Vereint in der Kritik

Birgit Haas stellt 'Wende-Dramen' ost- und westdeutscher Autor/innen vor

Von Andrea GeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Geier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liest man Prosatexte der 90er Jahre, scheinen die Folgen der deutschen Einheit in erster Linie ein Thema ostdeutscher Schriftsteller/innen gewesen zu sein. Das Drama der 'Wende' dagegen zeigt sich deutsch-deutsch vereint in seiner Kritik am Prozess der Wiedervereinigung. In ihrem Buch "Theater der Wende - Wendetheater" kann Birgit Haas siebzehn Dramen ost- und westdeutscher Autoren und einer Autorin vorstellen, die sich mit dem Thema 'Wende' und Wiedervereinigung beschäftigen. Der kritische Blick auf die deutsche Einheit macht sich an ähnlichen Themen, Figuren, Motiven und Klischees fest: die Figur des 'Wendehalses', die 'Kolonisierung' Ostdeutschlands, die ökonomischen Probleme, Motive der (Zwangs-)Heirat und Vergewaltigung als Bilder der 'Vereinigung', die Stasi-Debatte, das neue Nationalgefühl oder ein Erstarken des Rechtsradikalismus. Die Dramen scheuen dabei keineswegs platte Stereotypen, vor allem in einer 'Ossi'/'Wessi'-Figurenzeichnung, wie auch Haas mehrfach kritisch anmerkt. Dass die Plakativität der Botschaften in einzelnen Stücken deren literarische Qualität nicht unbedingt befördert, ist offensichtlich.

Haas möchte mit ihrer Studie "einen Überblick über dieses wichtige Kapitel deutscher Theatergeschichte" geben. Die Stücke werden chronologisch abgearbeitet, es wird kurz auf Inszenierungen und eine negative oder positive Aufnahme hingewiesen, und im Wesentlichen werden Inhalte referiert. Dazu passt, dass sprechende Überschriften fehlen und die Kapiteltitel stattdessen "Herbert Achternbusch: 'Auf verlorenem Posten' (1989)" bis zu "Christoph Hein: 'In Acht und Bann' (1999)" lauten. Der bewusste Verzicht auf eine die Darstellung strukturierende Fragestellung mag einem einführenden Überblick ebenso angemessen sein wie die spärlichen Hinweise auf Forschungsliteratur. Dagegen irritiert, dass kurze Einführungen zu den Autor/innen und eine Einordnung des jeweiligen 'Wende'-Dramas in das Gesamtwerk fehlen. Christoph Hein mag jedem etwas sagen, aber Elfriede Müller? Angesichts der Tatsache, dass vier Autoren mit jeweils zwei Stücken vertreten sind, hätte man außerdem die Chronologie eher zugunsten einer vergleichenden Besprechung dieser Dramen aufgeben sollen.

Nach der Lektüre der einzelnen Kapitel stellt sich vor allem eine Frage: Warum wollte Haas nur einen ersten "Überblick" geben? Einleitung und Schluss zeigen nämlich, dass aus diesem Buch mehr hätte werden können. Im Kontext der Medieninszenierungen der 'Wende' erklärt die Autorin eingangs, dass die hier vorgestellten Dramen der Wende die "Theatermetapher" verarbeiteten, mit der sich "das Verhalten von Politikern und Bürgern in jenen Jahren" (1989 ff.) erfassen lasse. Während die Politik theatralisch geworden sei, sei das Theater der Wende politisch gewesen und könne als eine Art Gegendiskurs aufgefasst werden: "Inhaltlich leer laufenden Medieninszenierungen fanden ihr kritisches Gegenstück in den Wendedramen". Dies zeige sich sowohl inhaltlich als auch formal. Sieht man einmal von den Pauschalisierungen ab, die Haas nicht nur an dieser Stelle unterlaufen - die Rede von "den" Ostdeutschen/ Westdeutschen/Bürgern/Politikern etc. - hätte man aus der These vom Gegendiskurs eine spannende Leitfrage für die Studie entwickeln können; diese Chance vergibt Haas leider. Tatsächlich verliert sie den Aspekt der Medieninszenierung teilweise sogar völlig aus dem Blick: In Volker Brauns "Iphigenie in Freiheit" etwa finden sich mehrfach Hinweise auf eine vom Opfer Iphigenie (= Ostdeutschland) empfundene Mittäterschaft an ihrer desolaten Lage, die mindestens einmal explizit mit dem Aspekt medialer Inszenierung verknüpft wird; beides fehlt aber in Haas' Referat. Gerade bei Haas' Thematisierung dieses Stücks fällt außerdem negativ auf, dass aktuelle Forschungsliteratur nicht berücksichtigt wurde, darunter zum Beispiel Heinz-Peter Preußers Interpretation und seine akribischen Nachweise der intertextuellen Bezüge in seiner Studie: "Mythos als Sinnkonstruktion" (2000).

Dass Referate der Drameninhalte insgesamt dominieren, ist umso bedauerlicher, als Haas Ansatzpunkte für Interpretationen aufzeigt, etwa wenn es um die Frage der Geschichtsauffassung in den Stücken geht. Außerdem bietet sie in ihrem Schlusskapitel eine Gliederung in sechs "Spielarten der Wendedramen": "Die Welt als Irrenhaus" (Volker Braun, Christoph Hein), "Die Welt als Scherbenhaufen" (Rainald Goetz, Heiner Müller), "Die Welt als Klamauk" (Herbert Achternbusch, Manfred Karge, Botho Strauß), "Die Welt ist real und veränderbar" (Rolf Hochhuth, Elfriede Müller, Franz Xaver Kroetz, Christoph Hein, Lutz Rathenow, Oliver Bukowski, Klaus Pohl), "Die Welt als Show" (Herbert Achternbusch, Manfred Karge, Botho Strauß), "Die Welt als Mythos" (Botho Strauß, Volker Braun), in der brauchbare Thesen liegen, die sich so aus den vorangehenden Darstellungen der Stücke jedoch nicht erschließen lassen. In Verbindung mit dem in der Einleitung aufgeworfenen Thema, der Kritik der medialen Inszenierungen, hätte man einen analytischen Fokus gewinnen können, aus dem sicherlich eine interessante Studie hervorgegangen wäre.

Birgit Haas verschenkt also leider ein gutes Thema und die Chance, einen genuinen Forschungsbeitrag zu leisten. Ihr Buch ist aber eine informative Quelle für diejenigen Leser/innen, die sich einen ersten Eindruck über das weite Feld der 'Wende'-Dramen aus den 90er Jahren verschaffen wollen.


Titelbild

Birgit Haas: Theater der Wende - Wendetheater.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2004.
164 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3826028643

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