Sterne des Vaterlandes

Gedichte von Ko Un

Von Friedhelm BertuliesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Bertulies

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wo immer ein Gespräch über Autoren der koreanischen Weltliteratur stattfindet, da wird auch sein Name genannt: Ko Un. Einer der bedeutendsten Dichter der koreanischen Gegenwartsliteratur; furchtloser Kämpfer für Menschenrechte in seiner Heimat, einer, der der Folter erlag und endlich doch heimisch bleiben konnte in dieser Welt. Einer, dem es immer wieder glückt, aus den Trümmern seines eingestürzten Weltvertrauens große Texte zu formen; ein aus Liebe der Kutte entlaufener Mönch und wenig später glücklicher Vater einer Tochter; ein unermüdlicher Streiter dafür, dass auch in Korea endlich zusammenwächst, was zusammengehört.

Mit dem Gedichtband "Die Sterne über dem Land der Väter" stellte er sich 1996 erstmals einem deutschprachigen Lesepublikum vor. Der Band war bald vergriffen, und dass er jetzt in der Bibliothek Suhrkamp wieder greifbar ist, kann gar nicht genug begrüßt werden. Über den dezent taubengrauen Umschlag zieht sich ein silbernes Band - ein Silberstreifen am Horizont für die koreanische Literatur in deutscher Übersetzung?

Es ist eine Auswahl von 64 Gedichten aus den 90 der koreanischen Originalausgabe. Wenn der Rezensent seinen deutschen Freunden sein Lieblingsgedicht ("Marathon") immer noch selbst übersetzen muss, ist das kein Einwand gegen die Auswahl. Die vorliegenden Übertragungen sind ausgezeichnet und bieten Stoff für packende und bewegende Leseerlebnisse. Der Übersetzer Siegfried Schaarschmidt (1925-1998) hat sich vor allem mit Übersetzungen aus dem Japanischen einen Namen gemacht. Diese Übersetzungen entstanden in Zusammenarbeit mit der Koreanerin Chei Woon-Jung und unter Hinzuziehung der japanischen Übersetzung von Kim Hak-Hyon. Die Gedichte werden darüber hinaus begleitet von außerordentlich hilfreichen Nachbemerkungen der Übersetzer - sowohl Erläuterungen zu einzelnen Gedichtzeilen wie auch Informationen über Leben und Werk Ko Uns.

Wenn die Übersetzungen aufgrund der fundamentalen strukturellen Unterschiede der koreanischen und deutschen Sprache auch nicht die melodischen und rhythmischen Eigentümlichkeiten aufweisen können, die ein fester Bestandteil von Ko Uns Kunst sind, und die sich recht eigentlich erst im mündlichen Vortrag kundtun, so ist den Übersetzern doch geglückt, reichlich Ersatz dafür zu finden. Ko Uns verhaltenes Pathos, seine Empörung, sein Zorn, seine Freude über kleine Dinge finden sich in den Übertragungen in parataktische Schübe geordnet, in oft auf den substantivischen Kern komprimierten Einzelfakten, mit dem selben wirkungssicheren Stilwillen des Autors, der im Koreanischen seine Wirkung nicht verfehlt - und im Deutschen auch nicht.

Der Rohstoff der eigenen Lebensgeschichte (z. B. "Im Blumengarten von Taegu"), auch als Konzentrat der Lebensgeschichte vieler anderer Koreaner (z. B. "Die weißen Haare der Freunde"), wird als Material der sprachlichen Ausdruckskunst auf höchst bewusste Form gebracht. Die Qualität der Übersetzungskunst von Schaarschmidt und Chei sei an einem Beispiel hervorgehoben, an dem mancher, des Inhalts wegen, vielleicht rasch vorüberblättern möchte: "Die Glockenblumen. Zur Leidensgeschichte der No Su-Bok". In diesem Gedicht geht es um das traurigste Kapitel der koreanischen Geschichte im 20. Jahrhundert, die so genannten "Trostfrauen". "Die Soldaten... nannten sie Fotzen-Glöckchen". Im koreanischen Text findet sich an dieser Stelle eine Lautmalerei, die so etwas wie Glöckchengeklingel nachbildet. Die Übersetzung ersetzt das durch einen Begriff, dessen obszöne Verbindung aus Verniedlichung und Albernheit die ungeheuerliche Ekelhaftigkeit des Vorgangs der Verschleppung von fast 200.000 Mädchen, meist Koreanerinnen, in japanische Soldatenbordelle während des Zweiten Weltkriegs blitzartig und in so schockierender Weise sichtbar werden lässt, dass einem die ganze Lust - oder der Mut - zum Weiterlesen vergehen möchte.

Und das Weiterlesen lohnt so sehr: "Gelbe Erde", auch ein Gruß an den Bruder in artibus Kim Chi Ha (dessen vergriffene Gedichtsammlung unter dem gleichen Titel, auch übersetzt von Schaarschmidt, unbegreiflicherweise dieses Jahr nicht wieder aufgelegt wurde); "Wege", ein flammender Appell, den Gedanken an die Wiedervereinigung des Landes nicht zu vergessen; "Kaiser Kojong", eine schneidende Abrechnung mit dem letzten koreanischen Kaiser, unter dessen Herrschaft Korea japanische Kolonie wurde: "Auf die Geschichte Koreas gesehen / wart Ihr der historisch armseligste Lumpenproletarier." Ist man bei dem Gedicht angelangt, das dem ganzen Buch auch seinen Titel gegeben hat, dann möchte man da, als einen winzigen, völlig unironisch gemeinten Einwand gegen die Übersetzung, lieber lesen: "Sterne des Vaterlandes", ganz wie im koreanischen Original. Denn in diesen Texten erkennen wir in Ko Un niemand Geringeres als den koreanischen Gryphius.

Titelbild

Ko Un: Die Sterne über dem Land der Väter. Gedichte.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Woon-Jung, Chei und Siegfried Schaarschmidt.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
105 Seiten, 10,80 EUR.
ISBN-10: 351822395X

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