose Garden", die ein etwa fünfjähriges Mädchen in kurzem Minirock und beinahe exhibitionistischer Pose zeigt, aktivieren die (perverse) Fantasie so gezielt, dass sich unser imaginierter Betrachter beim Produzieren einschlägiger Vorstellungen förmlich selbst zusehen kann. Wenn Lux' Werk also verstörend wirkt, dann sicherlich auch aus diesem Grund.

Titelbild

Nancy Grupp (Hg.): Loretta Lux.
Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 2005.
96 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3775715916

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