Kulturrelativistischer Imperativ

Ethnologische Perspektiven auf Sexualität, Körper und Geschlecht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manche EthnologInnen zögern zwar nicht, moderne und 'westliche' Vorstellungen als Ideologie zu kritisieren, befolgen anderen Kulturen gegenüber jedoch einen "kulturrelativistische[n] Imperativ". Zu ihnen zählt Guido Springer. Zumindest soweit das seine Einführung in die "Ethnologie der Sexualität" erkennen lässt, in der er ungenannt bleibenden "Ideologen der Moderne" vorwirft, sie wollten "uns [...] weismachen", das "reichlich verschwommene" Wort "Freiheit" gehöre "zwangsläufig zur 'Natur' des Menschen". Anderen Kulturen gegenüber scheut er jedoch jedes kritische Wort wie der Teufel das Weihwasser. So belässt er es ihnen gegenüber bei der nicht eben bahnbrechenden Erkenntnis, "dass jede Gesellschaft ihre eigenen Konstrukte zu Geschlecht oder Begehren entwirft" und die Beziehungen zwischen Geschlechtern nach "bestimmten Werten" regele. Zweifellos ist dem so. Doch heißt das noch lange nicht, dass ein jedes Wertesystem so gut wie alle anderen ist. Es lassen sich durchaus Evaluationskriterien entwickeln - und begründen. Wenn natürlich auch unter Verzicht von Letztbegründungen.

Zwar stammt der Topos des "kultrelativistischen Imperativs" nicht von Sprenger, sondern von Michael Prager. Doch zeigt dieser sich in seiner Untersuchung über "Beschneidung, Sexualität und Islam in Bima (Indonesien)" durchaus in der Lage, abergläubische Vorstellungen in den von ihm beleuchteten Kulturen - etwa derjenigen der indonesischen Bima - ebenso zu ironisieren wie das Forschungssubjekt, den Ethnologen mit seiner "etwas gebückt[en]" Haltung. Und selbst sein "kulturrelativistische[r] Imperativ" dürfte augenzwinkernd zu verstehen sein. All dies unterscheidet Pragers Text wohltuend von demjenigen Sprengers. Und auch sonst hat Pragers Forschungsbericht über die Geschlechterverhältnisse in Bima, einer "Hochburg" des "kompromisslosen orthodoxen Islam[s]", einiges zu bieten und zwar vor allem Erkenntniszuwachs über eine Gesellschaft, bei der beide Geschlechter beschnitten werden, wobei die Beschneidung der Männer, die ein Stückchen Vorhaut opfern, nicht mit der immer häufiger geforderten und durchgeführten pharaonischen Beschneidung der Frauen zu vergleichen ist, bei der neben der Klitoris die inneren und äußeren Schamlippen entfernt werden und die blutende Wunde anschließend bis auf eine winzige Öffnung mit grobem Werkzeug zugenäht wird.

Auf Nachfrage bekam Prager während seines Forschungsaufenthalts unterschiedliche Begründungen für die Beschneidung beider Geschlechter zu hören: "Weil wir Muslime sind", "Um das Sperma zum Leben zu erwecken", "Damit das Geschlecht sichtbar wird und Mann und Frau einander begehren", "Um vollständige Menschen herzustellen." Ihn selbst versuchten einige Männer zur Beschneidung zu überreden, indem sie ihm in Aussicht stellten, anschließend würde ihm "jede Frau zu Willen sein" - vorausgesetzt natürlich, er trete auch noch zum Islam über.

Wie Prager darlegt, gehören die Beschneidungen zu einem Zyklus "rituelle[r] Ereignisse", der bereits mit der Schwangerschaft der Mutter einsetzt, und in dessen Verlauf "die bimanesische Person als soziale und über ein Geschlecht verfügende Entität rituell konstituiert wird".

Während die an den Jungen vollzogenen "Beschneidungszeremonie" ein gesellschaftliches Ereignis ist, findet die der Mädchen unter Ausschluss der Öffentlichkeit im "hinteren 'weiblichen' Teil des Hauses" statt, so dass etwas unklar bleibt, woher der Autor seine Kenntnisse darüber hat, wie letztere vollzogen werden.

Die Ausführungen Sprengers und Pragers finden sich in einem von Gabriele Alex und Sabine Klocke-Daffa herausgegebenen Sammelband über "[e]thnologische Perspektiven zu Sexualität, Körper und Geschlecht", der auf eine Vortragsreihe zurückgeht, die 2004 am Institut für Ethnologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gehalten wurde und nun im transcript Verlag unter dem auf eine bekannte Fernsehserie anspielenden Titel "Sex and the Body" erschienen ist. Absicht des Bands ist es den Herausgeberinnen zufolge, "eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen".

In weiteren Beiträgen wenden sich Alexander Horstmann "Sexualität, Körper und soziale Kontrolle in Thailand und Malaysia" und Ulrich Oberdiek dem Kamasutra zu. Gabriele Alex wiederum geht der "Bedeutung der biologischen Reife für die Bewertung von Sexualität" am Beispiel der Muthuraja im südindischen Bundesstaates Tamil Nadu nach. Wie sie bekundet, will sie anhand dieses Volkes zeigen, "dass 'Sexualität' keine universelle Kategorie ist, sondern eng mit Normen, Moralvorstellungen und Werten der Gesellschaft zusammenhängt, in der sie ausgeübt wird". Vermutlich meint sie allerdings nur, das Sexualität keine universell einheitliche Kategorie ist. Denn nur dann sind die beiden in dem Zitat genannten Alternativen wirklich alternativ. Und auch nur dies, dass Sexualität keine universell einheitliche Kategorie ist, zeigt ihr Beitrag - wenn überhaupt.

Christina Lütkes schließlich widmet sich "Liebe, Ehe und Sexualität bei den Wampar in Papua-Neuguinea". Ähnlich wie auch einige der anderen AutorInnen neigt sie dazu, die jeweils untersuchte Kultur gegen 'westliche' Kritik in Schutz zu nehmen: "In Kulturen, die mit dem Brautpreis nicht vertraut sind, ist dieser häufig mit einer negativen Wertung verbunden: Man geht davon aus, dass die Frau 'verkauft' wird und damit nur als Ware gilt. Die Sicht der Betroffenen ist jedoch häufig eine andere. So wurde ich in Tararan manchmal gefragt, welche Summe mein Mann denn bei unserer Heirat gezahlt hätte. Meine Antwort, dies sei bei uns nicht üblich, löste regelmäßig - bei Frauen wie bei Männern - Erstaunen und Unverständnis aus. Eine Frau rief einmal entrüstet: 'Sind Frauen denn bei euch so wenig wert?'" Dass diese Frage die Auffassung, eine Frau sei eine Ware (deren Wert nach der Höhe des Brautpreises taxiert wird), gerade bestätigt, scheint Lütkes zu entgehen.


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Gabriele Alex / Sabine Klocke-Daffa (Hg.): Sex and the Body. Ethnologische Perspektiven zu Sex, Geschlechtlichkeit und Körper.
Transcript Verlag, Bielefeld 2005.
154 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3899422821

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