Wie man schreiben lernt

Wissenschaftler über ihre vornehmste Disziplin

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die stilistischen Fähigkeiten von Wissenschaftlern sind berüchtigt, vor allem von Literaturwissenschaftlern. Wenn etwa Albert Einsteins schriftstellerische Eleganz gelobt werden soll - etwa beim Einsatz des Semikolons -, dann liegt die Germanistenschelte nahe genug. Wirklich falsch ist das nicht, Wissenschaftsprosa ist nichts für jedermann, auch jenseits der spezifischen Fachsprachen. Aber der Wille zur Präzision und der Wunsch zum gehobenen, weil nur dann wissenschaftlichen Ausdruck haben so manchen Forscher auf stilistische Abwege geführt. Mit dem Ergebnis, dass ein kaum lesbares Kauderwelsch dabei herauskommt, das nicht einmal den minimalsten kommunikativen Ansprüchen genügt. Das kann nur den wundern, der noch nie in solchen Kreisen verkehrt hat und sich die Wissenschaft als hehren Ort und Wissenschaftler als dessen Hüter und Bewahrer denken. Stattdessen wird auch hier nur mit Wasser gekocht, wenn man's verdünnen könnte, wäre auch das noch angebracht fürs Bild.

Aber, um die Vielgescholtenen in Schutz zu nehmen: Woher soll's auch kommen? Wissenschaftler sollen im Studium die Basis für eine angemessene schriftliche wissenschaftliche Ausdrucksweise erlernen. Aber wer brächte es ihnen bei? Nach langen Jahren des Widerstands gegen repressive Formalismen und den Terror von Korrektur und Zensur haben die meisten Lehrenden die Waffen gestreckt, zumal das auch weniger Arbeit macht. Zwar sind in den noch bestehenden Lehrformen älterer Bauart Referat und Seminararbeit immer noch der Königsweg zum Seminarschein. Aber Beschwerden von Studierenden machen glaubhaft, dass das Gros der Vorträge kein Feedback erhält, die meisten schriftlichen Arbeiten unkorrigiert und unkommentiert zurückgegeben werden.

Wie aber soll man lernen, ohne zu üben? Besteht Üben nicht auch darin, etwas zu verbessern und zu überarbeiten? Am Stil ebenso zu arbeiten wie an der Argumentation, an der Auswertung von Untersuchungsgegenständen ebenso wie an der Verwendung von Forschungsbeiträgen? Und ist das Studium nicht, wie in dem Band von Angelika Steets und Konrad Ehlich mehrfach betont wird, genau die Zeit und der Ort, an dem das wissenschaftliche Schreiben eingeübt werden soll?

In den USA gab es Ende der 90er Jahre allein 365 Studiengänge, in denen Schreibqualifikationen ausgebildet wurden, die Qualifizierungsmaßnahmen nicht mitgerechnet, die in den einzelnen Studiengängen angeboten werden. Deutsche Hochschullehrer hingegen - egal welcher Fakultät - sind weder dazu ausgebildet worden, Schreibqualifikationen zu vermitteln, noch eignen sie sich solche Qualifikationen an; weder vermitteln sie Schreibkompetenzen an ihre Studenten, noch ist ihnen in der Regel bewusst, welchen Problemen sich ihr Klientel gegenüber sieht. Über die mangelnden Qualifikationen heutiger Abiturienten zu klagen ist billig, spätestens dann, wenn überhaupt keine Anstrengungen unternommen werden, die universitären Neuankömmlinge dort abzuholen, wo sie nun einmal stehen, um sie dann soweit zu qualifizieren, dass sie schließlich das Beste aus ihren Möglichkeiten machen können. Hinzu kommt, dass das Lamentieren über studentische Mängel den Blick dafür verstellt, dass der größte Teil der Defizite im Laufe des Studiums behoben, die meisten einschlägigen Kompetenzen genau hier und nirgendwo anders erworben werden sollen. Wir Hochschullehrer beklagen uns also eigentlich über unsere eigene Untätigkeit, wahlweise Inkompetenz?

Nun soll künftig ja alles anders und natürlich besser werden. Mit der Einführung von BA und MA werden aus orientierungslosen Massenstudenten eng geführte, aber dafür gründlich ausgebildete Fachleute, natürlich auch was das Schreiben angeht. Einschlägige Veranstaltungen sind eingeplant, die jeweiligen Module verlangen klar definierte Leistungen, die meisten sind schriftlich zu erbringen, innerhalb weniger Semester sollen Studierende alles das lernen, was sie brauchen, um als BA-Germanisten beispielsweise durchgehen zu können. Ob die Programme, die jetzt flächendeckend an deutschen Hochschulen eingeführt werden, überhaupt realistisch sind und nicht Studierende wie Lehrende gleichermaßen überfordern, bleibt wohl noch abzuwarten. Immerhin stehen demnächst im literaturwissenschaftlichen BA-Studium für eine Seminararbeit nur knapp 1-2 Wochen zur Verfügung. Schreibhemmungen sind hier nicht vorgesehen. Dafür aber sind Hilfestellungen unverzichtbar. Und wenigstens einige lassen sich in dem Band von Steets/Ehlich finden. Exzerpt, Protokoll, Mitschrift, Referat, Hausarbeit - zwar rankt sich mittlerweile um solche zentralen wissenschaftlichen Textformen eine reiche Beratungs- und Ratgeberliteratur. Da kann man zum Beispiel lernen, wie man aus mehreren umfangreichen Exzerpten seine Hausarbeit erarbeiten kann. Charakter und eben auch Problematik dieser Arbeitsmittel werden jedoch kaum hinterfragt, und damit verfehlen solche Ratgeber allzu oft die universitäre studentische Praxis und deren Defizite.

Was bleibt also zu tun? Die Beiträger von Steets/Ehlich machen dazu einige hilfreiche Vorschläge, zum Beispiel, welche Probleme Studierende beim Erlernen wissenschaftlicher Schreibkompetenz haben und wie dem beizukommen wäre. Was sie freilich nicht behandeln können ist, dass die Wissenschaftslandschaft zwar gründlich umgebaut wird, zugleich aber weder in Personal noch in dessen Ausbildung investiert wird. Aber was soll's, die Wissenschaft funktioniert doch auch so, oder? Wie man an den geisteswissenschaftlichen Fächern sehen kann, sind Wissenschaftler sogar bereit, ihre Arbeit ohne Entgelt zu verrichten und gelegentlich sogar dafür zu zahlen, dass das, was sie Wissenswertes zu sagen haben, zwischen Buchdeckel kommt. Wie das geschrieben ist, ist dann wahrscheinlich wirklich unwichtig.


Titelbild

Konrad Ehlich / Angelika Steets (Hg.): Wissenschaftlich schreiben - lehren und lernen.
De Gruyter, Berlin 2003.
413 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-10: 311017863X

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