Die Fackel wird weiter getragen

Johann Jakob Engel wird mit einem Kolloquiumsband gewürdigt

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während andernorts die Werke der Aufklärung geschrieben würden, betreibe Berlin das Werk der Aufklärung, meinte Hegel ebenso spöttisch wie zutreffend. Die Berliner Aufklärung profilierte sich im Umkreis Friedrichs des Großen und konnte die vorherrschenden Bedingungen nutzen, um das Projekt der Aufklärung pragmatisch voranzutreiben: So wurde Berlin zu einem beherrschenden Zentrum des Publikationswesens, der Pädagogik, der Wissenschaften und (nicht zu vergessen) der Künste.

Die Forschung nahm diese facettenreiche Entwicklung lange Zeit kaum zur Kenntnis. Erst in den vergangenen Jahren wurde - u. a. dank der der anglo-amerikanischen Germanistik, die durch ihren ebenso kulturwissenschaftlichen wie interdisziplinären Blick das Gesamtbild der Aufklärung entscheidend bereichert hat - das Bild von der Aufklärung um eine Vielzahl von Einzelstudien zu Personen und Zusammenhängen ergänzt. Mit Johann Jakob Engel (1741-1802) - Berliner Aufklärer, Lehrer (u. a. der Brüder Humboldt), Theaterdirektor und Prinzenerzieher des späteren Königs Friedrich Wilhelm III. - beschäftigt sich der Herausgeber Alexander Košenina nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt. 1775 kam Engel aus dem Leipziger Kreis um Garve, Platner, Weiße und Zollikofer nach Berlin, wo er fast ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod wirkte. Engels Wirkung als Kritiker und Schriftsteller für die Berliner Aufklärung kann kaum unterschätzt werden. Sein "Philosoph für die Welt" (1775/77) gab der Popularphilosophie Namen und Programm zugleich, seine programmatischen "Ideen zu einer Mimik" (1785/86) griffen die Laokoon-Debatte zwischen Lessing und Winckelmann noch einmal auf und brachten sie zu einem vorläufigen Abschluss. Mit seinem "Herr Lorenz Stark" (1795-96) experimentierte er mit der Form des anthropologischen Romans. Daneben wären seine Dramen, seine Arbeiten zur Ästhetik, Gattungstheorie, musikalischen Ausdruckslehre sowie zur Physik zu nennen.

Diesem aspektenreichen Aufklärer ist der vorliegende Sammelband gewidmet. So vielfältig Engels Interessen waren, so vielfältig präsentiert sich auch die Forschung: als "Philosoph für die Welt, Ästhetiker und Dichter" (so der Untertitel) gewinnt Engels intellektuelle Physiognomie Kontur. Der Band vermittelt - der einführende biografisch-geistesgeschichtliche Aufsatz von Košenina verdeutlicht dies - zwischen Fachpublikum und interessierten Laien, ganz wie es sich die Berliner Aufklärungsforschung zum Ziel gemacht hat. Damit trägt sie die Fackel weiter, die die Berliner Aufklärung und Engel im Besonderen entzündet haben: ein "Justemilieu zwischen Philosophie und Belletristik" (Heinrich Heine) zu etablieren. So fragt Mark-Georg Dehrmann nach "Theorie und Praxis des philosophischen Dialogs bei Engel" und kann sowohl an dessen philosophischen wie auch belletristischen Arbeiten zeigen, dass Engels aufklärerische Ansprüche hinter den Konzepten eines Denis Diderot zurückbleiben mussten. Die Selbstreflexion als wesentlichen Kern der Engel'schen Popularphilosophie haben Gunhild Berg und Rainer Godel herausgearbeitet. Die Forderung der Berliner Aufklärung nach einer poetischen Wissensvermittlung findet bei Engel ihre praktische Entsprechung in der Integration der individuellen und der allgemeinen Ebene der Selbstaufklärung. Deutlich wird aber auch, dass der Gegensatz zwischen Aufklärern, Klassizisten und Idealisten ein Konstrukt ist, dass einer Überprüfung am Beispiel Engel nicht standhält. Weitere Beiträge, etwa von Helmut Lethen oder Sieglinde Grimm, reißen in ihrer gedrängten Darstellung Themenfelder an, die die Forschung der nächsten Jahre zu erschließen haben wird.

Der Kolloquiumsband bringt Engel (einmal mehr) ins Gedächtnis zurück, zeichnet ein ebenso vielfältiges wie detailliertes Bild eines Berliner Aufklärers und verdeutlicht so die historisch herausragende Stellung Berlins gegen Ende des 18. Jahrhunderts - die in der Berliner Aufklärungsforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln findet.

Titelbild

Alexander Košenina (Hg.): Johann Jakob Engel (1741-1802). Philosoph für die Welt, Ästhetiker und Dichter.
Wehrhahn Verlag, Laatzen 2005.
224 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-10: 3865250378

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