Der Schlafrock als mentales (Frauen)-Erbstück

Über Irene Pruggers neuen Roman

Von Barbara HundeggerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Hundegger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sich das Leben nicht neu erfinden. Irgendwie nehmen, was kommt, arbeiten, nicht groß abweichen von den bereiteten Wegen, aber sich wie nebenbei schon auch so seine Gedanken machen. Das sind Gedanken der Hauptfigur in Pruggers Roman: einer Frau, Anna, Spät-20erin, Single, Tochter, Texterin in einer Event-Agentur.

Ihr Arbeitsauftrag: Emotionen wecken. Ihr Arbeitsumfeld: hip, aber bevölkert mit den üblichen Verdächtigen - einem Chef, der Sprüche klopft, damit manchmal auch noch Recht hat, alljährlich das Hahnenkammrennen besucht und ansonsten ein ohnehin ganz umgänglicher Typ ist. Des weiteren sind da nicht gerade rasend interessante Kolleginnen und Kollegen, darunter welche, mit denen sich aber schon auch reden lässt, darunter einer, der frei- also abgesetzt und dadurch ins ultimative Out gedrängt wird. Junge Praktikantinnen, die sich demgemäß einzusetzen wissen, usw. - man kennt das. Und Anna ist eine von ihnen.

Ihre Privatsituation ist nicht unbedingt unglücklich, aber glücklos, diffus die Männerbeziehungen, konkret das zur Friktion neigende Verhältnis zur Mutter, die mit ihrem ewigen Schlafrock aber eine Schlüsselmetapher zum eigenen Frauenleben am Leib trägt. Sie fragt sich, was noch echt, was wahr sei. Ihre psychische Verfassung lässt sich als eine Abgestandenheit, ein Abgekappt sein von den eigenen Gefühlen beschreiben: "Mir kam es vor, als würde ich Zeit in Anspruch nehmen, die bereits abgelaufenen Datums ist."

Die Einsicht, dass die Schablone schon vor den Ereignissen existiert, in die sich Menschen samt zugehörigem Schicksal nur mehr auf ihre je eigene Art einpassen können, ist ein Grundton dieses Texts, der sich auch schon in seinem ersten Satz zeigt: Paul kommt nicht nur, "Paul kam wie gerufen", herbeizitiert von dem, was vorher schon angelegt ist - das Absehbare.

Wir sehen in Pruggers Buch, wie eine sich durch all die Dinge schreibt, die man schon einmal irgendwo gehört, gesehen oder gelesen hat, im Fernsehen, in Parks, in Zeitungen, an Gasthaustischen, in Illustrierten, in Seminaren, aus Muttermündern, am Arbeitsplatz - und Anna spricht, anders als jene, die sich am Gewöhnlichen nicht die Finger verbrennen wollen, diese Mixtur aus Leben und Sentenzen ehrlicherweise auch offen aus - "Vielleicht verliert man bei allzu viel Symbolarbeit den Blick für das Offensichtliche, das am wenigsten Hintergründige. Und wenn es sich plötzlich vor einem auftut und zeigt, dass es nichts zu verbergen hat, kann man es kaum glauben."

Drei symbolische Konstanten durchziehen auf metaphorischer Ebene den Text: der Schlafrock, Annas Hang zu Tierfilmen und "Die Nudelesserin".

Letztere ist ein Bild und hängt in Annas Küche, und seine Interpretation, ob nämlich die Frau darauf Nudeln isst oder sich ihrer entledigt, taucht immer wieder auf im Text: Ekel oder Genuss? Dass Anna zwecks Entspannung Universum-Folgen konsumiert, in denen es aber zu blutigen Tierschauspielen kommt, ist ein weiteres Element ihrer inneren Ambivalenz: Beruhigung oder Brutalität? Und als zentrales mentales Erbstück zwischen Mutter und Tochter fungiert der Schlafrock - an seiner Schwelle zwischen Abstoßung und Vertrautheit, zwischen biederem Hausfrauen- und Schlampentum, zwischen An- und Ausgezogensein, zwischen Verwahrlosung und weiblicher Schönheitsbefehlsverweigerung: "Nirgendwo sonst als bei meiner Mutter zu Hause hätte ich einen solch entsetzlichen Schlafrock getragen."

Vor Annas Augen: Büroszenen, virtuelle Liebesreize, Zeitungsinserate, in denen zwei viel beschäftigte Jungs die Willige für den flotten Dreier suchen bei freier Logis, halbherzige Mutterbesuche, Paul, der dann doch seine Frau schwängert und abhaut, Franz' gnädige Porschefahrten, Schramm, dessen Ausmusterung an einer Schaukel endet, der ratreiche, buchlose Schriftsteller, Doggenrüde Caligula, ein freiwilliger Norbert, Britta, die Gespräche abbrechen, aufstehen und gehen muss, weil sie ihre fruchtbaren Tage hat. Ein Vater, "der seinen Weg ebenso konsequent" ging, "allerdings ein bisschen zu schnell und die Richtung hat auch nicht gestimmt: Er ist uns davongelaufen".

Hinter Annas Rücken kommt aber die eigene 30er-Alters-Zäsur in Sicht - und was die mit sich bringt: erste mittelgroße Bilanzen, Blessurenzählung, erster ernsterer Zwischenstand, Ahnungen, dass, sofern was geplant war, es sich deiner Planung entzieht, Lackabblätterungen allerorten, erste Wahrheiten über die erschreckend heimelige Nähe zu den Strukturen, welche dir aus der Entfernung von deiner Ursprungfamilie geblieben sind usw., wie tragend das schleichend doch wird, Einstieg in die Ernüchterungsdekade - "Und weil wir nichts mehr fürchten, als getäuscht zu werden, nehmen wir es in Kauf, wenn eine Beziehung bereits mit einer Enttäuschung beginnt."

Dieses Lebensgrundgefühl ist der Humus, auf dem der Text Pruggers auch sprachlich wächst: mit einer Hauptfigur, auf Augenhöhe mit ihr, nicht klüger als sie selbst - und gespickt mit stillem Witz: da "entgleiten" einem, der sich ein bisschen schwer tut mit dem Kombinieren, "Schlüpfrigkeiten"; da trinkt eine "mit einer Weltverachtung Bitterlemon, die ihresgleichen sucht", da hat es "fast den Anschein, als würden wir nur wegen unserer ständigen Erwartungshaltung aufrecht gehen". Da versteht einer, "was das Geschäft mit dem Vergnügen betrifft, [...] keinen Spaß" und da bist du "das Kind deiner Eltern, was also willst du erwarten".

Aus Annas Art Unbekümmertheit im Aussprechen wachsen realistischerweise immer wieder Passagen, die das Hingesagte und Nachhalllose ihres Inhalts abbilden, aber auch solche, die wie Glühwürmer den Text durchziehen, unvermutet auftretende Alltagsweisheiten voll emotionaler Intelligenz, um die weiter kein Aufhebens gemacht wird: "Wenn ein Mensch erzählt, ist das wie eine stützende Mauer, an die man sich mit seiner eigenen Gedankenlast lehnen kann". In seinem Wechsel, dieser Mischung aus Dahergesagtem und Gesagtem dieses Texts belegt er seine Lebensnähe und liegt genau sein Reiz.


Titelbild

Irene Prugger: Frauen im Schlafrock. Roman.
Skarabaeus Verlag, Innsbruck 2005.
194 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 370823183X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch