44 Rezepte für attraktive Texte

Wolf Schneider verrät, wie man Texte verfasst, die dem Leser schmecken

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Autoren, die können aus Wörtern wahre Sprachkunstwerke kreieren, Texten diese ganz besondere Note verleihen, bei den Lesern ein Gefühl der Leichtigkeit und Beschwingtheit auslösen. Ganz so wie ein Meisterkoch, der für seine Gäste die Nahrungsaufnahme zu einem kulinarischen Hochgenuss erhebt und mit seinen Speisen das Verlangen auslöst, wieder und wieder davon kosten zu wollen. Doch solch begnadete Sprachköche sind selten geworden. Wirklich lesenswerte Texte haben sich zu wahren Sprachtrüffeln entwickelt, auf die wir nur hin und wieder und ganz unterwartet stoßen.

So einige Trüffel zitiert Wolf Schneider in seinem Handbuch für attraktive Texte. Schneider gilt als oberster Sprachkritiker in Deutschland, als Meister von Ausdruck und Stil, und lässt das die Medien regelmäßig und in energischer Weise spüren. Nicht nur lobenswerte Texte, sondern auch "Humbug", den "Inbegriff einer journalistischen Zumutung" und einiges "aus dem bürokratischen Horrorkabinett" führt Schneider in seinem Buch vor. Wahre Sprachtragödien, die sich Feuilletonredakteure und Professoren ebenso leisten wie die "Gummi kauende" und "chattende" junge Generation. Schneiders Urteile sind gnadenlos ehrlich. Schließlich - so seine Überzeugung - muss der Schreibende sich plagen, will er am Ende einen brauchbaren Text vor sich haben: "Keiner möge von seiner ersten Niederschrift begeistert sein", heißt es in Rezept Nummer 2, das er knapp mit "Rührei vermeiden" zusammenfasst.

Zu den entscheidenden Regeln gehört die der Leichtverständlichkeit. Schneider spricht aus seiner über 50-jährigen journalistischen Erfahrung: Er war Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", Verlagsleiter des "Stern", Chefredakteur der "Welt", Leiter der Henri-Nannen-Schule, Moderator der "NDR-Talkshow"; nach wie vor hält er Vorträge und Seminare und schreibt Kolumnen für die "Neue Züricher Zeitung": Der heute 80-Jährige wünscht sich noch ein paar gute Jahre und würde "am liebsten bei der Arbeit tot umfallen."

Bis dahin gilt seine große Sorge der deutschen Sprache: Schneider vermisst ihre Kraft und Herrlichkeit, den Respekt vor ihr, die Bewunderung für sie. Von innen werde sie verhunzt, schludrig gebraucht und von jungen Menschen häufig nicht einmal mehr richtig verstanden. Und von außen? Von außen sei sie dem Angriff der Anglizismen ausgesetzt, habe als Fremdsprache und im internationalen Gebrauch überdies nur noch einen untergeordneten Stellenwert. Gleichwohl lehnt Schneider Fremdwörter nicht radikal ab: "Kein Wort ist schlecht, weil es aus einer anderen Sprache kommt", so Rezept 29. Andersrum sei gleichsam "kein Wort schon deshalb gut, weil wir es frisch aus Amerika übernommen haben." Es gilt zu prüfen, ob die Übersetzung ins Deutsche nicht aussagekräftiger und verständlicher wäre. - Steht es um die deutsche Sprache wirklich so schlecht? Und wie wird man zu einem Schreiber, der seine Kunst mit vollendeter Meisterschaft beherrscht?

Rezepte für gutes Deutsch hat Wolf Schneider in zahlreichen seiner Bücher geliefert; warum nun noch ein weiteres hinzukommen musste, will nicht ganz einleuchten. Gleichwohl sind die meisten der 44 hier gelieferten Rezepte durchaus hilfreich, beispielweise die 18. Empfehlung, das Verb zu hofieren. Im gleichen Atemzug warnt Schneider jedoch vor den falschen Verben, solchen mit "modisch-bürokratischen Vorsilben" ("abklären, "auflisten"), vor modischen Imponiervokabeln die auf -ieren enden und Ausdrücken wie "zum Tragen kommen" oder "zur Anwendung gelangen" Warum diese Scheu vor dem schlichten Wort? "Wer etwas braucht, sollte es so sagen; zu 'benötigen' braucht er nichts." So sehr Schneider die Verben lobt, so wenig gute Eigenschaften spricht er den Adjektiven zu. Zumeist würden diese krampfhaft, gekünstelt und aufgeblasen wirken und seien dabei letztlich sinnfrei.

Von Anfang an stellt Schneider eines klar: Gute Texte lassen sich nicht in aller Eile zubereiten, da braucht es Geduld, da muss regelmäßig abgeschmeckt werden. Seinen Text muss der Schreibende auch mal gehen lassen, bevor er wieder von ihm probiert und plötzlich entdeckt, an welchen Gewürzen es ihm noch fehlt. "Der erste Entwurf ist immer Scheiße", streut Schneider passend ein Hemingway-Zitat ein.

Hunger muss der Leser nicht unbedingt haben, wenn der Autor ihn mit seinem Text zu locken sucht; aber Appetit sollte der Lesende schon bekommen, ausgelöst durch die Überschrift, deren Duft Lust bereitet, einmal davon zu probieren. Probieren vom ersten berühmten Satz, der sich nie wieder gut machen lässt, der entscheidet über "weiterlesen" und "bei Seite legen": Er muss dem Leser schmecken! "Den Leser abholen"; so lautet Rezept Nummer 1, das sich leicht mit Rezept 33 - "Mit einem Erdbeben anfangen" - verbinden lässt: Die klassische Einleitung will Schneider abschaffen - so lasse sich kein Leser halten - und rät etwa mit der Hauptsache anzufangen und im Laufe des Textes zu erzählen, wie es dazu kam. Auch eine verblüffende Nebensache eigne sich gut, sie an den Anfang zu stellen. Die erzeugte Spannung muss der Schreibende natürlich durchhalten - Rezept 34 - Langeweile und Schwerfälligkeit vermeiden. Eine gute Überprüfung des eigenen Textes fordert mindestens einen Gegenleser. Wenn er sich langweilt oder etwas erst beim zweiten Lesen versteht, muss der Autor es ohne Wenn und Aber umschreiben. Einzig den Dichtern erlaubt Schneider alles und erinnert an die Sprachkultur Thomas Bernhards oder an die kunstfertig verschachtelten Sätze von Thomas Mann.

Appetit lässt sich leicht verderben: mit allem, was den natürlichen Lesevorgang - und dieser sollte stets "vorwärts" gehen - stört: überflüssige Fremdwörter, überfrachtete Nebensätze, unnötige Gedanken, wortreiche Formulierungen oder Umstandswörter, die die ganze Sache überwürzen. "Würzwörter" sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Zumeist lassen sich auch mit gewöhnlichen Wörtern ungewöhnliche Dinge sagen und die Gefahr, der Leser könnte sich den Mund verbrennen, ist gebannt. Dabei gilt beim Schreiben stets, alle Sinne zu bedienen: mit den Sinnen schreiben und für die Sinne; - der Lesende muss einen Texte nachschmecken können. Laut Schneider sind es nur die Einsilber, "die unter die Haut gehen".

Weiterhin rät er, alles beim Namen zu nennen, nicht etwa von duftenden Backwaren, sondern konkret von duftendem Brot zu schreiben. Auch bildhafte Vergleiche sind gut, aber nur solange sie auch stimmig sind. In Bildern kann man sich leicht verirren und der Textfluss ist somit dahin. Doch wie halte ich meinen Text am Fließen? Zunächst ist hier Rezept Nummer 3 hilfreich: "Was im Satz zusammengehört und was der Leser folglich als zusammengehörig erkennen soll, das muss sich ihm binnen drei Sekunden erschlossen haben." So ist es etwa ratsam, zwei Hälften eines Verbs nicht ewig weit auseinanderzureißen oder das Subjekt nicht zu weit vom Prädikat zu trennen, wenn ein überschaubarer Satz entstehen soll.

Auch lehrt Schneider in Rezept 7, Hauptsätze auszureizen, schließlich könne ja ein Nebensatz niemals die Handlung tragen oder sie gar weiterführen: Das bedeutet nun nicht, gänzlich auf Nebensätze zu verzichten - schließlich können sie die Satzmelodie beleben -, sondern es zunächst mit einem Hauptsatz zu probieren. Vor allem Gymnasiasten, Bürokraten und Akademiker würden sich nämlich dem Nebensatz im Übermaß bedienen. Am sinnvollsten empfindet es Schneider, einen Nebensatz schlicht an den Hauptsatz anzuhängen. Manchmal sei es durchaus erlaubt, Nebensätze voranzustellen, denn Variationen im Satzbau seien ja durchaus wünschenswert. Bedenken äußert er bei eingeschobenen Neben- oder Zwischensätzen: "Der Einschub wird als Müllabladeplatz für Informationen missbraucht, die der Schreiber noch irgendwo unterbringen will".

Die große Bedeutung, die Schneider den Satzzeichen beimisst, ist bemerkenswert: Mit Umsicht, ja mit Liebe müsse man sich ihrer bedienen, dann könne man mit "Satzzeichen Musik machen" (Rezept 15). Dass "erstrebenswerteste Satzzeichen" ist für Schneider hier nicht etwa der Punkt, sondern der Doppelpunkt. Einen Punkt zu setzen, wo ein Doppelpunkt viel besser wäre, weil ein Doppelpunkt vermag, "den Leser durch den Text zu ziehen". Punkte können auch eine Pointe zerstören. Sie bergen das Risiko, vom Leser als Fluchtpunkt benutzt zu werden. Natürlich gibt es dann auch wieder die "guten Punkte", die dem Leser als "Atempausen" angeboten werden müssen. "Mehr als jedes andere bringt das Fragezeichen Musik und Spannung in den Satz". Er lobt den Gedankenstrich - zur optischen Gliederung eines langen Satzes, um einen Wechsel der Satzkonstruktion erkennbar zu machen oder eine starke Aussage dramatisch zu unterstreichen. Auch das sterbende Semikolon sei "hie und da" ein gut gesetztes Signal. Es endet nicht so abrupt wie ein Punkt, der Leser weiß, hier kommt noch was.

Die Rezepte sind logisch, nachvollziehbar, kaum überraschend, werden jedoch allzu aufdringlich serviert. Das Missliche an Schneiders Buch: Der Schreibende traut erst einmal keinem seiner Texte mehr über den Weg, ja, er bekommt es mit der Angst zu tun...

Erst einmal! Im Laufe des Ganzen nervt der erhobene Zeigefinger Schneiders dann an einigen Stellen so arg, dass man Lust verspürt, sich den Regeln zu widersetzen, gegen sie zu schreiben. Schade nur, dass man sich damit in den meisten Fällen selbst schaden würde.


Titelbild

Wolf Schneider: Deutsch! Das Handbuch für perfekte Texte.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
316 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498063812

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