Michael Jackson der Schokolade

Ein Buch zur Geschichte des Sarotti-Mohren

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werbefiguren spielen für Markenauftritte vieler Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie haben hohen Wiedererkennungswert bei gleichzeitiger Variabilität der mit ihnen verbundenen Botschaften. Die ersten gegen Ende der 40er Jahre entstandenen Werbefiguren waren noch kleine Besserwisser - wie "Fridolin, der freundliche Helfer der Hausfrau", ein Koch, der seinem Publikum Maggi-Suppe schmackhaft machen sollte. Seit den 50er Jahren eroberte dann eine bunte Figurenwelt die Anzeigen, Plakate und Fernsehschirme: Lurchi warb für Salamander-Schuhe, das HB-Männchen für Zigaretten, der Bärenmarke-Bär für Kondensmilch und die Mainzelmännchen für das ZDF.

Während der letzten Monate des Ersten Weltkriegs erblickte eine Figur das Licht der Welt, die bis heute zu den bekanntesten der deutschen Werbegeschichte gehört: der Sarotti-Mohr. Seiner Geschichte spüren Rita Gudermann und Bernhard Wulff in ihrem gleichnamigen Buch nach.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann die neue Mode des Schokoladengenusses auch Deutschland zu erobern. Da Kakao zu dieser Zeit noch kostbar und teuer war, traf man ihn lange Zeit nur in den Kreisen der feineren Gesellschaft an. Auch der Mohr hielt Einzug in die Europäischen Höfe: als Diener. Während des 18. Jahrhunderts kam es auch in großbürgerlichen Familien in Mode, sich einen Mohrenpagen zu "halten". Zusammen mit der Schokolade erlebte der Orientalismus so seine erste Blütezeit.

Im September 1852 eröffnete in Berlin das Confiserie-Geschäft "Felix & Sarotti", wobei bis heute umstritten ist, woher der Name Sarotti stammt. Im Zuge der Industrialisierung entstanden zahlreiche neue Zucker- und Schokoladenfabriken. Dresden wurde zum Zentrum der deutschen Schokoladenproduktion. 1880 stellte man dort jährlich 550 Tonnen Schokolade her, etwa ein Drittel der deutschen Gesamtproduktion. Auch in Berlin-Tempelhof entstand eine moderne Fabrikanlage, die "Sarotti Chocoladen- & Cacao-Industrie A.-G." 1910 waren hier bereits 1.800 Arbeiter angestellt. Die Tatsache, dass immer mehr Fabriken miteinander konkurrierten, machte erstmals ein Gesetz zum Schutz von Marken erforderlich: die Markenschokolade war geboren.

Dass eine Marke beworben werden musste, erkannten die Fabrikanten schnell. 1918 erschuf der Berliner Grafiker Julius Gipkens die Figur des Sarotti-Mohren. In den kritischen Nachkriegsjahren musste die Schokoladenproduktion mühsam wieder angekurbelt werden, und das Publikum fasste schnell Zuneigung zu der farbenfrohen Figur. Zur Zeit des Nationalsozialismus passte diese jedoch schon nicht mehr zur herrschenden Doktrin. Während des Zweiten Weltkriegs kurz von der Bühne verschwunden, feierte der Mohr in der Zeit des Weltwirtschaftswunders in der jungen Bundesrepublik ein glänzendes Comeback. Er prangte nicht nur auf Pralinenschachteln und Schokoladentafeln, sondern tänzelte auch schon bald durch die ersten Werbespots des deutschen Fernsehens. Viele verbanden mit ihm das beglückende Gefühl, nach den langen Jahren der Entbehrung wieder in den Genuss von Schokolade zu kommen.

In den 60er Jahren polarisierte die Figur mehr und mehr. Viele Kritiker glaubten in ihr ein rassistisches Stereotyp zu erkennen. Eine Werbefigur, die alle Attribute eines Dieners zeigt, das Tablett in der Hand, willfährig auf den nächsten Befehl seines Herrn wartend, womöglich ein versklavter Afrikaner und Inbegriff deutscher Kolonialherrschaft, sollte nicht länger für den Absatz von Schokolade werben dürfen. Wie so oft zeigte sich, dass ein tieferes Wissen der Konsumenten um geschichtliche Hintergründe der Verbreitung werbender Botschaften nur bedingt zuträglich ist. Die zahlreichen Fans und begeisterten Sammler von Dosen, Tassen und Schildern mit dem Sarotti-Mohren hielten dagegen und fragten sich, welche Gefahr schon von einer bunten Werbefigur mit bunten Kulleraugen ausgehen könne.

Im Jahr 2004 trugen die Marketing-Experten der anhaltenden Kritik Rechnung und verpassten dem Sarotti-Mohren kurzerhand ein neues Image: aus dem Diener wurde ein "Magier der Sinne". Nun hat der Mohr eine goldene Hautfarbe, steht auf einem Halbmond und jongliert mit Sternen. Ob die nassforsche Umgestaltung der Galionsfigur der "schwarzen" Vergangenheit Deutschlands wirklich Rechnung trägt, ist zu bezweifeln. Der ganz auf seine Unterhaltungsqualitäten abgestellte Magier leistet dem heimeligen Exotismus, der selbst in fernen Ländern die heimatliche Kirchturmspitze nicht aus den Augen verliert, nicht weniger Vorschub als das Klischee des kindlichen, dienstbaren Mohren.

Das wechselvolle Schicksal des Sarotti-Mohren spiegelt ein Stück deutscher Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Diese Figur spiegelt die Zeit, auf deren Bühne sie jeweils agiert; ihn ihr verdichten sich Glanz und Elend, Genuss und Reue, Aufstieg und Niedergang. Ihr Erfolg ist untrennbar verknüpft mit der Ambivalenz von Faszination und Ablehnung, die das spannungsgeladene Verhältnis von Orient und Okzident bis heute prägt. Das naive Gegensteuern, mit dem die Sarotti-Werbung versucht, Fährnisse zu umschiffen und den Mohren aus dem Dickicht der Rassismus-Diskussionen auf den Pfad der Political Correctnes zurückzuführen, ist nur ein weiterer Ausdruck dieses Potenzials.

Titelbild

Rita Gudermann: Der Sarotti-Mohr. Die bewegte Geschichte einer Werbefigur.
Ch. Links Verlag, Berlin 2004.
174 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3861533413

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