Spott und Geifer

Die kuriose Literaturkritik des Friedrich Schulz von 1783, herausgegeben von Alexander Košenina

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wegwerfen wird jeder Mann von gesundem Gefühl dies schale und zum Theil bübische Gewäsche, dessen Urheber irgend ein junger schwärmerischer Student seyn mag", schreibt Johann Joachim Eschenburg in seiner Rezension zur Erstveröffentlichung des "Almanachs für Bellettristen" 1783. Obwohl selbst glimpflich davongekommen, kann er das Werk des anonymen "Verläumders" nicht gutheißen, prasselt doch "Spott und Geifer" all zu großzügig auf den Parnass deutscher Dichter.

Und in der Tat: Friedrich Schulzes (inzwischen hat die Forschung den Urheber ermittelt) "Almanach" präsentiert 130 mal mehr, mal weniger glänzende Sottisen, ist aber immer unterhaltsam zu lesen. Entstanden in Anlehnung an den nur ein Jahr zuvor veröffentlichten "Kirchen- und Ketzeralmanachs", durcheilt Schulz die deutsche Literaturlandschaft und teilt nach rechts wie links aus. "Ich hatte schon lange dies und das von meinen lieben Handwerksgenossen auf dem Herzen", wie Schulz in der Vorrede an den Leser erklärt. Kurioser Weise findet sich unter dem Eintrag "Friedrich Schulz" folgende Bemerkung: "Es ist gut, wenn die Leute schon [...] früh anfangen, dies oder jenes, was sie in feurigen Stunden ein wenig erhizt niederschrieben, nicht gut zu heissen."

Also alles nur ein Spiel? Weit gefehlt! Wenn auch seinen polemischen Urteilen die Lust am Spott allzu oft anzumerken ist, so liegt darin gerade auch ein Verdienst. Walter Benjamin trat noch knapp 150 Jahre später für das Recht der Literaturkritik auf Polemik ein. Neben Sentenzen bezüglich K. E. K. und C. A. Schmidt wie "Alle beiden Dichter von keinem Belange. Ihrer haben wir jezt eine unzälige Menge; einer dergleichen ist schon zuviel!" finden sich auch leisere Töne, z. B. unter dem Eintrag Gerstenberg: "War zu seiner Zeit ein beliebter Dichter; jezt ist er, o Schande! beinahe vergessen. Sonst waren unsere Damen Gerstenbergianerinnen, wie sie jezt Bürgerianerinnen, Vossianerinnen, Stolbergerianerinnen etc. kurz Almanachianerinnen sind." In den 130 Schriftstellerportraits gelingt es Schulz, den jeweiligen Literaten als Person zu zeichnen und ein Urteil zu dessen Werk zu destillieren. Damit nimmt er Formen des Feuilletons vorweg. So lässt sich auch die Wertschätzung Schulzes durch Schiller - der selbst nicht im Almanach verzeichnet ist - verstehen, der diesen für einen "Mensch mit Kopf, satirischem Beobachtungsgeist und vieler Laune", auch Goethe zählt ihn zu den "geistreichen Menschen". Lichtenberg schließlich bezieht sich direkt auf den Almanach, wenn er hervorhebt, dass Schulz zwar "öfters die Wahrheit" sage, aber in den meisten Fällen "wie die Narren und die Kinder".

Das eigentliche Kuriosum stellt jedoch der dem Buch vorangehende Parnass und der Mondkalender dar: bei Ersterem handelt es sich um einen Kupferstich, der Goethe, Herder Lenz und Klinger auf oberster Spitze versammelt. Bei Letzterem handelt es sich um ein eigenwilliges Kalendarium, dass die Dichter nicht nach ihren Geburtsdaten versammelt, sondern in auf- und absteigender Linie der Monatswitterungen. Hier entwickelt Schulz sein eigentliches literarkritisches Instrumentarium, indem er durch willkürliche literarische Gruppenbildungen Konstellationen zwischen Schriftstellern schafft und sie ins Verhältnis zu Wetterprognosen und Charakteristika des Bauernkalenders setzt. Eine Trouvaille der Literaturgeschichte, die einen originellen Beitrag zur Praxis der Literaturkritik darstellt.

Titelbild

Friedrich Schulz: Almanach der Bellettristen und Bellettristinnen auf das Jahr 1782. Mit einem Nachwort herausgegeben von Alexander Kosenina.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2004.
168 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3865250076

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