Viele gar zu tolle Superwomen

Barbara Sichtermann und Andrea Kaiser über Frauen vor und auf der Mattscheibe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Frauen sehen besser aus", behaupten Barbara Sichtermann und Andrea Kaiser, nachdem sie sich ihre Geschlechtsgenossinnen vor und auf dem Bildschirm angeschaut haben. Ein dritter Blick zielte hinter die Kulissen. Ergänzt werden ihre Beobachtungen zu "Frauen und Fernsehen" durch zwischengeschaltete Interviews mit der Schauspielerin Ulrike Folkerts, die die "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal verkörpert, mit der Talkmasterin Sabine Christiansen und mit Anke Schäferkordt, die während des Interviews noch Geschäftsführerin des Fernsehsenders VOX war, inzwischen jedoch Chief Operating Officer bei RTL ist.

Von der Monica-Steegmann-Stiftung damit beauftragt, "genauer hinzusehen, wie es sich mit den Frauen und dem Fernsehen inzwischen verhält", haben die beiden aus der "Generation Alice" und der "Generation Ally" stammenden Fernsehkritikerinnen eine flott geschriebene "Revue der Fernsehfrauenbilder" vorgelegt, die ganz ohne Wissenschaftsjargon auskommt.

Beim Fernsehen handele es sich um einen "Marktplatz der Meinungen, auf dem umgeschlagen wird, was eine Gesellschaft beschäftigt", konstatieren sie zu Beginn. Soweit sich dieser gesellschaftliche Diskurs in den Fernsehprogrammen manifestiere, fahren sie fort, kreise er "unausgesetzt" um die Geschlechterrollen, die sich in einer "Vielfalt" darstellten, die auch "rückwärtsgewandte Muster" einschlösse. So fänden sich in den neuesten Produktionen auch "konservative bis hin zu reaktionären Frauenbildern", die Grund genug für reichlich "feministische Empörung" böten. Doch gebe es ebenso eine "Fülle von Gegenbeispielen". Allerdings enthülle sich bei näherem Hinsehen so manches scheinbar progressive Frauenbild als gar nicht so emanzipatorisch. Die "Inszenierungen vieler gar zu toller Superwomen" etwa lösten nur das alte Klischee weiblicher Schwäche durch das weiblicher Stärke ab. Kurz: "Interessante neue Profile koexistieren mit überholten Klischees, Modernität und Vorgestrigkeit überlagern sich." Weithin vergeblich haben die Autorinnen nach "der Frau" Ausschau gehalten, "wie sie geht und steht, liebt und leidet, arbeitet und Spaß hat, ohne mit Superlativen beladen oder von Retro-Klischees verzerrt zu werden". Doch auch Darstellungen solcher Männer gibt es kaum, könnte man anfügen. Außerdem, wer wollte solche Menschen auf dem Bildschirm sehen - außer den ZuschauerInnen von "Big Brother" vielleicht. Und auch die werden wenn nicht enttäuscht, so doch getäuscht.

Nun könnte man zweifeln, ob ein Buch, dass sich auf das Forschungsobjekt '(fiktive) Frau' konzentriert, in Zeiten der Gender Studies auf der Höhe der Forschung ist. Doch werden solche Bedenken schnell ausgeräumt, da die Autorinnen ihren Forschungs'gegenstand' immer wieder auf das andere Geschlecht und deren Rolle(n) beziehen.

Im Abschnitt über das Rezeptionsverhalten fernsehschauender Frauen erweisen sich die ausführlich referierten Einsichten von Alicia Remirez, seit 1988 bei SAT.1 Abteilungsleiterin des Bereiches TV-Movies, als besonders aufschlussreich. Doch halten "hinter den Kulissen" in aller Regel Männer weiterhin die "entscheidenden Positionen" besetzt. So können die Autorinnen auch nicht mehr, als den schon seit längerem bekannten Befund wiederholen, dass Frauen die "beruflichen Nachteile des Kinderkriegens" nach wie vor alleine zu tragen haben, oft ohne sich vorher dessen Tragweite bewusst zu sein. Noch immer "verschwinden" Frauen nach Studienabschluss und ersten Berufserfahrungen "im Kinderzimmer", "um eines Tages vielleicht im Teilzeitjob wieder aufzutauchen". Chancen, "große Karriere" zu machen, haben sie dann kaum noch. "Entsprechend konsequent meiden Männer diese Teilzeitfalle", konstatieren die Autorinnen. Zweifellos ist dem so. Dass Kinderlosigkeit ein "Teil des Preises" sei, den Frauen in der Regel für eine Karriere zu zahlen haben, klingt allerdings fast so, als gäbe es seltsamerweise keine Frauen, die einfach keine Kinder haben möchten. Vielleicht haben sich die Autorinnen da aber auch nur nicht richtig umgeschaut.

Mit nahezu der Hälfte des Umfangs bestreitet der Abschnitt "Lauter starke Frauen - Fiktion und Unterhaltung" den bei weitem größten Teil des Buchs. In ihm behandeln die Autorinnen zahlreiche Sendungen verschiedener Formate von Sitcoms und Comedies über Liebes-, Familien- und Kriminalfilme bis hin zu Talk- und anderen Shows, ohne dass allerdings Kriterien für die getroffene Auswahl der untersuchten Sendungen genannt würden. Etliches bringen die Autorinnen rasch auf den Punkt: Die "vielen Aschenputtels" sind in den Liebesfilmen "ausnahmslos die Gewinnerinnen im erotischen Schaukampf mit den Karrierefrauen" und "bestätigen die Hierarchie Mann-Frau"; die "deutsche Fernsehmutter" der "Mütterfilme" propagiert eine "schwer erträgliche Mystifikationen der Mutterschaft" und des "Opferkultes"; im Klischee der "aufmüpfigen Tochter" wird inzwischen auch Mädchen das "Recht auf Rebellion" eingeräumt; beruflich erfolgreiche Frauenfiguren "landen [...] rollenmäßig fix im Biestfach".

Es versteht sich, dass es bei dem breit gefächerten Spektrum der beleuchteten Genres und Sendeformate nicht immer ganz ohne unzutreffende Verallgemeinerungen abgehen kann. Zumal der den Autorinnen zur Verfügung stehende Raum mit kaum 80 Seiten recht knapp bemessen ist. Dass alle "Supergirls" "muskulöse Wehrhaftigkeit" eint, ist etwa ebenso wenig zutreffend, wie die Behauptungen, sie seien "ausnahmslos mit prominenter Oberweite gesegnet" und "fast immer sehr ernst". So sind unter anderem etliche Episoden die Serien "Charmed - Zauberhafte Hexen" und "Xena" (die von den Autorinnen allerdings nicht behandelt wird) humoresk angelegt. Auch haben Xena und ihre Gefährtin Gabrielle weder die allen Heldinnen des Supergirl-Genres zugesprochene "Wespentaille" noch den "Mordsbusen". Gleiches gilt für die "Charmed"-Figur Piper. Auch sind weder Piper noch ihre Halbschwester Paige durchtrainiert. Unzutreffend ist des Weiteren, dass diese Figuren kein persönliches Glück brauchen und auf Sex verzichten. Die "Charmed"-Protagonistinnen ringen fast in jeder Episode um ihr persönliches Glück und leben durchaus nicht sexuell enthaltsam. Phoebe und Piper heiraten gar und werden - durch ganz normalen Sex - schwanger, die Titelheldin der Serie "Xena" wird im Vorspann gar für ihren Mut und für ihre Leidenschaft gerühmt. Letztere gilt allerdings im Laufe der Serie weniger den Männern als Gabrielle.

Nicht die zauberhaften Hexen oder die Kriegerprinzessin Xena bilden den Autorinnen zufolge jedoch den "Inbegriff der starken Frau im Fernsehen", sondern die Kommissarinnen. Zwar werde die Fernsehkriminalistin heute differenzierter dargestellt als noch vor zehn Jahren. Doch sei es wünschenswert, "wenn ein paar der mittlerweile historisch überholten, ach so starken, ach so cleveren, ach so alterslos-ewig-attraktiven Kommissarinnen bald die Dienstwaffe zurückgäben und Platz für glaubwürdigere, facettenreichere Frauenfiguren machten". Zu Recht weisen Sichtermann und Kaiser auf die von Senta Berger in der Reihe "Unter Verdacht" gespielte Polizistin Eva Prohacek als Verkörperung einer der wenigen Charaktere hin, die ihren Ansprüchen gerecht werden. Mehr noch als das weithin zum Klischee geronnene Bild der toughen Fernsehkriminalistin kritisieren sie jedoch den Umstand, dass TV-Krimis noch immer "überwiegend von Männern geschrieben, inszeniert und gefilmt" werden.

Obgleich von den Autorinnen nicht so deutlich gesagt, lassen sich doch konservative bis reaktionäre von progressiven Genres und Sendeformaten unterscheiden. Prototypisch für die einen sind die Liebes- und Mütterfilme sowie die Kuppel- und die 'Schönheits'chirurgieshows, für die anderen - wenn auch mit Abstrichen - die "aufmüpfigen Töchter" der Vorabendserien, die Kommissarinnen und die "Supergirls" der Thriller- und Mystery-Serien.

"Momentan", so lautet das Fazit von Sichtermann und Kaiser, sind die Verhältnisse auf und hinter der Mattscheibe "auffallend schief. Immer mehr starke Frauen auf dem Schirm. Immer noch viel zu wenige mit Macht dahinter".

Ein ebenso aufschlussreiches wie lesenswertes Buch. Einige marginale Unachtsamkeiten tun seinem Wert keinen Abbruch und es bis zur letzten Zeile zu lesen, lohnt sich auch darum, weil sich erst dort sein (angesichts des Themas doch etwas seltsam anmutender) Titel erklärt - wie bei einem guten Krimi.


Titelbild

Barbara Sichtermann / Andrea Kaiser: Frauen sehen besser aus. Frauen und Fernsehen.
Verlag Antje Kunstmann, München 2005.
192 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3888973899

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