Pornografie und gelebte Realität

Ein Sammelband zur neuen Debatte um Pornografie und bestehende Geschlechterordnungen

Von Birgit ThomaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Birgit Thoma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon allein die Vorstellung einer Frau im Pornokino löst - sowohl bei Männern wie Frauen - Irritationen aus und wird von den Herausgeberinnen bewusst als Eingangsbeispiel gewählt, um die Perspektive einer "neuen" Debatte um Pornografie zu verdeutlichen. Mit Blick auf das weibliche Begehren sollen die bisherigen kulturellen Deutungsmuster von Körper und Sexualität hinterfragt und als das entlarvt werden, was sie sind, nämlich "eindimensionale hegemoniale Herstellungsprozesse männlicher (heterosexueller) Phantasien innerhalb der pornografischen Bilderwelt."

Damit steht nicht die (ur-)alte Frage einer kulturellen Definition von Pornografie bzw. das, was die "herrschende Meinung" als solche konstruiert, im Vordergrund, sondern eben ihre Dekonstruktion aus einer neuen - u. a. weiblichen - Perspektive. Ihre völlige Auflösung gelingt aber nicht, denn die Autorinnen des Sammelbands - eine Vortragsreihe im Wintersemester 2001/02 an der Universität Freiburg - scheinen es nicht für möglich zu halten, einen unabhängigen "weiblichen" (oder auch homosexuellen) imaginären Gegenentwurf zu dieser männlichen Bilderwelt zu entwickeln. Sie beschränken sich lediglich darauf, unterschiedliche Strategien im Umgang mit der männlichen Bild-Übermacht aufzuzeigen, die sich grob in drei Richtungen unterteilen lassen: Erstens einen parodistischen Umgang mit der Bilderwelt, der sie durch die Übersteigerung kritisieren soll (Ingelfinger), zweitens die Anerkennung einer gewissen Stimulierungstendenz, die dennoch eine Verbindung zwischen positiver Erotik und negativer Pornografie zumeist als sehr zweifelhaft ablehnt (Gehrke, Henke, Herz, Konopik/Laudan) und schließlich als dritte Herangehensweise, eine betont nüchterne Inszenierung sexueller Handlungen, wobei es hier in erster Linie um eine selbstverständliche Herstellung von Sexualität - oft aus dezidiert weiblicher (oder homosexueller) Perspektive - geht, die nicht mehr aus der kulturell akzeptierten Bildwelt ausgeschlossen werden soll und als "postpornografisch" bezeichnet werden kann (Henke, Rall, Wegenast, Georg Seeßlen).

Bei allen drei Perspektiven spielt die Auseinandersetzung mit der 'Tradition' eine große Rolle, allerdings gehen die Meinungen, wie mit ihr umzugehen sei und was somit erreicht werden solle, auseinander. Fatalerweise werden dabei die unterschiedlichen Ansätze oft gegeneinander ausgespielt, obwohl sie weder in ihrer Herangehensweise noch in ihrer Zielrichtung miteinander vergleichbar sind. Eine Frage, die in der Diskussion nach wie vor immer wieder auftaucht, ist die Frage nach dem Verhältnis von Pornografie zum gelebten Geschlechterverhältnis. In Anlehnung an die Thesen Butlers wird nach der ,Ordnung' oder auch 'Unordnung' der Geschlechter, die Pornografie jeweils verursacht, gefragt.

Wie ist das Verhältnis der pornografischen Bilder zur so genannten ,Realität', sei es die gelebte Sexualität oder auch die sozialen Verhältnisse, zu werten? Um die Antwort auf diese Frage gleich vorwegzunehmen: Es bleibt ein Dilemma, entweder wird gar nicht gewertet, oder zumindest nicht eindeutig. Zwar wird auf die klare Position der PorNo-Kampagne der Zeitschrift "Emma" aus den 80er Jahren verwiesen, ihr Ansatz aber als zu einfach - da lediglich auf den (behaupteten) Wirkungszusammenhang abstellend - lapidar verworfen. Gelebte Realität wird folglich nicht unter der Perspektive einer reziproken Wirkung analysiert, sondern die männliche hegemoniale Bilderwelt lediglich auf der Ebene von Fantasien angesiedelt, Wirkungen auf die gelebte Realität damit komplett in Frage gestellt (z. B. Rückert). Ein deutlicher backlash für jegliche frauenpolitische Forderung, die unter Verweis auf eine frauenverachtende und (männliche) Machtansprüche reproduzierende Wirkung von pornografischen Darstellungen, diese verbieten will. Zwar ist es gerade der Anspruch des Sammelbands nicht in diesem Zirkelschluss hängen zu bleiben, sondern weiterzudenken - es sollen schließlich "neue" und nicht erneut nur Pro- und Kontra-Debatten um Pornografie geführt werden.

Jedoch werden neuere diskursanalytische und (de-)konstruktivistische Herangehensweisen lediglich angerissen, denn die meisten Aufsätze adressieren dieses Thema nicht direkt, sondern erfordern einen mühevollen Blick auf den gewählten Fokus, bzw. den jeweiligen Untersuchungsansatz. Daher machen die Autorinnen diesbezüglich auch keine definitiven Aussagen, sondern lassen lediglich implizit erkennen, dass sie zwar von einer - leider nicht näher erläuterten - reziproken Wirkung der pornografischen (alltäglichen) Bilderwelt ausgehen (Henke, Ingelfinger, Liebrand/Schössler, Weber, Williams, Wilke), Schlussfolgerungen theoretischer oder praktischer Art erfolgen jedoch nicht.

Neue dekonstruktivistische und ethno-methodologische Ansätze der Genderforschung aus den 90er Jahren werden folglich nur kurz aufgegriffen, bzw. - wenn überhaupt - als Frage formuliert (Wilke) aber nicht konsequent adaptiert oder weitergedacht. Lediglich Cornell weist darauf hin, dass pornografische Fantasien zu einer Verfestigung der bestehenden Geschlechterordnung führen und Mainstream-Pornografie eine verletzende - traumatische - Wirkung auf Frauen haben kann, Konsequenzen daraus zieht aber auch sie nicht. Einzig bei gesellschaftlich marginalisierten Gruppen wie Schwulen und Lesben werden eigenen pornografischen Entwürfen identitätsstiftende und -erhaltende Wirkungen abverlangt, d. h. diese haben demnach also eine sehr direkte Auswirkung auf die jeweiligen RezipientInnen (Herz, Laudan/Konopik, Wegenast). Letztendlich führt die Juristin Frommel auf die entscheidende Frage, wie denn nun mit dem Verhältnis der (pornografischen) Bilder zum gelebten Geschlechterverhältnis umzugehen sei: liberal und permissiv - oder aber restrikiv? Diese Antwort steht bis heute aus. Eine wirklich "neue" Debatte darüber ist erforderlich.


Titelbild

Meike Penkwitt (Hg.): Entfesslung des Imaginären? Zur neuen Debatte um Pornografie. Freiburger Frauenstudien 15/2004.
Jos Fritz Buchhandlung und Verlag, Freiburg 2004.
282 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3928013319

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch