Klein, aber fein

Marianne Büning portraitiert die Frauenrechtlerin Jenny Hirsch

Von Susanne KinnebrockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Kinnebrock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klein, aber fein - so lässt sich das Büchlein beschreiben, das Marianne Büning pünktlich zum 175. Geburtstag von Jenny Hirsch verfasst hat. Klein, denn es ist in der Reihe "Jüdische Miniaturen" erschienen und umfasst nur 62 Seiten; fein, weil das Leben Jenny Hirschs und ihre vielfältigen Tätigkeiten dennoch sehr anschaulich beschrieben werden.

Über Jenny Hirsch, eine der Gründungsmütter der ersten deutschen Frauenbewegung, ist vergleichsweise wenig bekannt. Die Literatur zu ihrer Geschichte weist zwar gerne darauf hin, dass Jenny Hirsch im Lette-Verein tätig war und dessen Zeitschrift, den (Deutschen) "Frauen-Anwalt", herausgab. Außerdem findet Erwähnung, dass sie John Stuart Mills feministischen Klassiker "The Subjection of Women" noch in seinem Erscheinungsjahr ins Deutsche übersetzte. Doch allenfalls kleinere Aufsätze oder graue Literatur haben sich bislang weiter mit Jenny Hirsch als Frauenrechtlerin beschäftigt. Journalistische und schriftstellerische Tätigkeiten bleiben weitgehend ungewürdigt.

Das mag daran liegen, dass sich Jenny Hirsch nicht mit radikalen feministischen Ansichten und öffentlichkeitswirksamen Aktionen profilierte - dies blieb späteren Generationen der Frauenbewegung vorbehalten. Daraus aber auf eine "Halbherzigkeit" ihres Engagements zu schließen, wäre ebenso falsch wie das Ausblenden der Vorreiterrolle, die sie sowohl als Frauenrechtlerin als auch als Journalistin spielte. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass Marianne Büning hier ein Porträt verfasst hat, das zwar keine historische Biografie ersetzen kann, das aber gute Einblicke in die vielseitigen Tätigkeiten Jenny Hirschs gibt, ihre zentralen Anliegen transparent macht und damit Zugang zu einem vernachlässigten Stück Frauen-, Frauenbewegungs- und Journalismusgeschichte schafft.

Marianne Büning hat ihr Porträt im Wesentlichen chronologisch aufgebaut. Der Herkunft, der Kindheit und den "Lehrjahren" sind die ersten Kapitel gewidmet, bevor die drei Arbeitsschwerpunkte Jenny Hirschs - Frauenbewegung, Journalismus, Schriftstellerei - gleichgewichtig in separaten Kapiteln behandelt werden. Den Abschluss bildet eine Beschreibung ihrer letzen Jahre.

Jenny Hirsch erblickte in Zerbst, einer Kleinstadt im heutigen Sachsen-Anhalt, das Licht der Welt. Sie entstammte einer angesehenen, streng-religiösen jüdischen Familie. Das Schreiben und das Lernen wurden ihr schon früh zum Lebensinhalt. Zugute kam Jenny Hirsch dabei - untypisch für diese Zeit - eine vergleichsweise gute "Höhere-Töchter-Schule". Dennoch - und dies war das Schicksal der meisten Mädchen des Bildungsbürgertums - war die Schulzeit mit 15 Jahren endgültig beendet und nur noch (heimliche) autodidaktische Weiterbildung möglich. Jenny Hirsch ging zunächst den üblichen Weg einer unverheirateten höheren Tochter: Führung des elterlichen Haushaltes, Pflege des verwitweten Vaters, heimlicher Verkauf von Handarbeiten.

Als Jenny Hirsch jedoch nach dem Tod ihres Vaters von ihren Pflegeverpflichtungen entbunden war und zudem ihren Unterhalt zu sichern hatte, eröffnete sie eine Elementarschule in Zerbst und reihte sich damit in das Heer bürgerlicher Frauen ein, die mit dem Lehrerinnenberuf der wohl einzigen Erwerbsarbeit nachgingen, die für bürgerliche Frauen respektabel war.

Bis zu diesem Punkt verlief Jenny Hirschs Lebensweg in den damals üblichen Bahnen. Doch spätestens mit dem Eintritt in die Redaktion der Berliner "Damen"-Zeitschrift "Der Bazar" 1860 fiel sie aus der Rolle. Marianne Büning, die ihre nächsten drei Kapitel thematisch gliedert, widmet sich zunächst aber dem (weitgehend ehrenamtlichen) frauenrechtlerischen Engagement Jenny Hirschs. Als 1865 der erste überregional agierende Frauenverein gegründet wurde, der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF), war Jenny Hirsch ebenso dabei wie ein Jahr später bei der Gründung des "Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts", des so gennanten Lette-Vereins, als dessen Geschäftsführerin sie fungierte. Damit war Jenny Hirsch letztlich zu einer Funktionärin der Frauenbewegung avanciert, wobei ihr Engagement v.a. verbesserten Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten galt. Auffällig ist, dass die Frauenrechtlerin von Anfang an gute Kontakte zur Presse unterhielt und vor allem auch selbst in vielfältiger Weise journalistisch tätig wurde.

Der Publizistik von Jenny Hirsch widmet Marianne Brüning eigens ein Kapitel, und sie tut gut daran. Denn erst über die Öffentlichkeit konnte die Frauenbewegung ihre Ziele bekannt machen, Akzeptanz erreichen und (neue) Mitglieder mobilisieren. Bemerkenswert ist, dass sich Jenny Hirsch bei ihren Versuchen, öffentliche Resonanz zu erzeugen, nicht nur auf Zeitschriften konzentrierte, die sich 'nur' an einen engeren Kreis von Aktivistinnen richteten. Zwar gab sie die Frauenbewegungszeitschrift "Frauen-Anwalt" (1870-1876, 1878-1881) heraus und schrieb regelmäßig für das ADF-Organ "Neue Bahnen", aber gleichermaßen fand sie Wege, Artikel in solchen Blättern unterzubringen, die nicht auf ein frauenpolitisch aktives Publikum zielten. Bereits von 1860 bis 1864 - also in der Zeit, bevor Jenny Hirsch in der organisierten Frauenbewegung aktiv wurde - war sie nach Berlin gezogen und in die Redaktion der Frauen- und Modezeitschrift "Der Bazar" aufgenommen worden. Zwar sind aus dieser Zeit wenige und v. a. keine einschlägigen Beiträge von Jenny Hirsch bekannt, doch dürfte sie just in dieser Zeit diejenigen Kontakte geknüpft haben, die ihr nach dem Austritt aus der Redaktion 1864 die Möglichkeit eröffneten, sich als freie Journalistin zu verdingen. Sie veröffentlichte weiterhin im "Bazar", schrieb aber darüber hinaus Rezensionen für das "Magazin für die Literatur des Auslandes" und für die Zeitschrift "Nordwest", gab von 1887 bis 1892 zusammen mit Lina Morgenstern (besser bekannt als "Suppenlina") eine frauenpolitisch engagierte Frauenzeitschrift heraus (einen Vorläufer der heutigen "Brigitte" mit dem biederen Titel "Deutsche Hausfrauen-Zeitung") und lieferte zudem Beiträge für Beilagen von Zeitungen (z. B. für den "Zeitgeist" des renommierten "Berliner Tageblatts").

Berücksichtigt man, wie schlecht damals Frauen im Journalismus bezahlt wurden, erscheint Jenny Hirschs Leistung, sich mit ihren Artikeln und Erzählungen über Wasser zu halten, umso eindrucksvoller. Diese Leistung wird auch dadurch nicht geschmälert, dass sich Jenny Hirsch in Publikationen für ein gemischtgeschlechtliches Publikum oft hinter männlichen Pseudonymen verbarg. Das war damals Usus.

Mit den "Erzählungen" ist ein weiterer Arbeitsschwerpunkt Jenny Hirschs erwähnt, dem Marianne Büning das Kapitel "Die Romanschriftstellerin" widmet. Denn Jenny Hirsch übersetzte Belletristik nicht nur, sondern verfasste auch selbst zahlreiche Unterhaltungsromane und novellenartige Erzählungen. Diese Werke, die sich gerne um Verbrechen rankten und "starke Frauen" präsentierten, sind zwar nicht in die Geschichte der "großen" Literatur eingegangen, waren aber anscheinend recht erfolgreich. Dies legt zumindest der Umstand nahe, dass einige Romane wiederholt aufgelegt und auch übersetzt wurden. Zudem unterstrichen Jenny Hirschs belletristische Werke ihre Forderung nach einer Verbesserung der gesellschaftlichen Situation der Frau.

Romane und Feuilletons waren es auch, die Jenny Hirsch in ihren letzten Jahren verfasste, obgleich sie langsam erblindete. Gesundheitlich angeschlagen, starb sie im Alter von 72 Jahren in Berlin.

Was bleibt nach der anregenden Lektüre dieses kleinen Buchs? Die Gewissheit, dass es sich bei Jenny Hirsch um eine bislang von der Forschung vernachlässigte Person handelt, die im Rahmen von mindestens zwei Kontexten weiter erforscht werden müsste: Zum Ersten als eine Vorreiterin der organisierten Frauenbewegung, d. h. als prägende Gestalt im ADF und v. a. im Lette-Verein. Denn Urteile der frühen Frauengeschichtsforschung der 1970er und 1980er Jahre, die konstatieren, Jenny Hirsch habe sich 'nur' für Bildung und Erwerb eingesetzt und somit implizit kritisieren, sie habe politische sowie sexuelle Fragen ausgeklammert, verkennen nicht nur Prioritäten und Handlungsspielräume einer sich gerade erst formierenden Bewegung, sondern auch die Bedeutung, die Jenny Hirschs Übersetzung von "The Subjection of Women" für spätere (bürgerliche) Frauenrechtlerinnen hatte. John Stuarts Mills Schrift, die - das sollte nicht vergessen werden - in engster Kooperation mit seiner Frau Harriet Taylor Mill entstand, wurde in den 1890er Jahren zum zentralen Referenzwerk radikalerer Frauenrechtlerinnen wie z. B. Hedwig Kettler, Marie Stritt und Anita Augspurg. Und zum Zweiten sollte Jenny Hirsch als eine Vorreiterin der Frauen im Journalismus erforscht werden. Die (ungeschriebene) Berufsgeschichte der Journalistinnen reicht sehr viel weiter zurück als bis in die 1920er Jahre, Jenny Hirschs journalistischer Werdegang ist dafür ein Beispiel.

Eine, besser: mehrere Biografien könnten über Jenny Hirsch geschrieben werden. Das hat dieses angenehm lesbare und wissenschaftlich fundierte Büchlein verdeutlicht. Marianne Bünings kurzes populärwissenschaftliches "Lebensbild" ist gehaltvoll genug, um wissenschaftlich Ambitionierte auf zentrale Aspekte einer noch zu schreibenden Biografie zu verweisen. Und dennoch kurz genug, um als leichte, schnelle und spannende Einstiegslektüre für ungeduldige Geister zu fungieren.


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Marianne Büning: Jenny Hirsch (1829-1902). Frauenrechtlerin - Redakteurin - Schriftstellerin.
Hentrich & Hentrich Verlag, Teetz 2005.
62 Seiten, 5,90 EUR.
ISBN-10: 3933471818

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