Emotionsmanagement

Wie die BILD-Zeitung ihrer Leser bindet

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

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"Kokain und Sex: Der Absturz des Ski-Weltmeisters. Goldi-Bub, wo bist Du gelandet?" "Lohwald-Siedlung soll verschwinden. Offenbachs Kleingärtner rebellieren." Mit Schlagzeilen dieser Art hat sich die BILD-Zeitung das Image errungen, das sie seit ihrer Gründung im Jahr 1952 hat: Boulevardjournalismus par excellence zu zelebrieren.

Mit welchen sprachlichen Mitteln die BILD-Redakteure die Zeitung jeden Tag zur kommerziell erfolgreichsten Tageszeitung machen, haben Medienwissenschaftler schon mehrmals untersucht. In dieser Hinsicht kann Cornelia Voss in ihrer kurzen, empirisch fundierten Untersuchung "Textgestaltung und Verfahren der Emotionalisierung in der BILD-Zeitung" mit keinen neuen Ergebnissen aufwarten: Skandale, Verbrechen und Unglücksfälle gehören zur BILD-Zeitung wie die einfach-strukturierte Syntax und der sensationelle, umgangssprachliche Wortschatz der Beiträge.

Wie sich jedoch die überaus enge Verbundenheit der Leser mit ihrem Blatt erklärt, dazu hat Voss eine neue Hypothese: "Die Artikulation und das Hervorrufen von Emotionen stellen einen Hauptleseanreiz dar und nehmen einen entsprechend hohen Stellenwert in BILD-Artikeln ein." Unter "Emotionalisierung" versteht Voss den "Prozess des Nachempfindens von Gefühlen", die bei der Lektüre ablaufen. Dabei konzentriert sich die empirische Untersuchung aber nicht auf die tatsächlichen emotionalen Reaktionen des Lesers, sondern auf das Themenspektrum und die Textgestaltung der untersuchten Beiträge. Voss schreibt ihnen "Emotionalisierung" zu, wenn "mindestens eine [...] Emotion in einem redaktionellen Beitrag zum Ausdruck kommt." Dazu gehören - laut Auswertung der BILD-Artikel - vor allem "basale Empfindungen" wie Angst, Mitgefühl, Lust und Nervenkitzel. Selten werden differenzierte Gefühlsinhalte in den Beiträgen thematisiert.

Damit bleibt der zweite Teil der Arbeit - die narrative Inszenierung von Ereignissen als Mittel der Emotionalisierung - Spekulation: Zwischen den nachgewiesenen narrativen Grundschemata (wie stereotypenhafte Darstellung, Entpolitisierung, Privatisierung und Personalisierung der Inhalte sowie deren Visualisierung) und der angenommenen emotionalen Wirkung auf den Leser kann die Autorin einen Zusammenhang nur behaupten. Zwar stützt sie sich auf die neuere Erzählforschung, in der die emotionale Funktion des Erzählens oft als dessen konstitutives Merkmal begriffen wird; doch damit gelingt Voss eher der Nachweis eines Emotionsmanagements der BILD-Macher, als dass sie erklärt, wie dieses die "emotionalen Bedürfnisse der Leser" befriedigt. "Die narrative Flicktechnik, das täglich neu komponierte Mosaik von emotional hochbesetzten, aber stereotypisierten Versatzstücken lassen den Leser unmittelbar etwas Fühlbares erleben." Solche Aussagen müssen also Thesen bleiben.

Was die Autorin jedoch glaubhaft analysiert, sind die Strategien der "Emotionskommunikation", ein "präzise kalkuliertes publizistisches Steuerungsinstrument, das ein tragender Bestandteil der BILD-Konzeption ist". Warum jeden Morgen über 5 Millionen Menschen die BILD-Zeitung kaufen, leuchtet uns jetzt eher ein; was sie bei der Lektüre über den skifahrenden "Goldi-Bub" und "Offenbachs Kleingärtner" fühlen, ist nach wie vor unklar.

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Cornelia Voss: Textgestaltung und Verfahren der Emotionalisierung in der BILD-Zeitung.
Peter Lang Verlag, Frankfurt 1999.
130 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3631351798

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