Ungenanntes Grauen

H.P. Lovecrafts "Der Flüsterer im Dunkeln", gelesen von David Nathan und Torsten Michaelis

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rosafarbene, schalentierartige, mit riesigen Membranschwingen versehene Körper

Im November 1927 bricht über Vermont eine Flutwelle ungeahnten Ausmaßes herein, die viele Opfer unter der Bevölkerung und den Tieren fordert. Unter den angeschwemmten Kadavern befinden sich aber auch drei höchst merkwürdige, bei der einfachen bäuerlichen und abergläubischen Bevölkerung ekel- und grauenerregende Funde: ca. 1,5 Meter große, rosafarbene, schalentierartige, mit riesigen Membranschwingen versehene Leiber, die an Stelle des Kopfes ein elipsenartiges Gebilde mit unzähligen, sehr kurzen Fühlern aufweisen. Schnell finden die Augenzeugenberichte Eingang in die Tagespresse, in der eine hitzige Debatte darüber geführt wird, ob es sich hier um eine optische Täuschung oder eine neue Rasse handelt.

Mr. Wilmarth, Professor und Hobby-Ethnologe, bemerkt in den Zeitungsartikeln Einzelheiten, die merkwürdige Übereinstimmungen mit alten Sagen und Mythen der Indianer aufweisen. Als Wissenschaftler ist er jedoch der Überzeugung, es hier mit Aberglauben zu tun zu haben. Doch eines Tages erhält er einen Brief aus New Hampshire der ihn aufhorchen lässt: Der Absender, ein gewisser Mr. Akeley, behauptet, unumstößliche Beweise für die Existenz einer außerirdischen Rasse auf der Erde zu haben.

Ein Meister erzählt Nichts

So beginnt die 1930 geschriebene Kurzgeschichte "Der Flüsterer im Dunkeln" von H. P. Lovecraft, die jetzt als vollständige Lesung bei LPL-Records in schöner Aufmachung erschienen ist.

Eine der Stärken dieser Geschichte liegt darin, den Hörer in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Bereits im ersten Satz macht Lovecraft deutlich: "Man sollte sich stets im Klaren darüber sein, dass ich bis zum Schluss nichts wirklich Grauenhaftes gesehen habe", sagt der Ich-Erzähler Mr. Wilmarth. Derjenige, der sich jetzt entspannt zurück lehnt, wird bald eines Besseren belehrt, erzählt Wilmarth doch sehr plastisch, farbig und Gänsehaut-erregend genau von grauenhaften Dingen, die Andere gesehen haben. Obwohl die Erzählung recht kurz ist, gelingt es Lovecraft, den Hörer immer wieder mit neuen Entdeckungen zu überraschen und dadurch der Geschichte eine andere Wendung zu geben. Um diesen Entdeckungen eine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu verleihen, verwendet er dazu viele verschiedene Objekte, die dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprechen wie z. B. Fonografen-Aufnahmen, Fotografien, Augenzeugenberichte, Zeitungsartikel, Telegramme etc.

Wie von Lovecraft gewohnt, haben seine Charaktere eine für das Genre ungewöhnliche Tiefe und Komplexität. Im Verlauf des Plots machen beide eine Entwicklung durch, die glaubwürdig, nachvollziehbar und logisch erscheint und mit dazu beiträgt, die Spannung ungebrochen bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.

Batman meets Blade

Einen großen Anteil am erzeugten Horror haben, neben der gelungenen Musikuntermalung, die beiden Sprecher David Nathan und Torsten Michaelis. David Nathan, Synchronsprecher des amerikanischen Schauspielers Christian Bale, verkörpert den jugendlichen, realistischen Wissenschaftler Mr. Wilmarth, sein Gegenpart Mr. Akeley wird von Torsten Michaelis gelesen, der sonst Wesley Snipes seine Stimme leiht. Zu Beginn klingt Wilmarth jung, enthusiastisch, sachlich, aber bereits bei den ersten Sätzen schwingt ein undefinierbarer Unterton mit, glaubt man die Stimme zittern zu hören, so als ob sich der Erzähler selbst beruhigen oder das, was nun folgt, als Mythos oder Alptraum abtun will. Nathan passt seine Stimme geschickt jeder Situation an und deutet mittels ungewöhnlicher Betonung an, dass er noch nicht alles erzählt hat, was wirklich passiert ist.

Mr. Akeleys erster Brief schwillt fast über vor Selbstzufriedenheit eines Mannes, der bereits im gesetzten Alter ist, den Überblick des "weisen Alten" hat und seinen jüngeren Kollegen belehren will. Aber im Verlauf des Schriftwechsels macht er eine Wandlung durch, die Torsten Michaelis durch seine dynamische Sprechweise ausgezeichnet zu vermitteln versteht. Der Verlag spielt hier die Vorteile des Mediums "Hörbuch" gegenüber einer Printausgabe voll aus. Michaelis liest dermaßen dramatisch und emotional, dass Akeleys Entsetzen auf den Hörer überspringt und man froh ist, wenn David Nathan nach so einem Absatz mit seiner zweifelnd-wissenschaftlichen Stimme wenigstens für kurze Zeit Raum zum Luftschöpfen bietet - allerdings währt auch im späteren Verlauf der Geschichte dieser Zustand nicht lange, da dann beide Protagonisten von grauenhaften Erlebnissen berichten und der Vortrag dieses Grauen plastisch erlebbar macht.

Vier gewinnt

Um die Person von Lovecraft ranken sich bis heute hartnäckig einige Gerüchte. Eines davon behauptet, er wäre ein Menschenfeind gewesen und habe sich gescheut, persönliche Kontakte zu Menschen aufzunehmen. LPL-Records unternimmt mit einer Bonus-CD den Versuch, diesem Vorurteil entgegen zu treten. Dagmar Berghoff trägt die "Persönlichen Erinnerungen von Muriel E. Eddy", einer langjährigen Freundin Lovecrafts, mit ihrer wohl bekannten Stimme vor. Zwar ist dieser Abschnitt nur knapp 28 Minuten lang, er wirft aber ein gänzlich anderes Licht auf den Autor, und es sind genau 28 Minuten mehr, als andere Verlage an Hintergrundinfo anbieten.

Nebeneinander aber nicht Miteinander

Lovecraft wird bis heute der Vorwurf gemacht, er sei ein Rassist und Verfechter der Rassentrennung. Darüber soll hier kein Urteil gefällt werden. Auffällig ist hier jedoch, wie auch in anderen Geschichten, dass die Situation zwischen Außerirdischen und Menschen erst dann eskaliert, als es auf Grund der Ausbreitung der menschlichen Siedlungen in unwirtliche Gegenden unvermeidlich erscheint, dass beide Rassen aufeinander treffen. Eine Co-Existenz scheint nicht möglich zu sein. In Lovecrafts möglichen Welten gehen die Außerirdischen immer mit außerordentlicher Härte, Unmenschlich- und Gleichgültigkeit gegen die Menschen vor. Emotionen sind nicht sichtbar und das Motiv so alt wie einleuchtend: "Du, Mensch, hast etwas, das ich zum Überleben meiner Rasse brauche. Gib es mir freiwillig oder ich nehme mir, was ich brauche." Die menschlichen Protagonisten, meistens erfahrene Wissenschaftler, stehen dieser Brutalität fassungslos gegenüber und finden auch keinerlei Lösung für dieses Problem.

Du weißt schon wer

Zwei witzige Details sollten nicht unerwähnt bleiben. Zum Einen erklärt Lovecraft endlich und abschließend, warum es nicht möglich ist, Außerirdische zu fotografieren. Das versetzt uns endlich in die Lage, zu verstehen, warum auf Fotos von UFOs etc. immer nur undeutliche, verwackelte, kaum zu erkennende Objekte schemenhaft abgebildet sind.

Zum Zweiten taucht in "Flüsterer im Dunkeln" eine Sekte auf, geführt von der Außerirdischen Gottheit "Hastur", die wiederum andere Ziele verfolgt als "Die Alten" oder die Menschen. Diese Gottheit "Hastur" trägt den Beinamen "Er, der nicht genannt werden darf" - kommt Ihnen dieser Terminus auch wie von Ferne bekannt vor?


Titelbild

Howard P. Lovecraft: Der Flüsterer im Dunkeln. Gelesen von David Nathan und Torsten Michaelis.
Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005.
243 Minuten, 24,95 EUR.
ISBN-10: 3785730594

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