Poohs four Corners

Harry Rowohlt, der Lindenstraßen-Penner, hat mit "Der Kampf geht weiter!" seine nicht weggeschmissenen Briefe veröffentlicht: literarisch, links, poohlitisch unkorrekt - also saugeil

Von Malte HorrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Horrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Herr Rowohlt, Herr Rowohlt, Herr Rowohlt, Herr Rowohlt, Herr Rowohlt! Schreiben Sie verdammtnochmal endlich mal wieder einen 'Corner'. Was soll denn die Scheiße? Sehr freundliche Grüße, Axel".

"Poohs Corner" wird seit einigen Jahren schwer vermisst. Harry Rowohlts Kolumne in der "Zeit" hat ihre Anhänger wie (ducken und ganz schnell wegrennen): die Show von Harald Schmidt. Harald hängen sie an den Lippen, Harry am Füller. Ihre Worte sind Lebenselexier, Droge, ja fast schon Gottesgebot.

Auch Harry Rowohlts "Der Kampf geht weiter!" ist ein Buch für Elitäre! Ein Buch für die, die seit dem Ende von "Poohs Corner" auf dem Trockenen sitzen. (Und in "Der Kampf geht weiter!" darf HR die Seiten bis in alle Ecken vollschreiben!) Ein Buch für die, die HR als Übersetzer englischsprachiger Literatur kennen und darüber etwas erfahren wollen. Oder auch ein Buch für die, die sich für Dinge aus dem Übersetzungs- und Verlagswesen begeistern können. Oder einfach ein Buch für die, die es mögen, wenn einer mal politisch un-korrekt ist.

Für die, die nur etwas über die "Lindenstraße" und ihren Penner erfahren wollen, ist dieses Buch übrigens nichts. Darüber liest man zu wenig.

Und die "Lindenstraße" kam ja auch erst 1995 in Harry Rowohlts Leben, die "nicht weggeschmissenen Briefe" (so der Untertitel des Buches), sowohl Briefe von ihm als auch an ihn, beginnen aber schon rund 30 Jahre früher, 1966, als HR Auszubildender beim Suhrkamp-Verlag war. Die hier abgedruckten Briefe dieses Jahres sind größtenteils solche, die Rowohlts Schreibtisch als offizielle Briefe des Suhrkampf-Verlages verlassen haben. Er beantwortet mit diesen Briefen Anfragen und Beschwerden an den Suhrkamp-Verlag, zwar noch mit mehr Zurückhaltung als später, aber für ein offizielles Schreiben eines Verlages schon recht eigenwillig: Eine etwas ruppige Beschwerde beantwortet er sachlich und kommentiert sie im gleichen Schreiben mit den Worten "Bitte, seien Sie wieder lieb". Heute schriebe er wohl eher "wenn ich Dich mal treffe, haue ich Dir dermaßen einen in die Fresse, daß wir beide was verstehen", jedenfalls hat er das 1989 Jürg Laederach als Reaktion auf dessen Rezension eines von HR übersetzten Buches geschrieben.

Nach den Briefen des Jahres 1966 folgen in streng chronologischer Reihenfolge Briefe, die - warum auch immer - in weitere 14 Zeiträume gegliedert sind wie ein Roman in Kapitel. Diese Zeiträume sind unterschiedlich lang (mal nur ein Jahr, mal ganze vier Jahre), beinhalten unterschiedlich viele Briefe, lassen aber nur bedingt unterschiedliche thematische Ausrichtungen der Briefe oder veränderte Lebenssituationen Rowohlts erkennen. Im Kleinen also: Was sollen diese Zeitphasen? Will man dem Leser keine ungegliederte Aneinanderreihung von Briefen vorsetzen, soll der Leser also damit eine Lesehilfe bekommen ("vor dem Einschlafen noch die Briefe 1991 bis 1993")? Oder gibt es doch noch einen tieferen Sinn?

Im Großen aber: Natürlich lassen sich Veränderungen in den Briefen erkennen. Ende der 60er ist HR eben noch Azubi, dann ein guter Übersetzer, später ein gefragter und in Grenzen prominenter Übersetzer. Und noch später spielt er in der Lindenstraße den Penner Harry, vertont von ihm übersetzte Bücher und ist wegen letzterem auf Tingeltour durch deutsche Lande. Folgerichtig werden seine Briefe im Ton immer direkter, spielen irgendwann Lindenstraßen-Sachen und -Kollegen und andere Promis eine Rolle, kommt Korrespondenz mit Veranstaltern und mit Freunden über Veranstaltungen hinzu. Was schon immer da war, ist die sehr intensive Korrespondenz mit Verlagsleuten, beispielsweise mit dem damaligen Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld, mit dem späteren Kulturstaatsminister "Mike" Naumann oder mit seinem "Boss" Gerd Haffmans. Mit einigen der von ihm übersetzten Autoren steht er in engem brieflichen Kontakt, besonders mit Dan McCall, Kurt Vonnegut oder Roger Boylen. Was ebenfalls schon immer da war, sind die sogenannten "Inkompetenzlisten", die er den Autoren schickt, wenn er irgendwelche englischen Ausdrücke trotz ehrlichen Bemühens nicht verstehen konnte, mit der Bitte um Erklärung dieser Vokabeln. Und was natürlich immer da war, sind Angewohnheiten, z. B. nach der Anrede meist nicht das gewöhnliche Komma zu setzen, sondern einen Doppelpunkt. Oder seine "Dramolette", von ihm tatsächlich erlebte Szenen, die er in kurzer und dramenhafter Form seinen Bebrieften schickt; manche Briefe sind ausschließlich solche Dramolette. Und nicht zuletzt seine Abschiedsgrüße, die gerne lauten: "Hoch die internationale Solidarität!", "Mein Arbeitsplatz - mein Kampfplatz für den Frieden!", "Der Kampf geht weiter!", "Schönen Gruß, Gottes Segen und Rot Front!"

Demnach ist Harry Rowohlt auf irgendeine auch für ihn nicht erklärbare Art und Weise ein Linker, was er denen, die es nicht wissen, auch allzu gerne beibringt - z. B. Jürgen Möllemann, der HR "als Liberalen" sah und um Hilfe bat: "Sehr geehrter Herr Möllemann, [...] falls Sie mich wirklich als Liberalen sehen, habe ich gründlich etwas falsch gemacht. Nicht nur habe ich letztes Jahr zur Wahl der PDS aufgerufen, was mir die erhofften Anfeindungen einbrachte (u. a. muß ich ständig die eine Verfehlung von Caterina Kühn rechtfertigen, und dann sage ich immer: 'Einen Lippenstift zu klauen ist ein klassischer Fall von Mundraub', und wenn mein Widersacher nachhakt: 'Und was ist mit dem Eye Liner?', sage ich: 'Das Auge ißt ja schließlich mit'), nicht nur nannte mich Nikolaus von Festenburg neulich im Spiegel eine 'altlinke Antiquität' [...], nein, er hat auch noch recht damit, und ein Dankbrief von Gregor Gysi ist mir allemal lieber als ein Bittbrief von Jürgen W. Möllemann."

Das ist ganz großartig. Das ist sogar saugeil. Nach jedem zweiten Brief, den man in diesem Buch gelesen hat, denkt man: Jetzt gehe ich raus und sage auch mal jemandem die Meinung! Zum Beispiel diesem dummen Kellner in diesem teuren Restaurant, der einen - Loriot lässt grüßen - ständig mit dieser ausgesucht höflichen Verbindlichkeit fragt, ob denn auch alles in Ordnung sei, und dem man eigentlich gerne geantwortet hätte, wie lecker das Essen zwar wirklich ist, aber man es nicht mehr vor dem Gammeligwerden aufgegessen bekommt, wenn er einem weiter so viele Löcher in den Bauch fragt. Aber man tut es dann doch nicht, weil wir in unserer Gesellschaft zu dieser übertriebenen (politischen) Korrektheit erzogen wurden, die ein ehrliches Wort immer unmöglicher macht, die aber HR glücklicherweise herzlich schnuppe ist. Die Lektüre von "Der Kampf geht weiter!" ist so wunderbar befreiend, dass man ständig schmunzelt und laut lacht und sich vielleicht doch noch traut, manche Dinge etwas mehr beim Namen zu nennen.

Die schonungslose und zugleich meist humorvolle Ehrlichkeit kann in einer Gesellschaft, in der man mit Verlogenheit mittlerweile am weitesten kommt, nicht genug gepriesen werden. Frei Schnauze pisst HR Möllemann wie anderen Bittstellern ans Bein: "Liebe Anna W.: Ich habe mit dem Rowohlt Verlag soviel zu tun wie Bobby Fischer mit dem S. Fischer Verlag. Versuchen Sie's doch nochmal mit Martin Rowohlt (der ist Weinhändler) oder mit Jörg Rowohlt (der ist Vorsitzender der Hamburger Schwuleninitiative)." Auch die Verleger haben mit dem Übersetzer Rowohlt so ihre Schwierigkeiten. Woher das kommen mag? Vielleicht daher, dass er, wenn er unzufrieden mit bestimmten Verhaltensweisen eines Verlages ist, das eben ausschreibt: "So macht es wirklich keinen Spaß" oder "Hat doch kein Wert". Sein einstiger Chef vom Suhrkamp-Verlag, Siegfried Unseld, bekommt Jahre später eine etwas eilige Anfrage wie folgt quittiert: "Lieber Doktor: Da mein Ausbildungsverhältnis mit Ihrem Haus seit mehreren Jahren beendet ist, bin ich für sechs Wochen weggefahren, ohne mich vorher bei Ihnen abzumelden. Das wird sich nicht wiederholen." Trotzdem liest er das Buch, das ihm zur Übersetzung angetragen wurde, an und antwortet zwei Wochen später: "Ich würde nicht froh dabei. Denken Sie aber bitte weiterhin an mich, sogar wenn es sich um Literatur handeln sollte."

Das habe ich auch schon mal gedacht bei einer Rezension für "literaturkritik.de" und dann doch brav eine anständig durchdeklinierte Kritik abgeliefert. Solche Qualen waren diesmal nicht nötig. Hier schmettere ich allen Literaturinteressierten und Querdenkern mit jeder Faser meines Herzens entgegen: Schönen Gruß, Harrys Segen und Maltes Kaufempfehlung! DER KAMPF GEHT WEITER!


Titelbild

Harry Rowohlt: Der Kampf geht weiter. Nicht weggeschmissene Briefe.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2005.
464 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-10: 3036951334

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch