Geschlechter-differánce

Ein literaturwissenschaftlicher Sammelband zu Weiblichkeit bei Elfriede Jelinek und anderen zeitgenössischen Autorinnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit in den 80er Jahren ihre Romane "Die Klavierspielerinnen" und "Lust" erschienen, stößt Elfriede Jelinek in weiten Kreisen der LiteraturwissenschaflerInnen auf lebhaftes Interesse. Die der Autorin im Jahre 2004 aus Schweden zuteil gewordene Ehrung dürfte eine noch rasanter ansteigende Anzahl der ihr und ihren Werken gewidmeten Aufsätze, Essays, Dissertationen und sonstiger wissenschaftlicher Publikationen evozieren. Auf die Nobelpreisverleihung weder direkt noch indirekt jedoch geht ein von Bettina Gruber und Heinz Peter Preußer unter dem Titel "Weiblichkeit als Programm?" herausgegebener Sammelband zurück, dessen Beiträge sich überwiegend mit Jelinek befassen, fußt er doch auf einer Tagung, die im Jahre 2003 in Königswinter stattfand, also bereits zwei Jahre bevor der österreichischen Autorin die höchste Auszeichnung zuerkannt wurde, welche die literarische Welt zu vergeben hat.

Mit Gruber und Preußer zeichnen zwei WissenschaftlerInnen für einen dem Gender-Diskurs zuzurechnenden Band verantwortlich, deren Forschungstätigkeiten sich gemeinhin im Mainstream der Disziplin bewegen. Im Vorwort wenden sie sich sowohl gegen die "Ontologisierung des Weiblichen" als auch gegen den, wie es polemisch heißt, "Diskurstotalitarismus". Eine derart aggressive Formulierung lässt kaum eine sachliche Auseinandersetzung mit den so gekennzeichneten Ansätzen erwarten. So vermuten Gruber und Preußer hinter der diskurstheoretischen Kritik an Theoremen, die "physiologischen Differenzen" eine "gewisse Bedeutung" bemessen, denn auch eine "angstgesteuerte Abwehrreaktion" von Diskurstheoretikerinnen, die einer "Rechtfertigung für eine Rückkehr der Frauen zu den drei Ks von Kinder, Küche und Kirche" vorbeugen wollten. Somit setzen Gruber und Preußer Mutmaßungen über das psychische Befinden von Theoretikerinnen an die Stelle einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der von diesen vertretenen Theorien und empfehlen ihnen mit der Feststellung, "[j]ede sozialwissenschaftlich gestützte Betrachtung lehr[e] mittlerweile ohnehin, dass die soziale Formbarkeit von Geschlecht eine außerordentlich weit reichende ist", sich doch "endlich [zu] beruhig[en]" und "die physisch verschiedene Existenz der Geschlechter und ihre soziale Konstruiertheit theoretisch so nebeneinander zu lassen, wie sie faktisch koexistieren". Letzteres ist ein erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch erstaunlich naives Ansinnen.

Einige der AutorInnen des Bandes zeigen sich bezüglich grundlegender theoretischer Fragen und Ansätze immerhin weit beschlagener als die HerausgeberInnen. Zu den anspruchsvollsten und zugleich ansprechendsten Beiträgen des Bandes zählt Bärbel Lückes "dekonstruktivistische Lektüre" von Jelineks "'Prinzessinnendramen' Der Tod und das Mädchen I-III", anhand derer sie, "einen bedeutungstheoretischen Ansatz im Sinne von Derridas différance" entwirft, "indem sie den Bedeutungen und Bedeutungsverschiebungen, das heißt -bewegungen der Wörter und (Eigen-)Namen folgt". Jelinek, so lautet das Fazit der Autorin, unterminiere die Geschlechter-Differenz, indem sie diese in "vielfältige Paradigmen" einschreibe, die sie unterlaufen und zur "Geschlechter-differánce" umschreiben.

Ebenfalls dekonstruktivistisch geschult zeigt sich eine der vier Untersuchungen, die nicht auf die Nobelpreisträgerin Bezug nehmen. In ihr widmet sich Teresa Ludden der "Differenz/Différance bei Anne Duden" und geht der Frage nach, wie deren Arbeiten Möglichkeiten eröffnen, "Differenz zu denken". Hierzu liest sie Dudens Texte als "theoretische Ressourcen, die verschiedene Modi der Differenz beschreiben". Dudens "Modell des Differenzschreibens", so die Autorin, setze nicht auf die Wiederholung des Gleichen, sondern intendiere das "Zuhören des Stimmlosen", womit sie neue Räume öffne, "in denen neue Bedeutungen auftauchen und sich verwirklichen können".

Die Mehrzahl der Beiträge, die sich verschiedenen Stücken Jelineks widmen oder bestimmten Aspekten ihres Œuvres gelten, setzen diese in Beziehung zu den Arbeiten zweier anderer österreichischer Schriftstellerinnen der jüngsten Vergangenheit bzw. der Gegenwartsliteratur: Ingeborg Bachmann und Marlene Streeruwitz. So vergleicht Alexandra Pontzen das Verhältnis von Sprache und Sexualität bei Jelinek mit demjenigen ihrer - wie man sagen muss: zu Recht - nicht ganz so erfolgreichen Schwester im Geiste Marlene Streeruwitz. Die "Sonderstellung", die beide Autorinnen in der 'erotischen Literatur' zweifellos innehaben, gründet Pontzen zufolge darin, dass sie Erotik nicht nur als "kulturelle Fiktion männlicher Prägung im Dienste gesellschaftlicher Machtkonstruktion" auffassen, sondern dass sie - vielleicht wichtiger noch - zudem "weder in einer natur-metaphorischen weiblichen Ästhetik noch in einer durch Oberflächenironie verschleierten sentimentalen Pornographie einen Modus sehen, Sexualität aus weiblicher Sicht darzustellen".

Gleich zwei Beiträge, diejenigen von Sabine Wilke und Jutta Schlich, vergleichen Jelinek mit Bachmann. Schlich liest Bachmanns "Malina" "im Lichte von Elfriede Jelineks Filmbuch". Anders als die bisherige Forschung sieht die Autorin in Malina weder eine "aufgelöste Figur", noch ein "projiziertes alter ego des Ichs" oder "dessen männliche[n] Doppelgänger". Auch erzähle der Roman keine "Dreiecksgeschichte". Ihr innovativer Blick sieht die titelstiftende Figur vielmehr als "unbarmherzige Spiegelfunktion" des erzählenden Ichs. Dem "weiblich klingende[n] Männernamen" wohne die "Konnotierung männlicher, von der Frau zu radikalen Selbsterkundungszwecken ausgenutzter Ignoranz" inne. So bedeute Malina die "entschlossene Funktionalisierung eines Mannes durch eine Frau im Rahmen von dessen partnerschaftliche[m] Selbstverständnis, so wie es sich der Frau bis dahin zu verstehen gegeben hat". Zugleich offenbare sich Malinas Grundeinstellung zum Ich als "eine terrorisierende Art von Fürsorge". Der Roman handle damit von der Möglichkeit "radikale[r] Selbsterkundung eines weiblichen Ichs und seiner traumatischen Geschichte im Rahmen patriarchalischer Verhältnisse, in denen es die Rolle des Nichtwahrgenommenen innehat".

Anders als Schlich versucht sich Wilke den Werken von Bachmann und Jelinek mit dem Instrumentarium der postcolonial studies zu nähern, was nicht immer zu überzeugenden Ergebnissen führt. Dem Befund, dass Bachmann in der deutschen Literatur der Nachkriegszeit auch bezüglich der "Aufarbeitung der kolonialen Tradition Europas [...] wieder einmal Vorreiterin" gewesen sei, mag man sicher zustimmen. Auch dem Befund, dass Kolonisatorinnen bzw. die Begleiterinnen von Kolonisatoren in Kolonialromanen und in Reiseberichten etwa des Afrikaner-mordenden Schopenhauerianers Carl Peters und seiner Geliebten Frieda von Bülow als "grausame weiße Frau[en]" auftreten. Nicht so jedoch der These, die titelgebende Figur des nachgelassenen Fragments "Das Buch Franza" könne im Sudan und in Ägypten qua Hautfarbe nur als "grausame Frau" überleben - die sie jedoch ganz offensichtlich nicht ist - und dass dies der Grund für ihren literarischen Tod sei.

Titelbild

Bettina Gruber / Heinz Peter Preußer: Weiblichkeit als politisches Programm? Sexualität, Macht und Mythos.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2004.
185 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3826026667

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch