Jakub kämpft mit sich selbst

Stefan Chwins neuer Roman "Der goldene Pelikan"

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Hof der Juristischen Fakultät zu Danzig steht eine Statue der Themis aus weißem Marmor. Die griechische Göttin der Gerechtigkeit hält in ihren Händen eine Waage und ein goldenes Schwert. Jakub, der Protagonist in Stefan Chwins neuem Roman, unterrichtet an der Danziger Universität Jura. Sein Spezialgebiet ist die Rechtsphilosophie, er doziert über Gut und Böse bei Plato, über den Tod des Menschen in der modernen Philosophie und über Nietzsche. Von Berufs wegen stellt er sich den Fragen von Moral, Schuld und Gerechtigkeit. Während der Prüfungssession aber wird er mit seinem goldenen Füller der Marke Pelikan selbst zum Richter über das Schicksal der Kandidaten: Manche erhalten ein "genügend" und werden an die Universität aufgenommen, andere hingegen müssen draußen bleiben.

Eines Tages erfährt Jakub, ein durch die Prüfung gefallenes junges Mädchen habe sich das Leben genommen. Jakub schlittert in eine tiefe Krise, er verliert Frau und Wohnung, wird zum Obdachlosen und Bettler, gar zum Ladendieb. Sein Abstieg gipfelt in einem Gang durch die Unterwelt Danzigs. Jakub hat schwere Gewissensbisse, denkt über Schuld und Sühne nach und darüber, ob sich Selbstmord rechtfertigen lässt. Dabei ruft er den heiligen Augustinus an und zieht die Philosophen zu Rate. Das Schicksal hat sich in Jakubs Leben offenbart, und Jakub kämpft fortan mit sich selbst.

Immer wieder stellt Stefan Chwin Jakubs Leben in einen weiten (mitunter allzu weiten) Kontext. Am Horizont von Jakubs Vita leuchten nacheinander der Rinderwahnsinn der 90er Jahre, der Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn sowie die Terroranschläge des 11. September auf. Selbst Gunther von Hagens Ausstellung "Körperwelten" wird in Danzig gezeigt. Ganz nebenbei steigen Imperien auf und fallen wieder. Und die antiken Götter schweben durch die Szenerie. Das ist manchmal zuviel des Guten: Jakubs Lebensgeschichte verfügte in ihrer intimen, persönlichen Tragik eigentlich über genügend Schwergewicht und hätte einen ernsthaften Zugang verdient. Hier aber wird sie noch zusätzlich mit einer Bedeutung aufgeladen, die das Ganze überstrapaziert. Oder soll Jakubs Schicksal durch eine solche Einbettung in den Weltenlauf ganz einfach ironisch gebrochen werden?

Man kann sich da nicht ganz so sicher sein. Immerhin weist der Roman ja auch satirische Elemente auf, die ihrerseits die Ernsthaftigkeit von Jakubs Krise ins Schwanken bringen. Sehr treffend werden zwar die zeitgenössischen Ärzte (die natürlich bloß modische Psychiater sind), aber auch die schneidigen Pfarrer geschildert, bei denen Jakub in seiner Krise Hilfe sucht. Der rosarote Bleistift des Seelendoktors Jacek oder der sportliche, nach "Old Spice" duftende Pfarrer Jan im schnellen Ford Metallic sind dabei die eher beiläufigen, aber hübschen Höhepunkte von Chwins Prosa. Hier amüsiert man sich prächtig. Und doch ist man sich zuletzt nicht mehr im Klaren darüber, was Stefan Chwin mit seinem Roman genau zeigen wollte.


Titelbild

Stefan Chwin: Der goldene Pelikan. Roman.
Übersetzt aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
300 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446206566

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