Das Vermächtnis eines Außenseiters

Walter Falk reflektiert über Glauben und Wissen

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Germanist Walter Falk - er wurde 1924 in der Nähe von Freiburg geboren und starb im September 2000 in Marburg - hat die Veröffentlichung seines letzten Buchs nicht mehr erlebt. Es wurde erst drei Jahre nach seinem Tod von Harald Seubert herausgegeben und enthält die Summe von Walter Falks Forschungs- und Denkbemühungen. Es liest sich gut, weckt aber Fragen und nicht selten auch Widerspruch.

Walter Falk unternimmt hier, am Leitfaden von Glauben und Wissen, einen groß angelegten, wissenschaftsgeschichtlich orientierten Gang durch die Neuzeit, "in einem Ansatz", wie der Herausgeber in seiner Einleitung bemerkt, "der eigenständig neben den viel erörterten großen Entwürfen, etwa von Hans Blumenberg, stehen kann", womit Seubert allerdings - das sei an dieser Stelle gleich vorweg genommen - etwas zu hoch greift. Doch auf den ersten Blick mutet Falks Unterfangen, die Grundprobleme von Glauben und Wissen mit anderen Disziplinen querschnittartig zu einem Gesamtüberblick zu verknüpfen, grandios an. Doch Falk möchte nicht nur mit Hilfe von Psychoanalyse, sprachwissenschaftlichem Strukturalismus, historischer Anthropologie, Ur- und Frühgeschichte, moderner Physik und den philosophischen Bemühungen des 20. Jahrhunderts ein zusammenhängendes Bild gewinnen, sondern auch gleich noch die abendländische Ontologie und Anthropologie einer grundlegenden Korrektur unterziehen.

Zunächst weist Falk kurz auf das Mittelalter hin, in dem die Theologie die maßgebliche Wissenschaft und das Wissen an den Glauben gebunden war. Die moderne Naturwissenschaft orientierte sich dann am Prinzip der Maschine, das nach Galilei, Descartes und Newton auf die Menschheitsgeschichte übertragen wurde. Vorherrschend war der Glaube an den Fortschritt als einer der wichtigsten gesellschaftlichen Triebkräfte. Das wiederum führte zu einer Verabsolutierung des Mechanischen und zu einer Leugnung der Inspiration.

Walter Falk verfolgt die weitere Entwicklung über Lessings Sicht der Geschichte als "Annäherung an die ewige Ordnung der Vernunft", über Herders dialogische Geschichtsdeutung, Kants "Mechanisierung des Fortschritts" bis hin zu Darwins Evolutionstheorie und Marx' Gesellschaftstheorie, wobei er als Gegenstimmen Herder, Goethe und Friedrich Schlegel zu Wort kommen lässt. Die Aussagen der Dichtung, die der Germanist zwischendurch immer wieder in Betracht zieht, deutet er als Signaturen der jeweiligen Epoche.

In den Jahrzehnten um 1900 war man in den verschiedenen Wissenschaften, wie Falk nachzuweisen versucht, auf Kräfte aufmerksam geworden, die innerhalb des mechanistischen Funktionierens der Weltmaschine die Annahme einer Gangschaltung nahe legten.

Um den Ersten Weltkrieg drängte sich die Erfahrung des "Urbösen" auf. Diese spiegelt sich auch in Bildern von Picasso wider. Falk konstatiert einen Epochenbruch. In Literaturwissenschaft und Psychologie kam es zur Entdeckung überzeitlicher Strukturen. In der Physik wiederum entstand durch neuere Forschungsergebnisse der Eindruck, als herrschten in der Natur Zufall und Chaos.

Falk zeigt ferner, vor dem Hintergrund der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, wie die Gestalt des personalen Gottes in den geistes- und naturwissenschaftlichen Innovationsschüben der Moderne zunehmend wieder in den Blick genommen wird, wobei er so unterschiedliche Ansätze, wie die von Michel Foucault, Konrad Lorenz, René Girard diskutiert und eigenwillig auslegt.

Da Falk von bestimmten vorgefassten Ideen ausgeht und unter ihrem Aspekt zahlreiche Phänomene und die von ihm zitierten Persönlichkeiten einer Prüfung unterzieht, kann es nicht ausbleiben, dass er einzelnen Denkern nicht immer gerecht wird. Das gilt ganz besonders für Kant und Nietzsche. Um so ausführlicher setzt er sich mit Heideggers "Sein und Zeit" sowie seiner Neudeutung von Zeit und Technik auseinander. Aber Falk, der im Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit offensichtlich ein Außenseiter geblieben ist, beruft sich nicht nur auf bekannte, sondern ebenso auf gänzlich unbekannte Autoren und sogar auf umstrittene "Größen", die wie Fritjof Capra und Rupert Sheldrake vor allem in New-Age-Kreisen hoch angesehen sind, deren Thesen heute indes kaum noch ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

Aber konzentrieren wir uns noch einmal auf den Inhalt des hier vorzustellenden Buchs. 1989 kamen, laut Falk, mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks die Deformationen eines Glaubens ans Licht, der sich sowohl im biologischen Rassismus als auch in der kommunistischen Weltideologie als Wissen ausgegeben hatte. Nach 1989 habe sich, meint der Autor, eine Veränderung unseres Verhältnisses zur Wahrheit vollzogen, die sich schon zuvor in Christa Wolfs "Kassandra" und in Václav Havels Stück "Versuchung" angekündigt hatte. Es könne mithin Gründe geben, wie sich Falk vorsichtig ausdrückt, das Ende der kommunistischen Herrschaft zugleich als Manifestation eines tief greifenden Wandels im Verhältnis von Wissen und Glauben zu begreifen, sodass es nunmehr zu einer Wiederaufnahme der von den kommunistischen Machthabern verfemten religiösen Glaubensformen kommen müsste, was derzeit aber nur in ersten wenigen Spuren zu erkennen sei. Gleichwohl werde, nachdem in der westlichen Welt im 19. Jahrhundert die Mehrzahl der Intellektuellen geglaubt hatte, dass Religion der Vergangenheit angehöre, gegenwärtig die Obsoletheit der Religion mehr und mehr in Frage gestellt. Deutlich werde auch, dass die abendländische Definition des Menschen als eines "Tieres mit Vernunft" (animal rationale) nunmehr zu ersetzen sei durch die Deutung des Menschen als eines Lebewesens, das der Vision fähig ist.

Einerlei, ob ein Mensch das Sein als Anonymität oder als Person erfährt, schreibt der Autor am Ende seiner oft weit ausholenden, nicht selten weitschweifigen Darstellungen, immer müsse sein Handeln als Antwort auf Inspiration begriffen werden. Damit werde die Anthropologie zu einer Visiologie. Mit Bezug auf George Steiner kommt Falk zu der Schlussfolgerung, dass Kunstwerke eine der wichtigsten Quellen der Visiologie seien, und "dass das Erfahren von Sinn eine allgemeine menschliche Eigenschaft, der Sinn aber letztlich auf Gott bezogen sei und dass die Sinnerfahrung ihren klarsten Ausdruck in der Kunst finde."

Wie aber sieht Walter Falk die Zukunft der christlichen Religion und des Glaubens an Gott? Immerhin verheißt der Klappentext: "Falk demonstriert eindruckvoll, wie Glauben und Denken in der Gegenwart zugleich voneinander unterschieden und ineinander integriert werden müssen, um auf der Höhe der Moderne wieder fruchtbar in ein Gespräch kommen zu können." Aber hören wir Falk selbst. Es habe sich gezeigt, so argumentiert er, dass es unmöglich sei, eine Ursache für bestimmte qualitative Neuerungen mit den üblichen Mitteln nachzuweisen, wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine Ursache völlig anderer Art. Im Falle der Entstehung des Universums habe es sich als unumgänglich herausgestellt, dabei an Gott zu denken. Muss also Gott nun auch in den Bereich der wissenschaftlichen Erörterungen einbezogen werden?, fragt Falk und zweifelt nicht daran, da wahrscheinlich bei qualitativen Neuerungen, deren Ursache mit den üblichen Mitteln nicht nachzuweisen sei, Eigenschaften eine Rolle gespielt hätten, "die in der Glaubenstradition Gott zugeschrieben worden waren", - ein in der Tat bescheidenes Resümee. Nach so viel gedanklichem Aufwand dünkt dieses Resultat reichlich vage und wenig überzeugungskräftig, um nicht zu sagen, dürftig und kümmerlich. Wir werden also abwarten müssen, ob Religion und Glaube weiter vor sich dahindümpeln oder eines Tages doch wieder durch ungeahnte Impulse an lebensfrischen Kräften gewinnen und neuen Zulauf erfahren.


Titelbild

Walter Falk: Wissen und Glauben um 2000. Zu einer weltbewegenden Problematik und ihrer Herkunft.
Schöningh Verlag, Paderborn 2003.
311 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3506723308

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