Boulevardisierung der Medien

Sven Reger schreibt über mangelnden Recherche-Journalismus in deutschen Redaktionen

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer hat sich nicht schon über schlecht recherchierte Zeitungsartikel oder "sensationelle Enthüllungen" geärgert, die sich bald darauf als falsch herausstellten? Für uns Zeitungslesende müssen Veröffentlichungen einen Unterhaltungswert haben, sonst interessieren wir uns nicht dafür - so scheinen viele Journalisten zu denken. Sie glauben, selbst bedeutend zu sein, wenn sie den Mächtigen nahe sind und verwischen die Grenzen zwischen Politik, Wirtschaft und Journalismus. "Journalisten, die lieber gleich ihre Meinung sagen, anstatt zu recherchieren, Kommentatoren, die über die Köpfe des Publikums hinweg argumentieren - das ist der Alltag der Medien in der Bundesrepublik."

Diese Aussage von Ernst Elitz von 1980 trifft heute noch zu. Presseleute lassen sich immer noch instrumentalisieren - man nennt das Verlautbarungsjournalismus - und halten Leitartikel und Kommentare für höchste journalistische Kompetenz. Systematisches Arbeiten gilt als natürlicher Feind der Kreativität. Schnelligkeit schlägt Seriosität. Eine Folge dieser Entwicklung ist das sinkende Ansehen des Journalismus.

Recherchierende Journalisten, die das Ziel verfolgen, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, sind eine Seltenheit. Ein Teil dieser Minderheit hat sich in dem Verein "Netzwerk Recherche" zusammengeschlossen und versucht, den investigativen Journalismus zu popularisieren. In dem ersten Band der vom Verein herausgegebenen Schriftenreihe "Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik" untersucht der Journalist Sven Preger - über den leider aus dem Buch nichts zu erfahren ist - die Recherchebedingungen in Deutschland. Er analysiert das Problem auf den Ebenen der historischen Entwicklung nach dem Ende des nationalsozialistischen Deutschlands, der Struktur des deutschen Mediensystems und des journalistischen Alltags.

Die faschistische Instrumentalisierung der Medien ließ nach 1945 keine kritische Tradition entstehen. Die Pressefreiheit brachten erst die Alliierten. Aufgrund der fehlenden Erfahrungen ist eine Spezialisierung zu Recherche-Profis ausgeblieben. Deutsche Journalisten sind Generalisten. Auch in der Ausbildung wird das Thema Recherche vernachlässigt.

Die weitgehend privatwirtschaftliche Struktur des deutschen Mediensystems mit der starken Abhängigkeit vom Werbemarkt erschwert - insbesondere bei der größten Gruppe der Zunft in den Lokalredaktionen - die Recherchetätigkeit erheblich. Aber auch die öffentlich-rechtlichen Medien sind eher angepasst als ein Gegengewicht.

Preger muss feststellen, dass solider Hintergrundjournalismus in Deutschland eine Mangelware ist. Sie ist nicht in Zeitungs-, Zeitschriften-, Rundfunk- und Fernsehsender-Redaktionen verankert und gehört nicht zum Selbstverständnis des Personals. Chronistenpflicht, Meinungsjournalismus und die journalistische 'Edelfeder' gelten mehr als ambitionierte Rechercheprodukte.

Für die Zukunft sieht der Verfasser leichte Änderungstendenzen und richtet an Medienwissenschaft und Journalistik die Forderung, ihren Teil dazu beizutragen: "Mit dem Ziel, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, tragen recherchierende Journalisten [und Journalistinnen!] aktiv und systematisch bisher unbekannte Informationen zusammen, werten diese aus und setzen sie in ein journalistisches Produkt um."

Es ist zu hoffen, dass weitere Untersuchungen an Pregers Analyse anknüpfen. Sie sollte zur Standardlektüre der journalistischen Ausbildung und auch von den Kollegen in den Redaktionen zur Kenntnis genommen werden.

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Sven Preger: Mangelware Recherche.
LIT Verlag, Münster 2004.
176 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3825882543

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