Schöner Morden

Magdalen Nabb baut weiter an ihrem Kulissen-Florenz

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich müsste so etwas verboten werden. Jeder, der gern nach Italien fährt, hat ein Idealbild vor Augen, das er oder sie gern erfüllt sehen möchte: das gesellige Leben, die Promenade, alte Männer, die auf dem Markt um Rinder oder Schafe feilschen und Neuigkeiten austauschen. Laue Abende, die man mit dem Weinglas in der Hand mit Blick auf irgendeine historische Stätte oder alte Kulturlandschaft genießen will, Weintouren durch die Toskana, Einkaufsbummel durch die diversen Altstädte, kleine Cafés oder Restaurants, in denen sich wahlweise der schnelle Café zwischendurch, die italienische Küche oder das Leben überhaupt genießen lässt.

Keine Frage, das ist, was ich will, wenn ich nach Italien fahre, und ebenso wenig fraglich ist, dass eine Menge Reiseführer und -berichte, Kochbücher und Romane am Bild Arkadiens mitgestrickt haben, das der durchschnittliche deutsche Leser im Kopf und gelegentlich im Bauch mit sich herumträgt. Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat jedenfalls der bildungsbürgerliche Altvater der Italienfahrer (der auch schon ein Epigone war) noch den geringsten Einfluss. Ganz anders dagegen die Riege der Krimis schreibenden angloamerikanischen Damen, die sich unser Italien zum Schauplatz gewählt haben. Bei Patricia Highsmith angefangen über des Deutschen liebster Donna Leon bis hin zu Magdalen Nabb: Sie alle haben den fremden und zugleich begeisterten Blick auf dieses begnadete Land geworfen, in dem es einen Faschisten brauchte, damit die Züge pünktlich fahren, das sich einen Medienmogul zum Regierungschef wählt, dessen Selbstsucht eigentlich niemand leugnet, das Antonio Gramsci und so manch anderen KPI-Potentaten und Anarchisten auf seinen Plätzen verewigt hat, dessen Landschaften zwar blutgetränkt, aber dennoch idyllisch sind und das aus unscheinbarem Obst die abendländische Basisdroge keltert. Wenn es dieses Italien nicht gäbe, irgendjemand müsste es erfinden.

Erfunden wird es auch immer wieder und immer wieder aufs Neue, nicht zuletzt in den Krimis um den Maresciallo Guarnacci, den es aus dem fernen Sizilien in das stolze Florenz verschlagen hat, in dem auch nicht jeder mit Fremden spricht, selbst wenn sie schon lange da sind. Dass das geschieht, ist nicht zu verurteilen: Auch wenn das Florenz Magdalena Nabbs ein ebenso fiktives Italien ist wie das Venedig Donna Leons, solange die Szenerien ihre Faszination nicht verlieren und die Wünsche bedienen, die mit ihnen verbunden werden, ist dagegen nichts zu sagen. Es sei denn: Authentizität. Aber wer will schließlich beurteilen, ob das eine der vermittelten Bilder authentisch ist und das andere nicht? Italiener? In diesem Fall? Aber warum sollten die beklagen, dass in Romanen wie dem von Magdalen Nabb ein Koch- und Reisebuch-Italien geschildert wird, das den Pauschal-, Ferienhaus- wie Kulturtouristen wohl für immer verborgen bleibt? Immerhin bringt das Touristen ins Land und der Lebensmitteindustrie Exportquoten bis auf weiteres.

Aber halt, ein paar Grenzen sollte es trotzdem geben. Zum Beispiel beim extensiven Gebrauch des Wortes "köstlich". Vor allem, wenn es in beliebigen Zusammenhängen auftaucht, die man sich andererseits nicht vermiesen lassen will, zum Beispiel im Zusammenhang mit heißem Olivenöl und Knoblauch oder mit "frischem Café". Das aber hat nichts mit Authentizität zu tun, sondern mit Geschmack: Immer da, wo Worte wie "Schlemmer", "Gourmet" oder eben "köstlich" auftauchen, ist der schlechte Geschmack nicht weit. Werbetexter haben für so etwas leider kein Gespür, oder sie glauben, dass ihre Kundschaft gerade auf so was abfährt. Deshalb tauchen in schlechter Lebensmittelwerbung gerade solche, zu inkriminierenden Begriffe auf und weisen mit untrüglicher Sicherheit darauf hin, dass hier kulinarisch nichts zu holen ist. Das weiß man, das meidet man, das muss man nicht essen. Wenn aber in einem ansonsten keineswegs unangenehmen Kriminalroman wie dem von Magdalena Nabb Schlüsselwörter wie "köstlich" mit einem Mal gehäuft auftauchen, dann hat entweder die Übersetzerin versagt (gestehen Sie, Frau Köster-Roth!) oder die Autorin hat - verführt durch den jahrelangen Erfolg - für ein paar Momente und leider eben wiederholt die Zügel schießen lassen.

Dass es in der erfolgreichen Kriminalliteratur heutzutage - zumeist - nur am Rande noch um das crimen selbst geht und das Ambiente, der Lebensstil und die aventiuren des allein ausreitenden Ermittlers oder auch um die jeweilige Landes-, Sozial- oder Kiezkultur viel, viel interessanter sind, ist mittlerweile allgemein bekannt. Das hat bislang noch niemanden vom Krimi-Lesen abgehalten. Der "loneliner" des Western ist im einsamen und heruntergekommenen Detektiv wieder geboren, und wird es von Mal zu Mal wieder. Insofern haben Krimis nicht nur bleibende Eindrücke von Italien, sondern auch von England, London, New York, Los Angeles, Schottland, gelegentlich auch Berlin oder Schweden vermittelt. Und wer würde behaupten wollen, eines dieser Länder oder eine dieser Städte besser zu kennen, als es diese Romane simulieren? Selbst für die Einheimischen, die ihren Alltag hier wie dort eher unauffällig erleben, haben Krimis noch Neues zu vermitteln. Immerhin, das Verbrechen lauert immer und überall.

Ungeschmälert ist auch der aufklärende Auftrag von Kriminalromanen, sei es was den generellen Verfall der überlieferten Lebensformen und -gewohnheiten, sei es was die Sünden und Verbrechen der Vergangenheit, sei es schließlich was den Ausverkauf von alteingesessenem Kunsthandwerk angeht. Dass in Guarnaccias 13. Fall das Opfer, eine eingewanderte Japanerin, vor ihrem Tod Lehrgeld zahlt (und keineswegs Lehrgeld erhält), ist eine der Neuerungen, die das moderne Leben auch für echte Florentiner bereithält. Im Vergleich dazu ist ein Sizilianer bei der Polizei noch tolerierbar. Die imaginierten Sozialgebilde á la Nabb kämpfen nicht um ihren Fortbestand, das wäre auch nicht im Vertrag mit den Lesern inbegriffen; sie sind ihrer eigenen Auflösung hilflos ausgeliefert. Und aus ihren Reihen selbst kommt schließlich der letzte Stoß, der das fragile Sozialgebäude traditioneller italienischer Stadtviertel in sich zusammen fallen lässt. So auch in diesem Fall. Auf diese Weise bindet Nabb - wie viele ihre Kolleginnen und Kollegen - die zwei bis drei Erzählungen, die ihre Bücher enthalten, aneinander: der Verfall des sozialen Lebens erzeugt die archaische Gewalt, die mordet, und der ermittelnde Commissario oder Maresciallo erlebt hautnah in seinem Privatleben mit, welche Auswirkungen die gesellschaftlichen Veränderungen auf der untersten sozialen Ebene haben, im Privatleben, in den Familien. Das stiftet immer dann, wenn der Täter nichts anderes im Sinn hat, als die Wiederherstellung der Ordnung, eine gewisse Sympathie, auch wenn der Stifter ein Wahnsinniger, ein Psychopath ist. Ist der Täter aber der Agent der Zerstörung, ist sein schließlicher Tod das kleine, aber vielleicht einzig für Hoffnung zeugende Zeichen dafür, dass es irgendwie doch weiter geht. Dieser Widerspruch zwischen Zerfallsdiagnose und sozialer Utopie zeichnet auch Nabbs neuen Roman aus. Hinzu kommen die wunderbaren, nur gelegentlich verkitschten ("köstlich"!) Florenzkulissen, die sich nur bedingt von denen Venedigs bei Donna Leon unterscheiden. Das mag man verurteilen, das mag man als zu langweilig ablehnen, im Großen und Ganzen ist das aber genau das, was Italien-Touristen brauchen, um sich für den nächsten sommerlichen Trip zu motivieren. Natürlich immer in den gebotenen Grenzen des guten Geschmacks. Aber die "köstlichen" Ausrutscher verzeiht man ihr auf Dauer nur deshalb, weil Nabbs Hauptfigur Guarnaccia zu herrlich durchschnittlich und dabei so erfolgreich ist, dass wir uns unserer eigenen Durchschnittlichkeit nicht zu schämen brauchen.


Titelbild

Magdalen Nabb: Eine Japanerin in Florenz. Guarnaccias dreizehnter Fall. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ursula Kösters-Roth.
Diogenes Verlag, Zürich 2006.
343 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3257065248

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