Syphilis und andere Unannehmlichkeiten

Leo Wechsler ermittelt im Berlin der Roaring Twenties

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Historische Romane haben auch als Krimis Konjunktur. Fast meint man, als würden die Verbrechen der Gegenwart nur im Lichte einer ebenso kriminellen Vergangenheit erträglich erscheinen; vielleicht ist es aber nur die Tatsache, dass die genrebedingte Aufklärung und Verfolgung nur oder vor allem in der Variation der geschichtlichen Umgebung neuen Reiz bekommt.

Das Berlin der 1920er Jahre ist sicherlich so ein Umfeld, dass alle Zutaten enthält, um eine Geschichte atmosphärisch reizvoll einzubetten. Aber Susanne Goga verzichtet in ihrem Krimi-Erstling glücklicherweise auf die Ausreizung dieses Ambientes. Natürlich ist die Stadt präsent, die dunkle Gegend um den Alex, die politisch aufgeheizte Mitte, das schmierige Scheunenviertel, aber auch der Vorstadtwesten, in dem Luxus und Geld vorherrschen, wo Feste, teure Autos und schöne Kleidung Wohlstand und Unabhängigkeit verraten. Dass hier auch Kokain, ein Luxusbordell, ein Wunderheiler und die Syphillis eine Rolle spielen, sind die dramaturgischen Zutaten, die aus der beschaulichen Idylle schließlich die unheilvolle Stätte des mörderischen Verbrechens werden lassen.

Die Ermittlungen in diesem Umfeld führt selbstverständlich ein eigenbrötlerischer Kriminalist. Ganz den Entwicklungen der zeitgenössischen Charakterkommissare folgend, nimmt die Person Leo Wechslers einen breiten Raum in den Ermittlungen ein. Mit einer toten Frau, einem Kind, bei der Schwester lebend, den zeitgenössischen Avantgardisten der bildenden Kunst zugeneigt und dabei mehr der politisch Linken zugetan als der aufkommenden Rechten, sucht sich der unnachgiebige Kommissar seinen Weg. Dieser führt ihn durch das Beziehungsdickicht des Polizeipräsidiums zu den dunklen Zusammenhängen des Todes eines Wunderheilers und einer alten Hure aus dem Scheunenviertel, schließlich in das geheime Zimmer eines Knopffabbrikanten. Dabei stößt er nicht nur auf eine Mauer des Schweigens, sondern auch auf längst vergangene Jugendsünden der besseren Kreise.

Dem Kommissar immer einen Schritt voraus, schreibt sich die Wahrnehmungsperspektive des Täters als zweiter Teil der Geschichte in die Story mit ein. Dies ist - ohne mehr verraten zu können - für die Dramaturgie von entscheidender Bedeutung, zieht der Roman doch vor allem aus dieser Konstruktion nicht nur seine dramaturgische Dynamik, sondern auch seine kriminelle Motivation. Die Erklärung für teure Handschuhe, die Bedeutung der späten Erfindung des Salversan, die Konsequenzen eines Vaterkomplexes und schließlich die Dechiffrierung psychischer Störungen als Spätfolgen der Syphilis müssen dann schließlich doch der eigenen Lektüre vorbehalten bleiben. Kurzweilig ist sie allemal. Krimifans und Liebhaber der Roaring Twenties kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten. Und schließlich auch die Anhänger eines Happy Ends, das sich auf den letzten Zeilen in den Räumen einer Leihbuchhandlung andeutet.

Titelbild

Susanne Goga: Leo Berlin. Kriminalroman.
dtv Verlag, München 2005.
279 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3423244682

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