Zeigt her eure Körper!

Mode, Sex und Heidi Klum

Von Andrea GeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Geier

Models, Mode, die 'richtigen' Körpermaße und wie man sie bekommen kann - das sind klassische Themen von Frauenzeitschriften. Heidi Klums Model-Sendung darf da als aktuelles Thema natürlich nicht fehlen, und alle möglichen interessierten Käuferschichten sollen bedient werden. "Cosmopolitan", die Frauenzeitschrift für die mode- und trendbewusste, berufstätige und nicht mehr ganz junge Frau, bietet ein "Special: Heidi Klum sucht Deutschlands nächstes Topmodel", darunter Fotos verschiedener Kandidatinnen und eines von Heidi. In "Young", der Zeitschrift für junge Mädchen von der Pubertät bis zur jungen Erwachsenen, die aber auf jeden Fall schon gesiezt werden möchten, darf ganz adressatengerecht die sechzehnjährige "Young-Leserin" Luise, eine der Kandidatinnen der Show, "vom harten Weg ins begehrte Modelgeschäft" berichten. Brav referieren beide Artikel, dass sich 11.000 Mädchen beworben hatten und dass viele schwierige Aufgaben wie "trotz Stress stundenlang posieren und dabei so entspannt lächeln [...] wie auf einem Urlaubsfoto" ("Cosmopolitan") und "Tränen, Zittern und Zickengehabe" ("Young") den Kandidatinnen zu schaffen machen. "Young" zeigt Lisa noch in einer Art Foto-Story: "Heidi Klum und ich in der Maske". Wie süß! Der Tenor dieser Texte klingt nicht viel anders als der Ankündigungstext einer Fernsehzeitschrift, in der es zur Sendung vom 11. Februar hieß: "Auf die Kandidatinnen warten Aufgaben zwischen Laufsteg, Make-up und Schulung des Selbstbewusstseins". Hartes Business, schwierige Aufgaben, Selbstbewusstsein?

Über Selbstbewusstsein lässt sich auch in Frauenzeitschriften eine Menge lernen - aber zunächst noch einmal ein kurzer Blick auf ein paar Mädchen, die Karriere machen wollen, und was die März-Ausgaben der beiden Frauenzeitschriften nicht über sie berichten: Anfang Februar, als gerade Nachrufe auf Betty Friedan erschienen, die Autorin des bahnbrechenden feministischen Buches "Der Weiblichkeitswahn", schaltete der Fernsehsender "ProSieben" in fast allen deutschen Zeitungen ganzseitige Anzeigen, die verkündeten: Models und solche, die es werden wollen, hungern nicht!

Dieses schöne Zusammentreffen hatte unbeabsichtigt die "Bildzeitung" mit ihrem Vorwurf ausgelöst, "Germany's Next Topmodel" treibe junge Mädchen in den "Schlankheitswahn". Der Sender reagierte prompt und auf breitester Front. Die Anzeige enthielt ein halbseitiges Foto, das während eines Shootings in New York entstanden war. Laut Bildunterschrift sind darauf Yvonne, Jennifer, Luise, Anne, Janina, Lena G. und Lena M., Rahel, Andrea, Charlotte, Micaela und Céline zu sehen. Unter der Überschrift "Sind WIR zu dünn?" heißt es: "Bei den Dreharbeiten muss niemand hungern. Im Gegenteil. Die Buffets sind superlecker."

Im Text geht es außerdem noch um die "geile Zeit", die die Kandidatinnen haben, während sie "lachen, lernen und laufen" und auf diese Weise ein "großes, spannendes Abenteuer" erleben - man kennt das schon. Über Körper ist nichts zu lesen, weder 'dünne' noch 'dicke', dafür einiges zu sehen. Der Anblick der Dekolletés, die durch hübsche bunte BH-Oberteile im halbseitigen Anzeigenbild gut zur Geltung gebracht werden, helfen allerdings nicht, die Frage der Mädchen "Sind WIR zu dünn?" zu beantworten.

Dass die Modewelt voller Rätsel ist, ist für Frauen nichts Neues. Überraschend ist höchstens, wie sehr sie es ist, auch wenn sie sich erklären will. Der Anzeigentext ist dafür ein gutes Beispiel. Die Aussage "Bei den Dreharbeiten muss niemand hungern" ist offenbar beruhigend gemeint, bedeutet aber eigentlich nur, dass die Frauen nicht hungern, während sie am Wettbewerb teilnehmen. Rätselhaft bleibt auch, warum Célines Unterschrift auf dem abgedruckten Originalbrief fehlt. War sie etwa gerade beim Essen, als sie unterschreiben sollte? Oder hatte sie den Zirkus schon verlassen - die einzige Kandidatin, die aus eigenem Entschluss ging, von Anfang an eine Außenseiterin, weil sie noch andere Interesse hatte als das Modeln und weil sie es nicht aushielt, den ganzen Tag über Make-up und Klamotten zu reden? Der naiv-gekränkte Tonfall des Anzeigentextes wiederum: "Und jetzt auf einmal soll es so schlimm sein, dass wir an unserem Traum arbeiten? Das verstehen wir nicht" scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass die hoffnungsfrohen Kandidatinnen sich einfach nicht so gut ausdrücken können. Doch, halt! Sie sind gar nicht schuld, denn sie haben den Text, der im 'Original' in der Anzeige mit abgedruckt ist, zwar mit ihren Vornamen unterzeichnet, aber nicht verfasst - er entstand, wie "ProSieben"-Sprecher Christoph Körfer erklärte, aus Gesprächen mit den Kandidatinnen.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Berichterstattung in den April-Ausgaben der Frauenzeitschriften wesentlich anders aussehen wird. Der kritische Blick hinter die Kulissen eines Business, über das man 'berichtet', gehört nicht zu den genuinen Aufgaben eines Mode- und Lifestylemagazins. Das hat mit ihrem Daseinszweck zu tun: Sie sollen gute Laune machen und als 'Freundin' in Mode-, Männer- und anderen Fragen 'beraten'. Alltagsprobleme dürfen dabei in begrenztem Umfang vorkommen, aber nur als lösbare Probleme: Wer keinen Partner hat, der muss eben an seinen Flirttechniken arbeiten. Wer schlaff ist, hat nur den richtigen Fitnessplan noch nicht gefunden. Wer Falten bekommt, pflegt sich mit den falschen Produkten. Dass Werbeanzeigen und Produktberichte sich in diesem Wohlfühlkonzept kaum unterscheiden - Ungeübten sei gesagt: bei letzteren ist meistens der Preis angegeben und manchmal auch, welcher Prominente das Produkt benutzt - gehört zum Typus des Magazins.

Dass keine Berichterstattung stattfindet, ist also erst einmal kein Fehler der Zeitschrift, sondern der Erwartungshaltung. Und dass ein auf Selbständigkeit und -sicherheit in allen Lebenslagen ausgerichteter Frauentyp, wie er von "Cosmopolitan" konzipiert ist - dem man zutraut, sich für eine Straußledertasche von Bulgari, Kostenpunkt: € 5000,- ebenso zu interessieren wie für Klamotten von "H & M" - vielleicht nur wissen will, dass es die Show gibt, leuchtet ein. Aber wie steht es mit dem 'Selbstbewusstsein' vom Typus der "Young"-Leserin? Sollte die Frage "Bin ich wirklich zu dick?", die eine ganz offensichtlich überaus schlanke Kandidatin aus der Klum-Show äußerte, wirklich gar nichts in einer Zeitschrift für junge Mädchen und Frauen wie etwa "Young" zu suchen haben? Welche Themen werden hier überhaupt behandelt? Und welche Frauenbilder werden dabei vermittelt?

Zur Warnung sei vorausgeschickt: Solche Fragen führen in Abgründe. Dass die "moderne Eva", so ein Statement von Wolfgang Joop, "wieder romantisch" ist und deshalb "junge, erwachsene Frauen wieder spielen" wollen, und zwar nicht nur mit Stoffen, sondern, wie Young weiß, "einem attraktiven Mann", erscheint als die perfekte Verbindung zwischen sanftem 'Mädchen'-Chic und nicht ganz so zurückhaltenden Wünschen, die sich auf das andere Geschlecht richten. Soweit, so gut. Doch während die Modestrecken sanft-züchtig bleiben, geht es an anderer Stelle im Heft heftiger zur Sache: Neben dem niedlichen Küss-Test ("Wie er küsst, so ist er!") wird "Nie wieder Blümchensex" als Parole ausgegeben. Selbst wenn man annimmt, dass Sechzehnjährige wie die schon erwähnte 'Young-Leserin Lisa' die untere Altersgrenze der Zielgruppe markieren, gerät man auf den nächsten acht Seiten schon ins Staunen. Hier wird nicht nur sexy Bettwäsche, ein erotischer Bildband auf dem Nachttisch oder ein kleiner Striptease als Vorspiel empfohlen. "So klappt's auch mit den Fesselspielen" bietet praktische Anweisungen, allerlei künstliche Helferchen werden vorgestellt, zu einem "sexy Fotoshooting" geraten, natürlich nicht ohne "Tipps für 'playboytaugliche' Bilder", und verkündet, dass Analverkehr auch schön sein kann. Leserin "Lolle M., 28, München" darf von ihrem Abenteuer im Swingerclub berichten: "Ich checkte meine Dessous, puh, ganz okay", und "Sara, K, 25, Köln", über ihr Rollenspiel als Call-Girl: "Mein Freund bezahlte mich...". Dass sich neben der Überschrift "Komm zur Sache, Schätzchen!" der Ratschlag findet "Frauenpower. Mann liebt es, wenn sie die Führung übernimmt - zumindest manchmal" wirkt als unfreiwillige Quintessenz.

Man fragt sich, was wohl desaströser auf das Selbstbewusstsein junger Mädchen wirkt: die Abbildung dünner Models oder diese Art der Lebensberatung. Dass "die große Freiheit den Einzelnen im Umgang mit Sex offenbar kaum freier gemacht" hat, wie die "Cosmopolitan" in der März-Ausgabe feststellt, dürfte jedenfalls auch für die Tipps in "Young" und "Cosmopolitan" selbst gelten. Das Selbstbewusstsein der "Cosmopolitan"-Leser/in scheint sich denn auch vielfach nur auf das perfekte Beherrschen der 'Regeln' im Arrangement der Geschlechter zu stützen: "Den finalen Annäherungsschritt wie die Frage nach der Nummer möchten sie [die Männer] dagegen selbst erledigen. Warum? Ein Mann will sich wie ein Mann fühlen, nicht wie ein 'aufgerissenes' Lustobjekt. Seien Sie daher offen, aber nicht offensiv, spielen Sie mit Interesse und Rückzug." Die Frau weiß also, dass ER kein Sexobjekt sein will, und macht daher ein paar kleine Schritte, bis er sie 'final' 'aufreißt'? Über diese Logik kann man sich amüsieren, wenn man nur eine Frauenzeitschrift liest. Liest man mehr, wundert man sich nur noch darüber, was einem alles als ?weiblichesSelbstbewusstsein? verkauft wird..

Heidi Klums Show erscheint im Vergleich geradezu aufklärerisch. In einer Fernsehshow werden einmal Regeln eines Business ausgesprochen, die jeden Tag in Modefotos von Zeitschriften zu besichtigen sind, und schon gibt es Debatten. Die Top-Model-Show führt aber ja nicht nur vor, dass das Modebusiness genormte Körper verlangt, sondern durchaus in Ansätzen auch, dass Magersein allein kein Weg zum Erfolg ist. Heidi Klum erklärt den Mädchen sogar, dass sie, um an einen Job zu kommen, mit keinem Fotografen schlafen müssten. Das ist mehr, als manche Nachmittags-Talkshow leistet, die ebenfalls ein jugendliches Publikum findet. Wenn die Ursache für die Debatten um die Show (jenseits dessen, dass die Bildzeitung einen Aufreger suchte) tatsächlich die Angst vor dem Nachahmereffekt sein sollte, wenn es um die Frage geht, welche Rollenmodelle in den Medien vorgeführt werden und welchen Effekt dies auf die Selbstbilder junger Mädchen und Frauen haben könnte, ist der "Schlankheitswahn" der Modeindustrie nur ein Faktor unter vielen Wahnideen, die in Bild- und Text in Modezeitschriften zum schnellen Konsum aufbereitet werden.