Vom Mut zur Blasphemie

Oskar Panizzas "Liebeskonzil" in vorbildlicher Edition

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anfang des 21. Jahrhunderts wird von moslemischer Seite auf eine Hand voll Karikaturen mit weltweiten Krawallen sowie mit Entführung, Brandschatzungen und gar mit Mord und Totschlag reagiert. Zwar verhalten sich Angehörige christlicher Gemeinden heute angesichts vergleichbarer Spötteleien weit gesitteter, doch vor rund 100 Jahren wäre man auch in Deutschland für ähnliche Zeichnungen wohl immerhin noch ins Gefängnis gewandert - vorausgesetzt natürlich, sie hätten sich nicht Mohammed, sondern Jesus zum Objekt ihres Spottes auserkoren.

Das zumindest lässt das Schicksal Oskar Panizzas (vgl. literaturkritik.de 11/2003) nach der Veröffentlichung seiner "Himmels-Tragödie" mit dem Titel "Das Liebeskonzil" vermuten, einer noch heute erheiternden Satire, in der sich der liebe Gott vom Teufel die Syphilis erfinden lässt, um die Menschen für ihre unzüchtige Lebensführung strafen zu können. Und eine Blasphemie, für die ihr Autor seinerzeit von einem aufrechten und glaubensfesten Münchner Richter zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wurde.

Nun könnte man meinen, derart finstere Zeiten seien im aufgeklärten Europa inzwischen doch längst passé. Nicht ganz. 1962 wurde der damals noch junge Verleger Peter Jens Petersen aufgrund einer Anzeige des Kieler Kultusministeriums mit einem Strafverfahren inklusive Hausdurchsuchung und Verhaftung überzogen, weil er sich erdreistet hatte, das Stück in einer Auflage von 400 Exemplaren neu aufzulegen, und 1994 wurde die Aufführung einer Verfilmung von Panizzas "Liebeskonzils" in Österreich gerichtlich untersagt. Ein Verbot, das noch am 20. September des gleichen Jahres den Segen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erhielt, so dass gegen das Urteil keine Berufung mehr möglich ist.

Zwölf Jahre nach diesem - von der Öffentlichkeit weithin unbeachteten - Skandal macht Peter D. G. Brown Panizzas Manuskript des "Liebeskonzils" erstmals als Faksimile-Druck zugänglich. Es diente seinerzeit als Druckvorlage für die Erstveröffentlichung des, wie der Herausgeber nicht zu Unrecht sagt, "tollkühne[n] Stücks". Eine bis in Zeilen- und Seitenumbruch hin originalgetreue Transkription ist dem Faksimile synoptisch gegenübergestellt. Die "viele[n] Diskrepanzen" zwischen der Handschrift und der ebenfalls als Faksimile wiedergegebenen Erstausgabe führt der Herausgeber auf Versuche des Druckers zurück, "den Text zu glätten".

Das Titelblatt der Erstausgabe nennt zwar 1895 als Erscheinungsjahr. Wie Brown vermerkt, erschien sie tatsächlich jedoch bereits am 10.10.1894. Zwei Jahre darauf folgte die "zweite, durch eine Zueignung und ein Vorspiel vermehrte Auflage". Und bereits ein weiteres Jahr später kam die dritte, "durchgesehene" und wiederum "vermehrte" Auflage auf den Markt. Sie enthielt ein neues Vorwort sowie eine Erweiterung des vierten Aktes und war die letzte, die Panizza noch selbst herausgab. Auch die Erweiterungen der zweiten und dritten Auflage sind in der vorliegenden Edition enthalten. Letztere mit der von Panizza beigegebenen Sammlung "Kritische[r] Stimmen über 'Das Liebeskonzil'". Darüber hinaus enthält der Band seine "Verteidigung in Sachen 'Das Liebeskonzil'" aus dem Jahre 1895. Sie alle ebenfalls als Faksimile.

Die auf dem Titelblatt in barocker Länge angekündigten Kommentare des Herausgebers beschränken sich im Wesentlichen auf knappe Gesamtkommentare zu den jeweiligen Dokumenten sowie auf einige eher kurze Ausführungen zur Entstehung des Liebeskonzils, zu seinen literarischen Quellen, zum seinerzeitigen Literaturskandal, dem Prozess gegen Panizza und der an ihm vollzogenen Strafe. Textstellen werden hingegen nicht kommentiert. Auflistungen von "[n]euere[n] Prozessen um das Stück" und seiner Aufführungen zwischen 1962 und 2004 beschließen den Band.

Brown hat eine hervorragende Edition von Panizzas inkriminiertem Werk vorgelegt, die keinen Wunsch offen lässt. Dass die Ausgabe etwas unhandlich ist, nimmt man gerne in Kauf, zumal das etwas unförmige Format dem der Manuskriptblätter entspricht. Und auch, dass eine solche Edition ihren Preis hat, versteht sich.


Titelbild

Oskar Panizza: Das Liebeskonzil. Eine Himmels-Tragödie in fünf Aufzügen.
Herausgegeben von Peter D. G. Brown.
Belleville Verlag, München 2005.
255 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3936298165

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