Who's perfect

Eike Christian Hirsch auf Klassenfahrt ins neue Deutsch

Von Frank HertelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Hertel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eike Christian Hirsch - ein Name wie eine Offenbarung. Wer so heißt, meint es ernst. Wenn es dann auch noch um die richtige Verwendung von Sprache geht, weiß man schon: hier schreibt ein Experte. Gerade heute, wo alles relativ ist, wo man nichts mehr sicher weiß, wo gar am Sein der Wahrheit selbst gezweifelt wird, tut es gut, jemandem zuzuhören, der von sich und seiner Expertise restlos überzeugt ist. Ernsthaft: Das Buch mit dem Titel "Gnadenlos gut" ist tatsächlich gnadenlos gut. Denn der Autor kennt keine Gnade, wenn es darum geht, die deutsche Sprache seiner Mitbürger auf Korrektheit und Logik zu prüfen. Und er macht das gut, sehr gut sogar. Es gibt Stellen, ganze Seiten in diesem Buch, die wirklich brillant sind, die den Leser im besten Sinne aufklären, ihn weiterbringen und sogar das eine oder andere "Wow!" in ihm aufblitzen lassen. Der Anfang des Buchs gehört dazu. Die ersten zwanzig Seiten halten wirklich, was der Titel verspricht - nämlich einen Ausflug in das neue und neueste Deutsch. Man schnallt sozusagen ab. Dass ein Autor derart punktgenau neue Wörter und Sprachbilder aufspießen kann, hat etwas unheimliches. Auf jeden Fall muss man sagen, dass die Umschlaggestaltung daneben liegt. Man erwartet ein Kinderbuch, ein Schulbuch vielleicht, aber dieser Text hat wirklich eine breitere Zielgruppe verdient. Die erreicht man nicht mit einer "dtv-Junior-Optik".

In den elf Kapiteln mit zahlreichen ein- bis zweiseitigen Glossen beleuchtet das Buch jeweils eine Sprachbildfamilie. Das Fehlerhafte wird angezeigt, sodann darüber befunden, ob es schwer wiegt oder nicht und am Ende der Glosse wird in ein zwei Sätzen der Fehler noch einmal vorgeführt. Jetzt erkennt ihn der Leser. Er hat etwas gelernt. Ja, es ist ein Lehrbuch. Es hat etwas oberlehrerhaftes. Der Leser wird permanent angesprochen. Vermutlich nervt das den einen oder anderen. Stellenweise wirkt das Buch ein bisschen hölzern. Das muss man schon zugeben. Es gibt ein paar Durststrecken. Das sind die Gegenden, in denen nicht mehr das neue Deutsch "brutalstmöglich freigeschaufelt" wird, sondern es ganz allgemein um ein paar lauwarme germanistische Kalauer geht. Der Gefangene muss "sitzen", weil er "gestanden" hat. Solche Gags lungern schon seit Jahrzehnten in der Klamottenkiste der Fernsehunterhaltung herum. Was sie in einem Buch wie diesem verloren haben, ist unklar. Vielleicht hat man zu sehr auf das Konzept Lehrbuch gesetzt und dabei das Neue zu kurz kommen lassen.

Als Fazit bleibt stehen: Da, wo das Buch neue Entwicklungen betrachtet, ist es hervorragend - wo altbekannte Schulweisheiten ausgebreitet werden, ist es etwas langweilig und macht sich sogar des Titelbetrugs verdächtig. Da es mehr ersteres als letzteres in diesem Buch gibt, ist es ein gutes und empfehlenswertes Buch. Es hätte allerdings auch ein sehr gutes und absolut empfehlenswertes Buch werden können, wenn man das letztere nicht als billigen Füllstoff mitverwendet hätte.


Titelbild

Eike Christian Hirsch: Gnadenlos gut. Ausflüge in das neue Deutsch.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
160 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3406523048
ISBN-13: 9783406523045

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