Der Dichter als Händler

Thomas Wegmanns Sammelband zur Beziehung von Literatur und Markt dürfte ein Longseller werden

Von Markus JochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Joch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass zwischen Ästhetik und Ökonomie ein so schwieriges wie komplexes Verhältnis besteht, ist Gemeinplatz; dass man es ohne Verkürzungen verhandeln kann, überrascht um so mehr. Wie sich das Kunststück bewerkstelligen lässt, zeigt die Anlage von "Markt literarisch", des Bands zu einer Tagung in der literaturWERKstatt Berlin vom September/Oktober 2004. Thomas Wegmann versammelt Literatur- und Medienwissenschaftler, deren materiale Interessen und normative Vorstellungen teilweise erheblich auseinander gehen, mit dem Ergebnis, dass die Beteiligten in unabsichtlichem Zusammenspiel alle wesentlichen Gesichtspunkte eines Mammut-Themas abdecken. Das sei an einigen markanten Beispielen verdeutlicht.

Eine Reihe von Beiträgen widmet sich literarischen Texten, die Marktgeschehen beobachten. Mit dem Markt im buchstäblich-lokalen Sinn, dem Schauplatz, an dem Waren ge- und verkauft werden, beschäftigt sich etwa Herrmann Henning-Trentepohl mit Blick auf eine Novelle von Ludwig Tieck. "Der Jahrmarkt" (1832) veranschaulicht narrativ, was Luhmann 150 Jahre später soziologisch formuliert, dass nämlich am Wirtschaftssystem nicht der 'ganze' Mensch teilnimmt, sondern die Person nur in ihrer Eigenschaft als wirtschaftendes Wesen. Tiecks Protagonisten sind entsprechend stark typisiert, doch versprechen sie sich Prämien, die nicht immer im Geldwert notieren. Was dem einen ein erhoffter Lotteriegewinn, ist dem anderen ein Verlagsvertrag notfalls auch ohne Honorar, wieder anderen, Fritz und Rosine, das Liebesglück. Überdies, so die beiläufige Pointe, rechnet Tieck verschlüsselt mit den konkurrierenden literarischen Anbietern ab, der Politisierungsnorm des 'Jungen Deutschland'.

Den Markt als unverortbares System, wo der vorteilhafte oder unvorteilhafte Tausch differenzbestimmend ist und das Individuum sich behauptet oder eben nicht, beleuchtet Werner Wunderlich anhand zweier populärer Stoffe. Literarische 'Milchmädchenrechnungen', seit dem 13. Jahrhundert verbreitet, haben mit dem Märchen von Hans im Glück gemein, dass sie den homo oeconomicus in der stultus-Variante vorführen. Nicht allein, dass die Magd den Milchtopf verschüttet, bevor der die einkalkulierten Gegenwerte einbringt. Mit Hans' hanebüchenen Tauschgeschäften teilt sie auch die Unkenntnis betriebswirtschaftlicher Grundregeln, wie Wunderlich in amüsanter Präzision vorrechnet: realistische Gewinnerwartung, Prüfung der Kundenbedürfnisse, worst-case-Szenarien etc. - Fehlanzeige.

Nicht ganz so eindeutig verhält es sich mit dem "Grünen Heinrich". Fritz Breithaupt hebt den Wandel in Gottfried Kellers Wertungssteuerungen hervor: "In der ersten Fassung", 1854/55, "sind der Markt und das ökonomische Geschehen eine der vielen Bühnen des fehlenden Selbst-Interesses von Heinrich. Die Welt des Ökonomischen ist robust, schwach sind nur manche Marktteilnehmer. In der zweiten Fassung des Romans dagegen",1879/80, "wird die Störungsanfälligkeit des Marktes als Eigenschaft des Ökonomischen selbst begriffen." Wenn der Markt sich von Lug und Trug affiziert zeigt, fällt es dem Erzähler schon schwerer, in seinem Namen Heinrich die Ich-Schwäche (etwa beim Verkauf der eigenen Bilder) anzukreiden. Abgesehen davon betont Keller nunmehr das parasitäre Ausgreifen der ökonomischen auf andere Sphären, zuvorderst auf Liebesbeziehungen. Im Akzentwechsel entziffert Breithaupt ein mentalitätsgeschichtliche Symptom. Gerade weil sich Ende des 19. Jahrhunderts das Bewusststein von ausdifferenzierten Wertsphären verallgemeinert, wächst das Unbehagen an ihren unschönen Überlappungen. So stehen denn in der zweiten Fassung die widerspenstigen, sich utilitaristischen Motiven verweigernden Nebenfiguren nicht etwa für Defizienz, sondern im Gegenteil für Individualität, ein 'menschliches', ein reines Ich.

Seit je zuhause sind Reinheitsgebote unter den Beobachtern des Kunstsystems. Die Vorstellung, wonach Ästhetik die Kunst als Sachverwalterin des Singulären theoretisch von den Niederungen des bloß Nützlichen und Kommerziellen abzugrenzen hat, verfolgt Rainer Leschke zunächst zurück bis Schiller und Hegel, um dann festzustellen, dass die traditionsreiche Differenzmarkierung in Adornos Unterscheidung von Kulturindustrie und Kunst nahezu unbeschädigt, wenn auch verschoben überlebte: "Die Angelegenheit wurde damit zu einer Unterscheidung in der Kultur selbst, und das machte sie zugleich zu einer Frage der Moral." Die rigide Grenzziehung, ablesbar selbst noch Rudolf Arnheims formalästhetisch angelegten Arbeiten zum Kino, soweit sie Filmkunst säuberlich vom massenkompatiblen "Konfektionsfilm" absetzten, hat mittlerweile an Plausibilität verloren. Zum einen ist die Ästhetisierung der Alltags-, inklusive der Warenwelt unabweisbar, zum anderen tendiert die Selbstschreibung des Kunstsystems zunehmend dazu, die Leitdifferenz kommerziell/nicht-kommerziell durch alt/neu zu ersetzen.

Und doch, so sehr Leschke die Entwicklung begrüßt, er erlaubt sich den Hintergedanken, dass auch postmodern gestimmtes Denken die Differenz von künstlerischen und ökonomischen Qualitätskriterien nicht ganz einebnen kann. Denn wenn sich Analytiker des Kunstsystems darauf einlassen, begeben sie sich immerhin ihres Hierarchisierungspotenzials. Mit diesem Zwischenton in seiner ansonsten so abgeklärten Rede nimmt Leschke vorweg, was "Markt literarisch" selbst abbildet: die Spannung zwischen Beiträgen, die das Eindringen der Warenkultur in die literarische Welt beschreibend schätzen, und solchen, die die (Halb-)Distanz von Autoren zum Markt als Beweis künstlerischen Rangs auszeichnen.

Erstere Position macht nicht zuletzt der Herausgeber stark. Er nimmt sich der Reklame an, mithin einer Erscheinung, die flammenden Kulturpessimisten als praktizierte Gegenaufklärung, ja "softer Totalitarismus" gilt (vgl. literaturkritik.de 02/2004). Wegmann stellt fest, dass die Reklame bereits in den 1920er Jahren "aufgrund ihres unverhohlen auf Profitmaximierung ausgerichteten Charakters als Katalysator im Streit um die Kommerzialisierung der Künste [fungierte]". Neben de-auratisierenden Literaturprogrammen, die Schilder, Plakate und Leuchtschriften der Städte als poetische Stimulans aufwerteten ("prompte Sprache", Benjamin) bzw. zum Sujet erhoben (Döblin), findet sich auch die Selbst-Sakralisierung. Das schlagendste Beispiel dafür - und eine schöne Trouvaille - ist die Begründung, mit der sich Bernhard Shaw weigerte, für das Kaufhaus Harrods zu werben: mit dem Heiligen Geist der Schriftstellerei sei das unvereinbar. Das Nein sieht Wegmann der Wahrung symbolischen Kapitals geschuldet. Ambitionierte Autoren wissen, dass ihr Ansehen in Literaturkritik und -wissenschaft, "den Chefetagen der E-Literatur", an die "Unbestechlichkeit durch irdische Güter" gebunden ist.

Gerade den Nimbus des Heiligen freilich nimmt Wegmann ins Visier, und das plausibel. Wer Literatur für das ganz Andere der Werbung hält, ignoriert beider Scharnier, die Markenkultur. So wie Reklame durch die Kreation von Marken die verlässliche, orts- und zeitunabhängige Qualität eines Erzeugnisses suggeriert und damit den Kunden vom Erwerb gründlicher Produktkenntnisse entlastet, funktioniert im Literaturbetrieb Information. Theaterkritiken, Rezensionen und Verlagsprospekte ermöglichen es den Eiligen, über Werke zu sprechen, ohne sie wirklich kennen zu müssen. Besonders die Biografie oder das Porträt eines Autors machen letzteren zur Marke, wenn sie ihn mit einem griffigen Image versehen, das für nicht-professionelle Leser Komplexität aufs Angenehmste reduziert.

Zu dieser Argumentation komplementär verhalten sich die Überlegungen von Moritz Bassler. Von ihm ist zu erfahren, dass sich am Umgang mit Markennamen die Geister der Gegenwartsliteratur scheiden. Wenn etwa ein Erzähler wie Wolfgang Hilbig abstrakt von "großen Kaufhäusern" spricht, statt konkret von Horten oder Karstadt, wird eine Mentalität kenntlich, die die Benennung und also Unterscheidung von Marken für Ideologie hält, einen auktorialen Standpunkt außerhalb der Warenwelt beansprucht. Für Bassler eine illusorische Haltung, der er ein Schreiben vorzieht, das sich nicht über die Markenkultur stellt sondern mitten in sie hinein.

Innerhalb des weltzugewandten Literaturtyps unterscheidet er das metaphorische Verfahren Rolf Dieter Brinkmanns, dessen "Persil"-Gedicht (1968) ein reales Produkt aufruft, um es für die Weißwäsche der braunen Flecken postfaschistischer Gesellschaft stehen zu lassen, vom Sprachgestus paradigmatischen Unterscheidens, wie ihn der aktuelle Roman von Thomas Meinecke ausstellt. "Musik" lässt Protagonisten zu Wort kommen, die an einer Marke wie Mariah Carey die Bedeutung innerhalb des popkulturellen Äquivalenzsystems interessiert. Hier wird die Frage, was die eine Diva von den anderen des Rhythm & Blues abhebt, ernsthaft bis leidenschaftlich diskutiert, ohne dass sich der Autor darüber lustig machte. Bassler betrachtet das als erfreuliches Indiz für den Sieg des massenkulturellen "Coke-Klimas" über die "weinklimatisch dominierte Nischenkultur deutscher Hochliteratur".

Deren sanfter Ridikülisierung zuwider laufen die Aufsätze von Bernd Blaschke und Norbert Christian Wolf. Sie unterstreichen, dass sich das so genannte Hohe nicht nur als obsoleter Snobismus, sondern auch als verdienstvoller Eigensinn beschreiben lässt. Er konturiert immer dann, wenn Autoren ihre Werke im Markt vorteilhaft zu platzieren suchen und doch nicht am Gelderwerb allein interessiert sind.

Blaschke erhellt das am gut gewählten, weil dramatischen Fall von Hermann Broch. Durch die Weltwirtschaftkrise von 1929 seines Vermögens verlustig gegangen, versucht er so entschlossen wie erfolglos, mit Theaterstücken, die um das Geldverdienen in harten Zeiten kreisen, Geld zu verdienen. Geht es aber um die Rezeptionssteuerung des Hauptwerks, stellt der gleiche Autor den pekuniären Nutzen hintan. Darauf zu bestehen, dass auf dem Waschzettel der "Schlafwandler" die Verwandtschaft zum schwierigen Modernisten James Joyce betont wird, heißt, den Lesern in schon halsbrecherischer Manier einen schweren Brocken zu annoncieren, sich im Zweifel für Ruhm und Ehre statt für den schnellen Verkaufserfolg zu entscheiden.

Ähnlich das Verhalten Goethes. Er verstand es, den eigenen Marktwert genau zu taxieren, seine finanziellen Interessen gegenüber den Verlegern äußerst geschickt zu verfechten. Andererseits optiert er 1824/25, bei der Verlagswahl für die Werkausgabe letzter Hand, nicht für das meistbietende Haus, sondern für Cotta, der zwar deutlich weniger zahlt, aber die beste Gewähr für eine solide Produktion, eine ansprechende Ausstattung und einen funktionierenden Vertrieb bietet. Umgekehrt ist sich der Verleger bewusst, dass die teure Ausgabe keinen kurzfristigen Gewinn abwerfen wird. Am für beide Seiten vorderhand unvorteilhaften Deal veranschaulicht Wolf die Funktionsweise einer doppelten Ökonomie im Sinne Bourdieus.

Das literarische Feld kennt zwei Pole. Am kommerziellen zählt der schnelle Profit in Gestalt von Bestsellern, am anderen das Renommee bei der kleinen Zahl literarischer Insider (production restreinte). Die Kooperation Goethe-Cotta demonstriert letztere, ohne dass die reine Selbstlosigkeit am Werk wäre. Der Verleger kann sich vom Verlustgeschäft eine Art Umwegrentabilität versprechen: der symbolische Wert des großen Autors wird auf den Verlagsnamen übergehen und lässt sich so langfristig in ökonomischen Wert konvertieren. Goethe wiederum sichert seinen symbolischen Rang, da erst der langfristig-konstante Absatz einen Autor zum Klassiker macht. Eine anti-ökonomische Ökonomie, in der Qualität, Prestige und Dauer, nicht schnelles Geld die bevorzugte Währung bilden, muss man sich allerdings leisten können. Goethes generelle Kompromisslosigkeit in ästhetischen Fragen wurde durch ein materielles Fundament, die üppige familiäre Kapitalausstattung begünstigt, wie zum Beweis, dass das "(geerbte) Geld immer noch am besten die Freiheit vom Geld [sichert]." Den Kernsatz Bourdieus greift Wolf auf, um überzeugend nachzuweisen, dass er nicht erst für Flaubert gilt.

Wenn "Markt literarisch" seinerseits die Qualitäten eines Longsellers besitzt, mehr als nur eine Auflage erleben dürfte, so verdankt sich das der materialen Bandbreite (Literatur, Theorie, Werbung) wie dem theoretischen Radius. Die meisten Beteiligen orientieren sich ex- oder implizit an Luhmann, folglich verstehen sie Literatur und Ökonomie als zwei autonome Systeme mit den voneinander unabhängigen Codes Poesie und Geld. Das Verhältnis der Systeme stellt sich ihnen als Koevolution dar: Literatur beobachtet den Markt, der Markt vice versa die Literatur - etwa dann, wenn sich ein Werbespot für den Kleinwagen Smart als nachgerade klassizistisch gebautes Minidrama erweist (Urs Meyer). Das Gegengewicht zum harmonisierenden Bild der Koevolution bildet der feldtheoretische Ansatz, der, statt Ökonomie als bloße Umwelt von Literatur zu beschreiben, die literarische Welt durch den permanenten Konflikt konkurrierender Ökonomien strukturiert sieht, das heißt durch die Spannung zwischen der vom Geldwert relativ abgekoppelten production restreinte und einer Produktion mit dem Massenabsatz als primärem Legitimationskriterium.

Die in der Germanistik überfällige Zusammenführung von system- und feldtheoretischer Sicht lohnt schon deshalb, weil sich nur so die rhetorische Frage Benjamins, ob der Dichter vom Kaufmann nicht mehr habe als man wahr haben will, beantworten lässt. In ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer stets noch Händler und Gehandelte, agieren die interessanteren Autoren zugleich auf einem begrenzten Markt symbolischer Güter, der sich der Logik ökonomischen Profits weitgehend entzieht. Als Herausgeber beiden Blickwinkeln Rechnung getragen zu haben, wenn auch zu sehr ungleichen Teilen, ist vielleicht das größte Verdienst Wegmanns. Es wiegt so schwer, dass der eine Ausreißer nach unten verschmerzbar ist.

Norbert Bolz glaubt immer noch, mit Hymnen auf die Marke HME provozieren zu können. Das Resultat des Glaubens berührt unangenehm; auf jede kluge Bemerkung kommen zwei abgeschmackte. Beachtenswert etwa ist die Einsicht, dass Enzensberger gerade durch die Verknappung massenmedialer Präsenz Aufmerksamkeit auf sich zieht. Anders steht es um die Idee seines Verehrers, seitenlang die "heilige Frechheit des ewig Jungen" abzufeiern, da der doch die "Ressentimentlinken", die "Oberseminarlinke", die "Chefs der Political Correctness" so kess vor den Kopf stoße, unhaltbare Positionen kaltblütig verlasse, stets zu überraschen wisse usw. Was vor 20 Jahren mal ein interessanter literaturwissenschaftlicher Beitrag war ("Eigensinn", 1985), ist heute von gratismutigem Recycling schwer zu unterscheiden. Wie alle symbolischen Güter entwertet sich eben auch das Intellektuellenbashing im Maß seiner Standardisierung.


Titelbild

Thomas Wegmann (Hg.): Markt. Literarisch.
Peter Lang Verlag, Bern 2005.
256 Seiten, 47,60 EUR.
ISBN-10: 3039106937

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