Die Zeit schreit nach Satire - und nach Handbüchern

Hermann Haarmann inventarisiert die "Satire in der Publizistik der Weimarer Republik"

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Handbücher verdanken ihre Entstehung in erster Linie dem unternehmerischen Kalkül von Herausgebern und Verlegern. Das "Handbuch", das Gegenstand dieser Besprechung sein soll, ist eigentlich gar keins. Die irreführende Bezeichnung verdankt sich wohl der Hoffnung auf einen größeren Absatz.

Haarmann und seine Mitarbeiterin Klein gliedern eher schick als aussagekräftig in "Augenblicke", "Einblicke", "Wechselblicke" und "Ausblicke". Mit den ersten drei Begriffen sind Maler/Zeichner/Fotokünstler, Literaten, Zeitschriften gemeint, der letzte Terminus fasst alle wieder zusammen und stellt die "Satire im Exil" dar. Jedes Kapitel besteht aus Darstellung und Dokumentation. Dies ist dem angestrebten Handbuchcharakter geschuldet. So interessant die dokumentierten Beispiele satirischer Kunst auch sind, so muss man doch sagen, dass ihrer zu wenige sind, um als repräsentativ gelten zu können. Zudem ist die Auswahl auch vergleichsweise subjektiv ausgefallen. Tucholskys Texte gegen die Nationalsozialisten und ihre Anhänger (etwa der hintersinnige "Schulaufsatz" zum Thema "Hitler und Goethe" von 1932) oder seine wichtigen Justizsatiren fehlen ebenso wie Kästners bekannte und zeittypische "Sachliche Romanze" oder seine sozialkritischen Gedichte (etwa die "Ansprache an Millionäre").

Auch dürfte es schlechterdings unmöglich sein, die Geschichte der an Satiren reichen Weimarer Zeit auf weniger als 250 Seiten umfassend darzustellen, selbst wenn man sich auf die pulizistische Satire beschränkt und andere Publikationsformen außen vor läßt (obwohl die Übergänge in der Zeit fließend sind). Erst wenn man sich als Leser von der Erwartung lexikographischer Vollständigkeit verabschiedet hat, liest sich der Band als eine gut geschriebene, klar strukturierte und viel interessantes Material zusammentragende Studie, die der Anfang für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema sein kann. Handelt es sich bei der Zeit von 1919 bis 1933 doch um eine Epoche deutscher Geschichte, deren Vielschichtigkeit über Jahrzehnte in direktem Verhältnis zu ihrer Vernachlässigung stand. Zu lange hat man sie als Vorspiel zur Tragödie des Nationalsozialismus gesehen. Das stellt auch Haarmann fest, obwohl er sich von der negativen Etikettierung nur zaghaft zu lösen vermag. Fazit: Kein Handbuch, aber eine informative Studie mit Einführungscharakter.

Titelbild

Hermann Haarmann: "Pleite glotzt Euch an. Restlos".
Westdeutscher Verlag, Opladen 1999.
242 Seiten, 35,70 EUR.
ISBN-10: 3531132954

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