Gefesselter der Gattenliebe

Günther Eisenhuber hat Adalbert Stifters Liebespost gesammelt

Von Ulrike MatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Matzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum dem häuslichen Verdruss entflohen, schon stieg ungute Bänglichkeit in Adalbert Stifter hoch. Heimweh nach seinem Kaktus überfiel ihn. Und vor allem heftiger Liebesschmerz begann ihn zu plagen, nach der "innigst geliebten teuersten Gattin". In jeweils sicherer Entfernung setzt sein Sehnen ein; ein Aufenthalt im Nachbarort reicht da schon. "Gar schrecklich" ist ihm das Entzweitsein von ihr; "allein, recht sehr und recht bitterlich allein" fühlt er sich auf Inspizierreisen und bei Erholungsaufenthalten.

Erleichterung in seiner Not verschuf er sich im Briefeschreiben. Und Stifter war ein besonders emsiger Briefeschreiber. Neben hunderten von Bettelbriefen an Gustav Heckenast, seinen einzigen Verleger, Beichtvater, Weinlieferanten und Lebensmenschen, insbesondere in Kreditangelegenheiten, sind uns die berühmten Liebesbriefe an seine Gattin Amalie erhalten. Auch sie haben etwas von Bettelbriefen an sich in ihrem Sehnsuchtston. "Sei so gut und stirb nur diese 14 Tage nicht, daß ich dich noch sehe", fleht der kaum vier Jahre verheiratete 35-jährige seine um einiges jüngere Frau an.

Nebeneinander her durchs Leben driftend hatten die beiden in Wahrheit reichlich Unmut aneinander. Der eheliche Bund war Stifters eifersüchtelnde Trotzreaktion auf die Heirat seiner angeschwärmten Studentenliebe Fanny Greipl mit einem anderen. Vielleicht auch der hilflose Versuch des ewigen Zauderers, im firmen Rahmen institutioneller Gattenliebe Halt zu finden. Oder zumindest ein Kanalisationssystem für seine subkutan brodelnden Obsessionen.

In variantenreichen Zärtelfloskeln (die zuweilen recht rührend und berührend sind) biegt er sich die Nichtbeziehung zurecht zur "heißen ehelichen Liebe" - um sich selbst, seine Frau und die potenzielle spätere LeserInnenschaft, mit der er durchaus spekuliert hat, zu täuschen. Zur Sprache kommt - wie in seiner Literatur - das, was ihm das Leben versagte; Stifter "schickte Träume briefweise in die Welt" (Arnold Stadler).

Nach umstandsmeierischen Einleitungen also, viel Selbstmitleid, Lamento und Anweisungen an seine Frau wird betulich Brief um Brief die wenig aufregende "Lebensgeschichte" ausgefaltet: "Um 3 1/2 dieser Brief an dich. Dann folgt wieder Arbeit an Witiko bis 9 Uhr, dann harrt meiner eine ganze Ente. Mich hungert aber jetzt schon so, daß ich glaube, ich esse zwei." - Biedere wie zugleich exzessive Berichte über Gaumenausschweifungsgelüste, wetterbedingte Ungemach, allerlei Idiosynkrasien und leibliche Gebrechen.

Mit an Sadismus grenzender Genauigkeit schildert er Amalie das Hinscheiden ihres Hündchens Muffi während ihrer Abwesenheit ("Er blieb recht lange warm") und die anschließende makabre Einsargungs- und Begräbniszeremonie. Bisweilen wird er richtig närrisch, ja selbstironisch; meist aber passiert die Komik unfreiwillig: "N.S. Von diesem Briefe kannst du gleich das leere Blatt abschneiden und die Antwort drauf schreiben".

Der Antwort harrt er (wie so oft) mit "unerwartlicher Ungeduld", bis ihm aller Mut fällt. Amalie weiß nie recht, was sie erwidern soll, bemüht sich trotzdem manchmal, in ihrer pragmatisch-kühlen Art und Schreibweise: "Genieße die Freiheit so lange du kanst den wen ich einmahl da bin stehest Du wieder unter der Aufsicht" (...) "und vieleicht straft dich der liebe Gott noch mehr, so zwar, daß du mit mir auch noch die goldene Hochzeit erleben mußt".

Indes nahm Stifters schizophren (selbst-)quälerisches Verhältnis zu Amalie mit fortschreitender Krankheit und Umdüsterung der Seele zunehmend wunderliche Formen an. Immer reiner, heiliger und hehrer wird die angebliche Liebe zur Ehefrau; die quasi-romantischen Herzensergüsse und reuevollen Zeilen des Moribunden wirken wie vorweggenommene Abschiedsbriefe. "Wie eine lichte Wolke, war es mir, schwebe Liebe von mir zu dir ins Tal hinab" - eine Hypokrisie der sanften Worte zur Übernebelung der "Wildnisse Schlünde Abgründe", derer Stifter sich durchaus bewusst war.

Gerade in der Wortwahl, der Nicht-Selbstverständlichkeit der Sprache, liegt der delikate Charme der Briefe. Im O-Ton vorgetragen, entrollt sich so nicht nur ein kitschig-tragischer Liebesroman, sondern vor allem die wahrscheinlich wahrhaftigste Biografie Adalbert Stifters.

Ein origineller Essay Margit Schreiners über des Dichters verkappte Erotomanie ist der bündigen Briefauswahl vorangestellt. Die Linzer Autorin gilt ja als Kundige in Sachen Liebessehnsucht und Unmöglichkeit der Liebe, während der Herausgeber Günther Eisenhuber bereits letztes Jahr mit einer unterhaltsamen Anthologie persönlicher Malaisen großer Geister aufmerken ließ ("Privat. Aus dem Alltag der Dichter und Denker").Kurz: Das Büchlein darf wohl mit Recht als amüsantestes der Stifterjubiläums-Neuerscheinungen bezeichnet werden.

Titelbild

Günther Eisenhuber (Hg.): Adalbert Stifters Liebespost. Von Liebesleid und Gattenglück.
Mit einem Vorwort von Margit Schreiner.
Residenz Verlag, Salzburg 2005.
200 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3701714258

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