Von Platon, Kunst und Kühen

Ein Sammelband über weibliche Formen des Hervorbringens

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit nahezu halbjähriger Verspätung hat die Frankfurter Frauenschule nun den 20. Band ihrer Materialienreihe vorgelegt. Schuld an dieser Verzögerung ist die schwierige finanzielle Lage, in die das Projekt durch die zunehmende Streichung öffentlicher Mittel geraten ist, und die, wie es scheint, seine Existenz auf Dauer gefährden kann, von der auch der Fortbestand der "Materialienreihe" abhängt. Einer Reihe, der es seit nunmehr annähernd zehn Jahren immer wieder gelingt, den offenen Diskurs der feministischen und gender-Theorie zu bereichern, indem sie sonst nicht oder nur schwer zugängliche Vorträge publiziert.

Nun liegt mit der neuen Ausgabe eine Sammlung von Vorträgen vor, die sich mit den verschiedensten Formen weiblichen Hervorbringens befassen. Hervorbringen - das weckt Assoziationen an Weib, Frau, Mutter, Gebärerin, an einen eigentlich bereits überwunden geglaubten Essentialismus. Hervorbringen - das stimmt skeptisch. Zudem wird der Ankündigung, "Aspekte einer anderen Vernunft" zu thematisieren, eigentlich nur der Beitrag "Sinn für Übergänge" von Astrid Nettling gerecht.

Sie greift Platons Begriff chóra wieder auf, den bereits Luce Irigaray in den 70er Jahren für den feministischen Diskurs entdeckt hatte. Nettling nun führt den Begriff und sein Verb chórein eng mit einer bestimmten Vorstellung des 'Weiblichen'. Ebenso, wie Philosophie überhaupt dem Weiblichen, verweigert Platon dem Ausdruck chóra die Dignität eines Philosophems. Als eine Sache des Unterschieds vermöge das 'Weibliche' in Affinität zu dem "anarchischen Zug von chóra" eine Übergangsbewegung im Diskurs zu eröffnen, die nicht bestimmt ist von einem zu erreichenden Diskursziel. So könne gegen das "Unvermögen der Philosophie als Metaphysik [...] die Sache der philosophischen Differenz eröffnet werden."

Nun staubt aber die Metaphysik seit geraumer Zeit in den hinteren Reihen lange schon morscher Regalwände vor sich hin. Auch hat das 'Weibliche' als Verkörperung des Subversiven, Anarchischen seit den 70er Jahren ausgedient. Ob die Theorie, die Nettling hier nochmal unterbreitet, vom gender-Diskurs weiterführend aufgegriffen wird, bleibt zweifelhaft.

Die beiden anschließenden Beiträge befassen sich mit weiblichem Kunstschaffen. Gisela Jürgens erörtert in einem stark an der frühen Irigaray orientierten Essay die Originalität weiblicher Kunst, während Andrea Jahn am Beispiel Louise Bourgeois die Frage untersucht, "warum es für Künstlerinnen [...] immer noch schwierig ist, auf dem Kunstmarkt langfristig Fuß zu fassen."

In ihrem Aufsatz "Von Kühen und Weibern" räumt Isabelle Azoulay nachdrücklich mit der liebgewonnen Vorstellung der Domestizierbarkeit "der animalischen Brutalität" des Gebärens auf. "Was sich antipodisch gegenübersteht, ist ein weibliches Selbstbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts, das sich Aufklärung, Mitbestimmung, Bürgerrechte, Autonomie und materielle Unabhängigkeit zu eigen gemacht hat, und die animalische Wirklichkeit des Gebärens, die das Individuum negiert, verachtet, ausschaltet." Azoulay wirft die Frage auf, ob sich aufgrund dieser Einsicht "möglicherweise grundsätzlich neu über die Weiblichkeit reflektieren" lasse. Eine Antwort, wie diese Reflexion aussehen und verlaufen könnte, läßt sie jedoch allenfalls andeutungsweise erkennen.

Abschließend behandelt Christine Borer "Familie als Symbol für Triebverzicht und Anpassung und Familie als Sehnsucht des Begehrens nach Fülle, Sicherheit und Ruhe". Sie kritisiert den ohnehin nicht mehr virulenten Mythos, Ehe und Familie vereinbarten die Antagonismen "von Leidenschaft und Dauer, von Erotik und freundschaftlicher Zuneigung, von leidenschaftlicher Liebe und Solidarität, von Individualisierung und sozialer Verantwortung für die Kinder, von sozioökonomischen Notwendigkeiten und (verlogener) Selbstverwirklichung", ohne allerdings eine Alternative auch nur andeuten zu wollen. Antagonismen zudem, die wohl kaum bloß an Familie und Ehe gebunden, sondern intimen partnerschaftlichen Beziehungen überhaupt eigen sind. Eben diese Tatsache dürfte es sein, die die Suche nach Auswegen und Alternativen so aussichtslos erscheinen läßt.

Zwar fallen die Begriffe, Kategorien und Vorstellungen des einen oder anderen Beitrages hinter den aktuellen gender-Diskurs zurück, auch mag man nicht mit all ihren Thesen übereinstimmen oder bedauern, daß diese oder jene Frage offenbleibt, dennoch weist beinahe jeder der Aufsätze auf seine Art auf bisher weitgehend unberücksichtigt gebliebene Aspekte seines Themas hin. Allerdings muß auch gesagt werden, daß die heute virulenten Fragen der gender-Forschung nicht angesprochen werden.

Titelbild

Frankfurter Frauenschule (Hg.): Das Weibliche, das Andere der Vernunft? Über das Hervorbringen.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 1999.
200 Seiten, 9,20 EUR.
ISBN-10: 3927164496

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