Der Phantastiker als Realist

Neuausgaben von Büchern Eugen Egners

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus dem reichhaltigen literarischen und zeichnerischen Werk Eugen Egners ist vieles nicht mehr greifbar - umso erfreulicher, dass bei Zweitausendeins nicht nur seine neue Produktion eine Heimat gefunden hat, sondern auch ältere Bücher wieder aufgelegt werden. Pünktlich zum Mozart-Jahr 2006 liegen "Die Tagebücher des W. A. Mozart" wieder vor, die, meist reizvoll, mit Klischees spielen: mit denen des Tagebuchs, das zu führen der kleine Wolfgang Amadeus in Egners Fiktion vom Vater zunächst gezwungen wird und das vielfach eher Nicht-Ereignisse als Ereignisse verzeichnet: "den 10:ten July 1770: nichts"; "den 19:ten July 1770: gar nichts erlebt. Auch schön." Egner schreibt ein kunstvoll altertümliches Deutsch, das den Leser in eine Pseudo-Vergangenheit entführt, in die aber wieder ganz Gegenwärtiges einbricht: "Das Nannerl hat mir die Don Juan-Oper hingeschmirt, da les ich in der zeitung, daß mir der Salieri, das Vieh, mit einem Werke gleichen titels ist zuvor gekommen. Kann ich also meine Opera wegschmeyssen und Lastwagenfahrer werden."

Auch solche Brüche halten das Interesse wach, das durch allzu viele, wenn auch durch Briefe des historischen Mozart nahegelegte Passagen, in denen es ums "scheissen" geht, zu erlahmen droht. Ganz auf der Höhe seines anderen fingierten Tagebuchs, des komisch-traurigen "Tagebuchs eines Trinkers. Das letzte Jahr", ist Egner darum nicht. Papier und Satz der Neuausgabe sind vielleicht weniger schön als die der 1998 bei Haffmans erschienenen Erstausgabe. Reizvoll ist dagegen die Umschlaggestaltung, die sich an die der Leipziger Insel-Bücherei anlehnt, bei genauerem Hinsehen jedoch ein liebevoll ausgeführtes Muster von kleinen Fratzen erkennen lässt.

Viele Zeichnungen Egners zieren die Tagebucheinträge; waren sie in der Erstausgabe schon enthalten, so sind die opulenten Illustrationen der anderen Wiederveröffentlichung neu. Rudi Hurzlmeier und Michael Sowa haben der Erzählung "Als der Weihnachtsmann eine Frau war" von phantasievollen Details überbordende Bilder beigefügt, die alleine den Kauf lohnen. Wie fast stets bei Egner gerät auch hier die Welt aus den Fugen; darin mag der Phantastiker ein großer Realist sein. Dass der Weihnachtsmann eine Frau ist, ist bei weitem nicht das Schlimmste und trägt eher noch zur Rettung bei. Die Pläne des Dr. Knebel, der unterstützt von der "Brigade Tod & Teufel" die Menschheit im Primitivismus versinken lassen will; die lange vergeblichen Versuche des Reporters Thompson, den bei der Provinzzeitung des Ritters von Trautwein Entlassung und später bei der Hauptstadtzeitung grenzenlose Demütigungen erwarten und der doch die Wahrheit publizieren will; nebenbei sprechende Rinderhälften, Aktionen des Weihnachtsmanns im Ersten Weltkrieg vor Verdun und Dimensionenüberschreitungen aller Art: Das steckt ungefähr den Rahmen der Erzählung ab.

Sie mit ihren zahlreichen plötzlichen Wendungen zusammenzufassen, bräuchte kaum weniger Raum als sie selbst einnimmt: Egners Erzähltempo ist hoch. Er schwatzt nicht, skizziert sicher Umgebungen mit wenigen Sätzen und verzichtet auf psychologische Tiefe - denn es herrscht stets Not. Ständig mit Neuem konfrontiert, bleibt den Personen keine Zeit zur Seelenerforschung. Sich anzupassen und zu überstehen, fordert schon beinahe die ganze Energie; der Rest wird für die Rettung der Menschheit gebraucht.

Egners Prosa ist so verknappt, wie die Bilder Fülle bieten; und dabei eignet der Sprache häufig ein parodistisches Element, das die Kolportage-Literatur, der die Erzählung einiges zu verdanken hat, mit subtilem Spott bedenkt. Egners Bezugspunkt ist das Niedere, aus dem er freilich hohe Kunst macht - wie nicht zuletzt diese Neuausgabe zeigt.


Titelbild

Eugen Egner: Als der Weihnachtsmann eine Frau war.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2005.
83 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3861507382

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Titelbild

Eugen Egner (Hg.): Die Tagebücher des W. A. Mozart. Illustriert von ihm selbst.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2005.
61 Seiten, 6,50 EUR.
ISBN-10: 3861507404

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