Es gibt Dinge, die in aller Stille stattfinden müssen

Ernesto Che Guevaras zweite Lateinamerikareise und "Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein"

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zweimal machte sich Ernesto Guevara de la Serna, genannt "Che", in seinen jungen Jahren auf, um Südamerika zu entdecken. Die erste Reise, die der 23-Jährige 1951/52 mit seinem Freund Alberto Granado unternahm, führte ihn von seiner Heimat Argentinien über Chile, Peru und Kolumbien, wo er als Arzt in einer Leprakolonie tätig war, schließlich nach Venezuela. "Dieses ziellose Streifen durch unser riesiges Amerika hat mich stärker verändert als ich glaubte", notierte Guevara in seinem Tagebuch. Und in der Tat wurden sein Leben und seine Überzeugungen durch die immensen sozialen Unterschiede und die manchmal unerträgliche Realität in Lateinamerika nicht nur erschüttert, ihm wurde auch bewusst, dass es, um die Verhältnisse zu ändern, notwendig war, gegen die bestehende Ordnung zu kämpfen. Im Jahr 1994 erschien das Tagebuch dieser ersten Reise unter dem Titel "Latinoamericana" bei Kiepenheuer & Witsch erstmals auf Deutsch.

Die zweite, ungleich längere Reise (1953-1956) unternahm Guevara zusammen mit Carlos Ferrer, genannt Calica, einem weiteren Freund, kurz nach seinem Examen. "Der Name meines Reisegefährten hat sich geändert, Alberto heißt nun Calica; doch die Reise ist die gleiche: Es sind zwei Willen auf der Suche, die durch Amerika ziehen, ohne genau zu wissen, was sie suchen, noch, wohin ihr Weg sie führt", lautete seine Schilderung des Aufbruchs. Der Weg führt Che hin zur Festigung seiner revolutionären Gesinnung, immer mehr solidarisiert er sich mit den Unterdrückten und Entrechteten Südamerikas. Nach Stationen in Bolivien, Peru, Ecuador und Costa Rica trennen sich die beiden. Guevara reist weiter nach Guatemala, um die revolutionäre Bewegung von Jacobo Arbenz zu unterstützen, der allerdings durch eine vom CIA finanzierte Söldnerarmee blutig gestürzt wurde. Diese Ereignisse und seine Begegnung mit seiner späteren Frau Hilda bestärkten ihn in seiner marxistischen Haltung. Nach seiner Emigration nach Mexiko im Jahr 1954 traf er im Jahr darauf den dort im Exil lebenden Fidel Castro. Diese Begegnung wird allerdings in nur einem lapidaren Satz abgehandelt: "Ich habe die Bekanntschaft von Fidel Castro gemacht, dem kubanischen Revolutionär, jung, intelligent, sehr selbstbewußt und außerordentlich kühl. Ich glaube, wir sind uns sympathisch".

Überhaupt ist diese merkwürdige Kürze eines der Hauptmerkmale des Tagesbuchs, die mehr als drei Jahre lange Reisezeit handelt Guevara in gerade einmal 110 Seiten ab. Wichtige Ereignisse werden oft nur kurz angerissen, andere, eher periphere Angelegenheiten, wie etwa der Besuch bei den Ruinen der Mayas oder die Charakterisierung einiger seiner zeitweiligen Weggefährten nehmen dagegen mehrere Seiten ein. Etwas sprunghaft ordnet er auch seine Texte an, bei "Latinoamericana" waren die Zusammenhänge klarer und auch für Laien eher nachvollziehbar. Im vorliegenden Buch ist es daher von Vorteil, wenn der Leser nicht ganz unvorbereitet ist. Dann sind auch seine Kommentare zu Politik und Gesellschaft von erhellendem Wert, knapp und präzise erfasst er mit wenigen Worten die grundlegenden Fakten und Probleme, jedes Gespräch unterzieht er einer gründlichen Analyse. Zum Wert des Buchs tragen auch die im Anhang abgedruckten Briefe und der Essay "Das Dilemma in Guatemala" bei, die einige, nur kurz angerissene Situationen etwas vertiefen können. Von mehr als informativem Wert sind auch das gelungene Vorwort von Alberto Granado und die knappen Anmerkungen des "Archivo del Che" in Havanna, das das Tagebuch im Original herausgab.

Das beste Buch Ernesto Guevaras ist "Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein" (im Original schlicht "Otra Vez", ein weiteres Mal, betitelt) nicht. "Latinoamericana" liest sich besser, von der Qualität des "Bolivianischen Tagebuches" oder "Guerillakampf und Befreiungsbewegung" ist es ein ganzes Stück entfernt. Doch kann man auch anhand dieser Texte ein Stück mehr nachvollziehen, was den Werdegang und die Vision Ernesto "Che" Guevaras ausmacht.


Titelbild

Ernesto Che Guevara: Das magische Gefühl, unverwundbar zu sein. Das Tagebuch der Lateinamerika-Reise 1953-1956.
Übersetzt aus dem Spanischen von Joachim Hartstein.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
158 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3462032356

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch