Nicht ganz gelungen, aber doch schon mal was

Alex Flückiger schrieb als Einzeltäter ein Lexikon der übersetzten Kriminalautoren

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein "Lexikon der internationalen Krimiautoren"? Das war aber schon lange überfällig. Schon seit Jahren liege ich den großen Lexikonverlagen, die das machen könnten, weil sie ein ordentliches Lektorat, Geld, Zeit und viele Autoren haben, in den Ohren. Nichts. Nur einmal kam Reclam mit einem Buch, das zum Glück jetzt schon verramscht wird: Es war grauenvoll und überhaupt nicht zu gebrauchen.

Nun hat sich ein Einzelkämpfer daran gesetzt: Alex Flückiger. Und man muss sagen, dass er recht ehrenvoll gescheitert ist. Denn natürlich kann ein einzelner das eigentlich gar nicht schreiben. Kann Flückiger japanisch und hat alle japanischen Krimis gelesen? Hat er auch alle holländischen gelesen, alle isländischen, alle chinesischen? Natürlich nicht. Kann er nicht. Sein Lexikon stellt denn auch nur Krimiautoren vor, die in deutscher Übersetzung vorliegen. Wobei ich den Eindruck habe, dass er bei den englischen und amerikanischen schon ein paar Originale gelesen hat. Beweisen kann ich das nicht. Vielleicht tut er ja auch nur so.

Etwa 1350 Autoren (ein Kritiker hat das mal gezählt) stellt Flückiger in Kurzform vor, mit kleinen Porträts, Besprechungen ihrer Werke und Bibliografien, in denen er glücklicherweise die Reihenfolge der Originalausgaben einhält. Interessanterweise ist das Lexikon nach Ländern gegliedert, und natürlich sind die amerikanischen und englischen Autoren in der Mehrheit (denn sie sind auch in den Übersetzungen in der Mehrheit). Trotzdem eine gute Idee. Ein völliger Missgriff und der Idee eines Lexikons völlig widersprechend ist allerdings, dass es kein Autorenregister (inklusive Pseudonyme) gibt: Da findet man manche Krimiautoren überhaupt nicht oder nur zufällig. Das kann man nicht machen, Herr Flückiger. Ich kenne Kritiker, die so ein Buch gar nicht erst anfangen zu lesen, wenn sie sehen, dass es kein Register hat. Eigentlich zu Recht.

Man merkt dann auch schnell, dass er manche Bereiche sehr vernachlässigt hat. Als japanische Krimiautoren, die er mit israelischen und anderen unter die Rubrik "Asien" sperrt, kennt er nur Natsuno Kirino, Seicho Matsumoto, Koji Suzuki und Masako Togawa. Edogawa Rampo, den "Erfinder" des japanischen Kriminalromans? Fehlanzeige. Shizuko Natsuki, Takao Tsuchiya, Naoya Shiga, Shotaro Nasuoka, Yasutaka Tsutsui, Tadao Sohno, Kyotaro Nishimura? Fehlanzeige. Bei vielen anderen Ländern sieht das wohl ähnlich aus, aber das können andere vielleicht besser beurteilen.

Und dann die Sprache und die Bewertungen. Dass der Untertitel des Buches lautet "Von Agatha Christie (...) bis Tom Clancy" (hier zählt er Namen auf, die seine Breite klar machen sollen), geht in Ordnung, sowieso, genau - aber der Nachklapp "die volle Dröhnung" lässt Schlimmes befürchten. Das dann leider auch kommt. Da nennt er im ersten Satz ein wohl neu entdecktes Stück von William Shakespeare, nämlich "Lady Macbeth". Anglisten aufgemerkt! Oder er hält "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" anscheinend heimlich doch für einen Kriminalroman, obwohl er ihn im Text als "viktorianische Schauergeschichte" charakterisiert. Zwei völlig unterschiedliche Genres. Das ist schon reichlich sonderbar.

Oder Edgar Allan Poe: Der litt, laut Flückiger, unter "Frauengeschichten, finanziellen Nöten, Alkohol- und Drogenexzessen" und starb " 40-jährig an den Folgen einer Alkoholvergiftung." Abgesehen davon, dass das eine reichlich platte biografische Beschreibung für einen der vielfältigsten, wichtigsten und modernsten amerikanischen Autoren ist: Poes Tod ist durchaus nicht geklärt. In anderen Beiträgen schreibt er von hingeschluderten "voluminösen Kriminalromanen (...), bei deren Lektüre einem nicht nur die Füße einschlafen" oder: "Wir haben nun einmal nicht die (...) Mittel, jede Psychoschwarte der letzten zweitausend Jahre auf ihren Inhalt zu überprüfen." Das ist denn doch eine Spur zu rotzig.

Abgedreht und manchmal sehr witzig ist "die volle Dröhnung", wenn er meint, dass Crichton seine Bücher "seinen Regisseurfreunden pfannenfertig" vorlegt, oder über Noll schreibt, sie habe "bereits siebenmal die gleiche Geschichte erzählt" und zu dem Urteil "schwache Plots, gespreizte Sprache - routiniert hingeschluderte Konfektionsware" kommt. Häufig ist es aber auch sehr störend, wenn Flückiger sich in weitschweifigen Sarkasmen ergeht, wie etwa bei Donna Leon: "Und so plätschern denn die klischeereichen, den norditalienischen Tourismus jedoch bravourös ankurbelnden Venediggeschichten munter dahin, es wird viel gekifft - pardon: gekocht und gegessen und um den heißen Brei herumgeredet, Spannung kommt höchst selten auf." Danach kommt noch ein langer, ziemlich unsinniger Absatz. Da schreibt er, dass in den Staaten von ihr "offenbar keine Sau je etwas gehört, geschweige denn gelesen hat". Ist das ein Kriterium? Nein. Und "keine Sau"? Das ist denn auch etwas arg flapsig. Er schreibt, er stelle sich im weiteren "eine Frage", stellt dann aber sieben, die nur noch polemisch sind und zu nichts führen, wirft ihr Zickigkeit vor und Hirnschwurbeligkeit und "gesammelten Venedig-Unsinn".

Überhaupt die Urteile. Oft sind sie genau auf den Punkt, manchmal haut Flückiger dabei allerdings auch völlig daneben. Vielleicht hätte er sie rauslassen und die Autoren und Bücher anders darstellen sollen. Ein paar Beispiele? "Poe selber hielt nicht besonders viel von seinen Kriminalnovellen - zu Recht, wie wir meinen." Das meinen wir nicht, wie wir auch nicht meinen, dass es "Kriminalnovellen" sind. (Kafka hielt übrigens auch nicht besonders viel von seinen vielen, noch nicht publizierten Manuskripten. Sagt uns das etwas? Nein.) "Malibu" von Leon de Winter ist "sein bestes Werk"? Na na, durchaus nicht, da sind sich die meisten Kritiker und Literaturwissenschaftler einig. Bernhard Schlink schreibt "Nazi-Vergangenheits-Gedönse"? Auwei, da hat er sich nun wirklich verhauen: Ist die oft schwierige literarische Verarbeitung der Vergangenheit "Gedönse"? Das ist zu undifferenziert. Sein Artikel über Dürrenmatt wimmelt darüber hinaus von Plattitüden: "Er war ein exzellenter Schriftsteller, er hatte, wie er selber sagte, Spaß an Krimis und er wusste genau, was er schreiben wollte." Und dann kritisiert er ihn noch spaßeshalber: "Ewig schade, dass er so viel Zeit mit Theater und Malerei vertändelt hat." James Ellroys Bücher qualifiziert er als die "geschmacklosen, frauenfeindlichen, offen rassistischen, absolut humorfreien, von eindimensionalen (gewalttätigen, zynischen und/oder korrupten) Gestalten bevölkerten Romane" eines "Großmauls" ab, die "nur den niedrigsten literarischen Ansprüchen genügen" können. Das ist dann leider abermals völlig daneben. Ein wenig mehr Differenziertheit bei aller Pointiertheit, weniger Flapsigkeit, etwas mehr Zurückhaltung, und man könnte viele Bewertungen durchaus akzeptieren.

Was bleibt, nach all dieser Kritik? Flückigers Buch ist ein lobenswerter Versuch. Viele Namen gibt es hier, viele Details (die man allerdings durchaus immer nachprüfen müsste, ehe man sie übernimmt - wie bei vielen Lexika), viele bibliografische Angaben. Vieles ist sehr brauchbar oder anregend. Manches, was er lobt, werde ich mir bestimmt einmal raussuchen und nachlesen, vieles von dem, was er erwähnt, habe ich noch nie gelesen. Bei vielen ahne ich, dass ich mir das auch nicht mehr antun muss. Und das ist dann doch schon mal was.

Ein richtiges Standardwerk ist es nicht und wird es nur bei grundlegender, mehrjähriger Überarbeitung und Erweiterung werden. Aber insgesamt ist sein Lexikon ein kleiner Schritt zu einem richtigen, großen, stilistisch sicheren, verlässlichen und wirklich umfassenden. Das dann hoffentlich in nicht allzu großer Ferne auch einmal kommen wird.


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Alex Flückiger: Lexikon der internationalen Krimiautoren.
Books on Demand, Norderstedt 2005.
613 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-10: 383343306X

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