Grenzhandel mit Worten

Uljana Wolf schläft in "kochanie ich habe brot gekauft" mit dem Zyklopen

Von Martin JankowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Jankowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fangen wir beim Anfang an: Zwei Tage, nachdem ich dieses Buch zum ersten Mal gelesen hatte, träumte ich von dem dunkelroten Ruderboot, das in der Graphik auf der Vorderseite abgebildet ist.

Was wie ein verunglücktes Kompliment an die Gestaltung dieses Gedichtbandes klingt, ist schlicht die Wahrheit: Dieses Buch ist schon vor dem Lesen traumhaft schön, ohne im Geringsten süßlich oder gewöhnlich zu sein. Die eigenwilligen Grafiken von Andreas Töpfer aus München (die einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Erfolg der bisher fünf bei KOOKBOOKs erschienen Gedichtbände haben dürften) sind im Falle von Uljana Wolfs "kochanie ich habe brot gekauft" besonders gelungen. Filigrane Vexierbilder zwischen technischer Computergrafik, postmodernem Comic und flüchtig skizziertem Traumprotokoll versetzen den Leser schon beim ersten Betrachten des Buchs in jene intime Stimmung innerer Reflexion, die es zum gelungenen Lesevergnügen unbedingt braucht. ("What's your name when you're at home?" fragt uns auch das Motto des Buchs sogleich mit Tom Stoppard.)

Die Texte von Uljana Wolf stehen den Bildern in nichts nach. Mit mehr als 40 Gedichten füllt sie das Buch mit einer ganz eigenen Poesie, die schon mit den ersten Zeilen von "die verschiebung des mundes" zu leuchten beginnt. Die kaum merkliche Verschiebung der vertrauten Dinge, der zu erwartenden Tatsachen, der bekannten Worte, der üblichen Perspektive um nur ein, zwei Grad scheint es zu sein, mit der Uljana Wolf es schafft, uns beim Lesen etwas überraschend Neues zu zeigen.

Dabei arbeitet sie mit keineswegs ungewöhnlichen Mitteln. Uljana Wolfs Sprache ist sparsam und genau. Das ist alles. Und das ist viel. Keine postmodernen Verrenkungen, keine stilistischen Duftmarken, die uns "Achtung Avantgarde" oder "check out: very sophisticated lyrics" zurufen, kein Sprach-Overkill lullt uns mit überflüssigem Rhythmus ein. Stattdessen knappe Verse, die selbst zwischen zwei kleinen Worten die Perspektiven tanzen lassen. Jedes Wort, jede Silbe kümmert sich um das selbst gesetzte Thema des Texts. Dichterische Attitüde taucht hier und da auf - als ironisches Zitat und genauestens platziert (wie etwa ein Rilke'sches "herr" gegen ende von "kryz polny"). Immer wieder wechseln die Tonarten hier und da um einen kleinen Viertelton, um uns kurz in das Innere des Texts blicken zu lassen und am Ende doch ein Ganzes zu erreichen. Tiefe und Witz verweben sich, stehlen sich nicht die Show, beflügeln sich gegenseitig, halten die Stimme von der ersten bis zur letzten Zeile frisch in der Schwebe.

Uljana Wolf wagt es scheinbar en passant, Themen anzugehen und Stilmittel einzusetzen, für die so mancher Jungdichter von der Kritik rasch viel Prügel beziehen könnte: "gott", "herr", "gebet", "vater/väter", "wald", "flur", "jäger", "soldat", "mädchen", "märchen" - das sind Schlüsselworte, die sich wie selbstverständlich durch ihre Texte ziehen, sie leicht und klar beherrschen. (Dass übrigens Worte wie Mutter kaum vorkommen, zeigt, dass in diesem Buch vor allem das Männliche auf verschiedenste Weise immer wieder betrachtet und befragt wird.) Bilder wie "mund", "stimme", "reim" irisieren zwischen realem Objekt und Metapher und thematisieren die Selbstreferenz der Sprache, ohne dass dieser Pfad je im Nebel des Vermutens verschwimmt. Blicke werden überblendet wie im Videoclip, etwa wenn der Blick auf ein Haus im Novembernebel zugleich die Beschreibung eines Geliebten ist ("kreisau", "nebelvoliere"). Lyrische Sounds werden gesamplet, die wir anderswo her kennen: "ach wäre ich nur..." ("aufwachraum I und II"); "schließ mich ein liebe ins gebet..." ("gästezimmer") oder "strenggenommen hast november du..." ("kreisau", "nebelvoliere"), um uns vom Bekannten her spielerisch mitzunehmen in offene, andere Sounds, in neue Ideenkombinationen.

So entfesselt Uljana Wolf mit dem Textzyklus "wald herr schaft" zu Motiven von Shakespeares blutrünstigem "Titus Andronicus" eine neogermanische Stabreimorgie, für die sie von den Jüngern Höllerers zur Hölle geschickt werden würde - doch im Spiel mit den Shakespeare-Übersetzungen Heiner Müllers und Dieter Wessels zwischen Mythos und Splatter erscheint etwas gänzlich Neues in den bekannten Figuren. Man könnte sagen, Uljana Wolf beherrscht die Sprache - wenn beherrschen nicht so eine problematische Etymologie hätte. Und nicht bespielen das treffendere Verb wäre für die Souveränität, mit der sie ohne große Gesten große Fragen beinahe schwerelos artikuliert. Vermutlich hat dies auch die Jury des renommierten Peter-Huchel-Preises (der bisher stets nur an gestandene Ausnahmedichter vergeben wurde, von denen man lange vorher schon gehört hatte) fasziniert und dazu gebracht, den Preis 2006 an Uljana Wolf und ihr Lyrikdebüt zu vergeben.

Diese Gedichte kreisen um die Dualität der Sprache in ihrer körperlichen und in ihrer geistigen/virtuellen Existenz. Ein fortwährender "grenzhandel an der sprache" ("wie das murmelchen ins gedicht kam") findet statt, immer wird die Herkunft der Sprache aus dem Körperlichen und der Eintritt der Worte ("fickrig und verschwistert") ins wortlos Körperliche mit bestaunt und beobachtet, egal, welchem Thema sich ein Gedicht ansonsten widmet. Dadurch werden diese Texte intim ("What's your name when you're at home?"), gehen bis auf die Haut; eine Erotik der poetischen Kommunikation, die Schreibende, Beschriebenes und Leser gleichermaßen berührt (die Gedichte "gästezimmer", "übersetzen" oder das titelgebende "kochanie ich habe brot gekauft" beispielsweise zeigen das besonders eindringlich).

Die meisten Texte des Bands leben zudem in und von der kulturellen Ost-West-Spannung oder thematisieren den polnisch-deutschen Zusammenhang. Im "kinderlied" wird ein altes Pionierlied aufgegriffen, das jedes Kind in der DDR einst auswendig kannte, weil es mit sehnsüchtiger Melodie die wahre Geschichte vom Tod des kleinen Trompeters erzählt - bei Uljana Wolf wird er zur unsterblichen Symbolfigur für eine kindliche Prägung, die nicht auszulöschen ist. In ofenbeheizten Berliner Wohnungen schlagen Väter morgens Ofenklappen zu und die Öfen "schliefen ... ohne uns/ in ihr vergessen zu nehmen". Aus den Industriebrachen von Glauchau oder Malczyce können "funken springen die uns galten". Gleise, Weichen und Züge sind Uljana Wolfs Bilder für das Unterwegssein, "land" und "brot" die Metaphern für das Existenzielle, das sind seltsam gestrige oder osteuropäische Bilder - und doch lebt jedes ihrer Gedichte ganz im Hier und Jetzt.

Es gibt in diesem Band sehr unterschiedliche, aber keine "schwächeren" Texte. Jedes Gedicht bietet eine Entdeckung, einen sprachlichen Reiz. Mein Lieblingsgedicht (eigentlich habe ich mehrere) findet sich fast am Ende des Bands unter dem schlichten Titel "nacht in f. - II":

der himmel
ein betrunkener
seemann
dem einer das auge
ausgestochen hat

im finstern
die weiße perle

du schläfst
mit dem zyklopen

Ein rundum gelungenes, ein schönes Buch. Glückwunsch! Das gibt es nur selten.


Titelbild

Uljana Wolf: kochanie ich habe brot gekauft. Gedichte.
Kookbooks Verlag, Berlin 2005.
72 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-10: 3937445161

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