Neuruppin im Riesengebirge

Der Hinstorff Verlag publiziert Fühmanns bislang unveröffentlichtes "Ruppiner Tagebuch" von 1967/68

Von Wolfgang GablerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Gabler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1967 erhielt Franz Fühmann (1922-1984) vom Berliner Aufbau Verlag den Auftrag, auf den Spuren Theodor Fontanes die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" (1862-82) zu wiederholen. Fühmann sollte zu Ehren des 20. Jahrestags der DDR den gesellschaftlichen Fortschritt zeigen und dabei ein neues Heimatgefühl begründen.

Zu Beginn war Fühmann sogar optimistisch, diesen Auftrag erfüllen zu können, denn er glaubte, "daß aus diesem Vorhaben doch ein Büchel werden kann!"

Aber bald musste er dem Verlag das "Scheitern meines an ehrlichem Wollen und an Intensität der Arbeit bis aufs Äußerste des Zumutbaren getriebenen Bemühens" melden, weil er über diese Landschaft "auch nach zehn Jahren Aufenthalt nichts schreiben könnte, was des Drucks würdig wäre". Fühmann räumte bei dieser Gelegenheit übrigens auch mit dem hartnäckigen Gerücht auf, sein Rücktritt vom Vertrag habe politische Gründe - in dem Fall der damalige Einmarsch der Armeen des Warschauer Vertrags in die CSSR.

Im Gegenteil: Fühmann hatte bis zum Abbruch der Arbeit tatsächlich geglaubt, eine neue Heimat finden zu können. Erst auf den letzten Seiten des Manuskripts war er sicher, dass das Ruppiner Land, das er "vom Schreibtisch aus" für seine Heimat zu halten bereit war, es "nie sein" würde. Geradezu erleichtert notiert er, diese Gegend sei ihm "im Grunde genommen scheißegal".

Erstaunt empfand Fühmann hingegen, dass ihm immer wieder Kindheit und Jugend in Böhmen ins Bewusstsein gerieten, obwohl der landschaftliche Unterschied kaum größer sein konnte. Allein die Wahrnehmung von "Stechginster" bewirkte eine unwillkürliche Assoziation: "Neuruppin im Riesengebirge?"

So löste das Scheitern an diesem Auftrag keine Krise aus. Denn es war ein wichtiger Schritt des Schriftstellers zu sich selbst: "Der Aufenthalt war lohnend. [...] Ich weiß jetzt mehr denn je, daß meine Heimat Böhmen ist".

Aus heutiger Sicht mag man fragen, warum Fühmann sich überhaupt auf diesen Auftrag eingelassen hatte. Antwort geben seine Notizen zum "Todesmarsch aus Sachsenhausen" (April/Mai 1945), auf dem 30.000 KZ-Häftlinge über 240 Kilometer nach Lübeck getrieben werden sollten - ein Marsch, der auch durch Mecklenburg führte und in Crivitz und Parchim durch die Alliierten beendet wurde. Fühmann, der immer wieder damit zitiert wird, "über Auschwitz zum Sozialismus gekommen" zu sein, saß damit, wie viele AutorInnen seiner Generation, in der "Antifaschismusfalle" (Christa Wolf). Diese Generation wollte die Schuld abarbeiten, die sie in ihrer Jugend auf sich geladen hatte. Fühmanns Form der Ent-Schuldung sollte das Bekenntnis zu einer neuen Heimat und "Das Ruppiner Tagebuch" dessen künstlerischer Ausdruck sein. Was Fühmann dabei allerdings empfand, war eine Selbstentwurzelung, gegen die sich alles in ihm sträubte.

Trotz der Einsichten in Leben und Werk Franz Fühmanns, die das Material gewährt, bleibt die Frage nach dem Sinn dieser Veröffentlichung. Anders als bei dem ebenfalls Fragment gebliebenen Konvolut "Im Berg" (1983; 1991 bei Hinstorff hg. von Ingrid Prignitz), liegt in diesem Fall ein klares Nein des Autors zur Publikation vor; zudem wurde Fühmanns Resümee zum Abbruch der Arbeit am "Ruppiner Tagebuch" bereits im "Berg"-Band abgedruckt. Ob die Details des künstlerischen Misslingens nun ausgebreitet werden mussten - zweifellos mit großem herausgeberischen Einsatz -, bleibt eine zumindest offene Frage.

Titelbild

Franz Fühmann: Das Ruppiner Tagebuch. Auf den Spuren Theodor Fontanes.
Herausgegeben von Barbara Heinze und Peter Dehmel.
Hinstorff Verlag, Rostock 2005.
544 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3356010824

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