Ein weiblich-jüdisches Projekt der Moderne

Britta Konz über Bertha Pappenheims jüdisch-feministisches Leben und Werk

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein vor nicht allzu langer Zeit erschienenes Nachschlagewerk, das unter dem anspruchsvollen Titel "Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus" firmiert, weiß unter dem Lemma "Frauenbewegung" für die Zeit um 1900 nur von einem bürgerlich-liberalen und einem sozialistischen Teil dieser Bewegung zu berichten. Die geläufige Unterscheidung zwischen einem gemäßigten und einem radikalen Flügel innerhalb der 'bürgerlichen' Frauenbewegung wird unterschlagen. Konfessionell orientierte Fraktionen und Organisationen der 1. Frauenbewegung kommen gar nicht vor. Weder christliche noch jüdische. Letzterer gehörte Bertha Pappenheim an.

Die Theologin Britta Konz hat unter dem zutreffenden Titel "Bertha Pappenheim. Ein Leben für jüdische Tradition und weibliche Emanzipation" die erste erschöpfende Biografie der heute allenfalls noch bei einigen PsychoanalytikerInnen als Breuer-Patientin Anna O. bekannten Feministin vorgelegt. Ein besonderes Augenmerk richtet Konz auf Pappenheims "weiblich-jüdische[s] 'Projekt der Moderne'". Dieser Fokus hat seinen guten Grund darin, dass bislang weder Pappenheims theoretisches Konzept, noch ihre programmatischen Schriften, noch ihr theologischer Ansatz wissenschaftlich ausgeleuchtet wurden. Diese dreifache Forschungslücke möchte Konz schließen. Als hierfür besonders ergiebig erweist sich Bertha Pappenheims Zeit im Jüdischen Frauen Bund. Allerdings ist es um die Quellenlage nicht zum besten bestellt. Denn sein Archiv "ging in der Zeit des Nationalsozialismus verloren", wie die Autorin allzu vage-zurückhaltend formuliert, und Pappenheims persönlicher Nachlass wurde am 9. November 1938 von den Nazis verbrannt. Als Fundstellen blieben Konz daher nur andere Archive und Sammlungen. Von den zahlreichen ausgewerteten Zeitschriften erwiesen sich insbesondere die "Blätter des Jüdischen Frauenbundes" (1924-1936) als "wertvolle Quelle". Zwar hat Pappenheim keine grundlegenden theoretischen Schriften verfasst, sondern "ihre Ideen in Gebeten [unter "Gebeten" bitte ein link legen zu "Eine einzigartige Verbindung" in literaturkritik.de 8/2003] und 'Denkzetteln' dokumentierte" oder "als Subtext in Texte und Reden" geschrieben. Dennoch wohnt Konz zufolge allen ihren Veröffentlichungen ein "theologische[r] Gehalt" inne. Um ihn zu erfassen, bedient sich die Autorin ergänzend zur historisch-kritischen Hermeneutik der Wortfeldanalyse und der Exegese.

Das Buch zerfällt in zwei Teile, deren erster eine "biographische Annäherung" an Pappenheim unternimmt, während der zweite, ungleich umfangreichere, ihrem "Projekt der Moderne" gilt. Wie im ersten Teil berichtet wird, fand die damals bereits 36-jährige Bertha Pappenheim im Jahre 1895 zur Frauenbewegung und engagierte sich im Frauenbildungs-Verein, auf dessen Initiative hin noch im gleichen Jahr die Gesamttagung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) in Pappenheims damaligem Wohnort Frankfurt stattfand. Von 1897 an publizierte Pappenheim kleinere Artikel zu 'Frauenfragen', die überwiegend in der Zeitschrift 'Ethische Kultur' erschienen. Und vielleicht wichtiger noch: Als erste Frau thematisierte sie in der jüdischen Gemeinde die Rechtlosigkeit und soziale Diskriminierung lediger Mütter und deren unehelicher Kinder. Besonders aber engagierte sie sich über die Jahre hinweg jedoch gegen Zwangsprostitution und - wie es damals hieß - "Mädchenhandel". Zwischen 1902 und 1930 war sie auf jeder jüdischen oder überkonfessionellen Konferenz zu diesem Thema anzutreffen.

1904 wurde der "Jüdische Frauenbund" auf einer Tagung des "International Council of Women" in Berlin gegründet. Noch im gleichen Jahr wurde Pappenheim zur Vorsitzenden gewählt und behielt das Amt genau 30 Jahre lang. Als Vorsitzende des Bunds setzte sie sich für die Gleichstellung der - "als Frau und Jüdin in der Gesellschaft sowie als Frau in der jüdischen Gesellschaft" - gleich dreifach marginalisierten Jüdinnen ein. Pappenheims auf einer "Synthese von jüdischem Erbe und modernem Weiblichkeitskonzept" fußende "frauenemanzipatorische Forderungen" wurden Konz zufolge in jüdischen Gemeinde als "geradezu revolutionär" empfunden. Daher wundert es nicht, dass es "schwierig" war, in "rabbinischen Kreisen" Mitstreiter im Ringen um Frauenrechte und für das "weiblich-jüdisches Projekt der Moderne" zu finden. So klagte Pappenheim denn auch einmal: "Trotzdem den alten Juden die Erfahrung der Unentbehrlichkeit der Frau nicht entgangen sein konnte, wird das weibliche Kind als ein Geschöpf zweiter Güte betrachtet". Hiergegen wandte sich ihr Projekt, das auf der Neuauslegung dreier "Idealtypen der jüdischen Frau" fußte: erstens der Tradition der Frau als "Hüterin des Sabbat", sodann als "Schöpfer" und schließlich als der "Mutter in Israel".

Aufgrund ihrer "existentielle[n] Frömmigkeit" identifizierte Pappenheim selbst sich mit dem 'Ideal' der Frauen als "fromme[s] Geschlecht" und als "Hüterin[nen] von Tradition und Familie". Ein Frauenbild, das heute allerdings kaum emanzipatorisch klingt. Konz wirft ihm denn auch vor, die jüdischen Frauen zu normier[en]" und ihnen zugleich eine "übergroße Verantwortung" aufzubürden, "an der sie eigentlich nur scheitern konnten". Zudem zeige sich in Pappenheims Texten immer wieder eine "bürgerliche Überheblichkeit".

War Pappenheim einerseits eine der zentralen Protagonistinnen der jüdischen Frauenbewegung, so war sie andererseits eine glühende Anhängerin Helene Langes, der Führerin des gemäßigten Flügels der 'bürgerlichen' Frauenbewegung, deren "konservative Grundhaltung" sie teilte. So lehnte Pappenheim etwa die von Helene Stöcker erhobene Forderung nach einer "Neuen Ethik" ebenso vehement ab wie Bestrebungen nach einer Geburtenregelung oder die Infragestellung des Abtreibungsverbotes. Diesem Konservativismus entsprach auch ihr Hohes Lied auf die "Mütterlichkeit", die sie als "Urempfinden der Frau" pries. Allerdings war ihr Mütterlichkeit nicht notwendig an biologische Mutterschaft gebunden, vielmehr konnten kinderlose Frauen ihr mütterliches "Urempfinden" auch in sozialer Arbeit ausleben.

Wie Konz zeigt, entwickelte Pappenheim ihr Frauenbildungskonzept in enger Anlehnung an dasjenige der von ihr bewunderten Lange. 1915 kam es allerdings zum Konflikt mit Lange und deren engster Vertrauten Gertrud Bäumer. Ursache war Langes und Bäumers dezidierter Judenhass. Bei letzterer glaubt Konz zwar einen "Widerspruch zwischen politischem Anspruch und Mentalität" ausmachen zu können und betont, dass sie Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei und somit einer "politischen Gruppe" war, "die zu den entschiedenen Gegnern des Antisemitismus gezählt wird". "Später" sei Bäumer von den Nationalsozialisten denn auch "als Philosemitin gehandelt" worden, wobei im Dunkeln bleibt, wann dieses ominöse "später" gewesen sein soll. Jedenfalls aber muss es vor Bäumers unrühmlicher Verstrickung in den Nationalsozialismus nach 1933 gewesen sein, über die Konz im Übrigen schweigt.

Während Bäumer nach 1933 mit dem Nationalsozialismus paktierte (Lange war bereits 1930 verstorben), wandte sich Pappenheim spirituellen und mystischen Vorstellungen zu, die ihr Konz zufolge nach der Machtergreifung der Nazis als "eine Art innere Emigration" und als "innerer religiöser Widerstand" dienten. Initiiert worden sei ihre späte pantheistische Gottesvorstellung durch einen "privaten Philosophiekurs" bei Margarete Susman.

Während sich die hochbetagte Pappenheim zurückzog, wurden etliche ihrer Schülerinnen und ehemaligen Mitarbeiterinnen von den Nazis ermordet. So wurde verhindert, dass ihr weiblich-jüdisches Projekt der Moderne von einer jüngeren Generation fortgesetzt werden konnte, nachdem Pappenheim 1936 verstorben war.


Titelbild

Britta Konz: Bertha Pappenheim (1859-1936). Ein Leben für jüdische Tradition und weibliche Emanzipation.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
411 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3593378647

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