Jelinek? Schreibt sich das wie die Dichterin?

Verena Mayer und Roland Koberg zeichnen Elfriede Jelinek als ewige Tochter

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Alle, die glauben, sie wüssten etwas über mich, wissen nichts", wird Elfriede Jelinek geheimnisvoll auf dem Schutzumschlag des ihr gewidmeten Porträts von Verena Mayer und Roland Koberg zitiert. Man fühlt sich natürlich sogleich an die berüchtigten Kreter- und Friseur-Paradoxa erinnert. Bekanntlich behauptet in ersterem ein Kreter, dass alle Kreter lügen. Bei etwas näherem Hinsehen erweist sich allerdings schnell, dass gar kein Paradoxon vorliegt. So könnte es etwa sein, dass nur dieser eine Kreter lügt, alle anderen jedoch die Wahrheit sagen. Auch wäre es möglich, dass zwar alle Kreter lügen, nicht jedoch immer, und der Kreter mit seiner Behauptung gerade mal die Wahrheit sagt. Und schließlich wäre ja auch nicht auszuschließen, dass besagter Kreter ganz einfach irrt. Das zweite Paradoxon berichtet von einem Friseur, der alle Männer seines Heimatorts rasiert, ausgenommen diejenigen, die sich selbst rasieren, und ist nicht so einfach zu knacken. Wer es nicht glaubt, mag es versuchen.

Was aber will Jelinek uns sagen? Will sie die potentiellen Leser und Leserinnen warnen, dass sie auch nach der Lektüre des vorliegenden Buches immer noch nichts von ihr wissen, auch wenn sie dies nun vielleicht glauben sollten? Oder handelt es sich eher um einen Wink, dass das AutorInnen-Duo - das doch sicher glaubt, etwas von der porträtierten Person zu wissen - tatsächlich gar nichts über sie weiß? Hält Jelinek also vielleicht einfach nicht viel von dem vorliegenden Buch und will sich schon mal distanzieren? Das allerdings wäre eine merkwürdige Werbestrategie des Verlags. Lesen wir das Buch also am besten und schauen, ob wir nach der Lektüre den Eindruck haben, die AutorInnen wissen etwas, einiges oder gar vieles über die porträtierte Person und ob wir dies am Ende der Lektüre auch von uns selbst glauben.

Mayers und Kobergs Porträt folgt nicht der Biografie Jelineks, sondern geht "thematischen Zusammenhängen" nach, die von ihnen in eine nur "lose Chronologie" gebracht werden. Zugleich erheben sie den Anspruch, Jelineks Werk "in seinen Grundzügen" zu erschließen. Zu Beginn ihres Buchs betonen die VerfasserInnen, Jelinek sei "keine Autorin, die das eigene Erleben empfindsam literarisiert und autobiographisch gefärbte Figuren auftreten lässt - mit der berühmten Ausnahme ihres Roman 'Die Klavierspielerin'". Einmal abgesehen davon, dass man bei dem genannten Romans wohl kaum von einer empfindsamen Literarisierung seines Themas sprechen kann, führen Mayer und Koberg das Leben Jelineks für ihren ansonsten durchaus zutreffenden Befund doch allzu oft und allzu sehr mit den Erlebnissen ihrer Romanfiguren eng. Sieht man über diesen immer wieder durchbrechenden Biografismus hinweg, sind die kleinen Werkanalysen jedoch oft nicht uninteressant; ausgenommen einige allzu vereinfachende Ausrutscher, zu denen etwa gehört, dass der seinerzeit "junge Philosoph" Daniel Eckert in Jelineks Schreiben einen "philosophical turn" bewirkt habe, in dessen Folge, der "Platz", den in Jelineks Romanen ehedem "Popkultur, die Medien oder verschiedene Theorien" belegt gehabt hätten, fortan von der Philosophie eingenommen worden sei. So einfach und so austauschbar soll das sein? Eines weiteren platten Reduktionismus macht sich das AutorInnen-Paar schuldig, wenn es konstatiert, Österreich sei in Jelineks Werken "letztlich nichts anderes als ein auf das Staatsganze umgelegtes Bild einer Familie". Eine eindimensionale Lesart, die der Vielschichtigkeit von Jelineks Stücken und Romanen wohl kaum gerecht wird.

Neben Jelineks Publikationen basiert das vorliegende Porträt auf "Archivmaterial" und "mehrere[n] ausführliche[n] Gespräche[n]" mit der österreichischen Autorin. Weitere Informationen erfragten Mayer und Koberg bei "Theaterleuten und Lehrern, Lektoren und Schriftsteller-Kollegen", womit wir vom Werk zur Biografie kommen. Die Kindheit des von ihrer ehrgeizigen Mutter tagaus tagein für mehrere Stunden den musikalischen und anderen Übungen angehaltenen Mädchens bringen Mayer und Koberg mit den lapidaren Worten "Elfriede übte, die anderen lebten" treffgenau auf den Punkt und haben damit auch schon so ziemlich alles Erwähnenswerte über diesen Lebensabschnitt gesagt.

Doch finden sie durchaus nicht immer das rechte Wort. Die 22-jährige Elfriede Jelinek als "eine Art Fräuleinwunder" zu apostrophieren, greift in mehrfacher Hinsicht gründlich daneben. Und zwar nicht nur, weil es sich um die Bezeichnung eines Phänomens zu Beginn der 1950er Jahre handelt - man schrieb das Jahr 1968, als Jelinek 22 Jahre alt war -, sondern mehr noch, weil sie an den in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre geprägten Topos des literarischen Fräuleinwunders erinnert: Ein patriarchalisch-herablassendes Etikett, das einigen mediokren Autorinnen angesichts ihres dann allerdings rasch verblühten Erfolgs aufgeklebt wurde; insbesondere aber handelt es sich um einen Missgriff, weil die Bezeichnung "Fräuleinwunder" den revoltierend-emanzipatorischen Zeitgeist der ausgehenden 1960er Jahre, in denen sich die Anfänge der Frauenbewegung regten, so ganz und gar nicht trifft. Und dass sie der Autorin Jelinek nicht gerecht wird - auch der 22-jährigen nicht -, versteht sich fast schon von selbst. Ähnlich unangemessen ist der männlich-chauvinistische Blick auf "das optische Potential der Jungschriftstellerin". Der implizite Sexismus beider Topoi korrespondiert wiederum damit, dass Friederike Mayröckers Reaktion auf die Verleihung des Nobelpreises an Jelinek nicht einfach als neidisch, sondern als "stutenbissig" charakterisiert wird.

Mit derlei soll offenbar ein leichter Stil gepflegt werde, der allerdings nur ärgerlich ist. Zu ihm gehört auch der bemüht auf leicht spöttisch getrimmte Ton, mit dem sich Mayer und Koberg den beginnenden 1970er Jahre zu nähern versuchen, von denen sie jedoch kaum mehr als ein klischeeüberladenes Zerrbild liefern. So berichten sie etwa, Robert Schindel habe die Berliner Kommune 1 besucht und anschließend versucht, "etwas zackigeren revolutionären Geist nach Wien zu importieren". Als sei es ausgerechnet in der Kommune um die HedonistInnen Fritz Teufel, Rainer Langhans und Uschi Obermeier zackig zugegangen. Hier bricht sich wohl eher ein nicht nur in Österreich virulentes Preußen-Klischee Bahn.

Überhaupt ist, was die VerfasserInnen über die Zeit um 1970 zusammenfantasieren, ziemlich ungenießbar und nur selten von Faktenkenntnis geprägt. Ingeborg Bachmann etwa war zu dieser Zeit gewiss keine "Ikone des weiblichen Schreibens". Auch wurde nicht die DKP verboten, sondern die KPD. Dies allerdings bereits in den 1950er Jahren, woraufhin die DKP als Nachfolgeorganisation gegründet wurde, die bis heute unbehelligt ihr randständiges Dasein fristen darf. Nun mag es sein,

dass den AutorInnen im fernen Österreich derlei Feinheiten der deutschen Geschichte unbekannt sind, doch könnte man zumindest vom Lektorat eines deutschen Verlages erwarten, diesen Fehler zu bemerken und zu tilgen.

Über Jelinek wiederum heißt es, sie habe sich zu dieser Zeit "maoistisch und anarchistisch" gegeben - was ja bekanntlich auch fast dasselbe ist - und "Phrasen von revolutionärem Bewusstsein und Volkskrieg [...] begierig auf[gesogen]", denn sie und ihre Freunde hätten beschlossen: "Wir wollen Teil einer Jugendbewegung sein", wie die Mayer und Koberg emphatisch in der ersten Person Plural formulieren. Die "Basis dieser Jugendbewegung", heißt es weiter, sei "das Theorie-Praxis-Problem nach Marx und Engels" gewesen. Was bitteschön ist das Theorie-Praxis-Problem nach Marx und Engels? Soll es sich hier vielleicht um eine absichtliche oder doch wohl eher unabsichtliche Verballhornung der Marx'schen Dialektik von Theorie und Praxis handeln? Ein letztes Beispiel noch: Die feministische Zeitschrift "Die schwarze Botin", zu deren Mitarbeiterinnen Jelinek zählte, sei 1976 zu einer Zeit angetreten, als "Courage" und "EMMA" den feministischen Zeitschriftenmarkt beherrscht hätten. Wie wagemutig von der kleinen "Schwarzen Botin"! Nur gab es die "EMMA" 1976 noch gar nicht.

Die Liste von Ungereimtheiten, Ungenauigkeiten und Fehlern ließe sich fast endlos fortsetzen. Doch genug damit. Wenden wir uns dem zu, was das vorliegende Buch biografisch zu bieten hat. Neben einigen bekannten Jelinek-Klischees, etwa über das "neurotische Mutter-Tochter-Verhältnis", die von den Gesprächen mit der Schriftstellerin nichts erkennen lassen, und wenig überraschenden Informationen, beispielsweise über die 'Nestbeschmutzerin' (über die im Übrigen das gleichnamige Buch von Pia Janke weit genauer und umfassender informiert, vgl. literaturkritik.de 12/2002) oder darüber, dass Jelinek sich im "Theaterbetrieb" "heimischer" fühlt als im "Literaturbetrieb", sind das die einige recht amüsante Anekdoten. Als etwa das Schauspiel Frankfurt der österreichischen Autorin ein Jahresabo der in Sachen Jelinek-Hetze führenden "Neue Kronen Zeitung" als Inspiration für weitere Werke spendierte, fragte der Abo-Service bei der telefonischen Bestellung nach "Jelinek? Schreibt sich das wie die Dichterin?".

Irgendwann ist man ans Ende der Lektüre gelangt und schlägt das Buch endlich zu. Glaubt man nun also etwas über Jelinek zu wissen? Ja, schon. Wenn auch nur Weniges. Und sicher nicht viel mehr als vor der Lektüre. Aber wer weiß, vielleicht wissen wir auch alle gar nichts. Selbst Elfriede Jelinek nicht, falls nämlich ihre eingangs zitierte Aussage zutrifft, die ja vorgibt, zumindest dieses eine über Jelinek zu wissen: dass jeder, der etwas über sie zu wissen glaube, nichts wisse. Womit wir wieder bei den Paradoxa wären.


Titelbild

Verena Mayer / Roland Koberg: Elfriede Jelinek. Ein Porträt.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006.
303 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498035290

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