Königspriester und eine offene Gesellschaft

Ein neuer Text-Bild-Band stellt die Maya eindrucksvoll vor

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was für ein Land! Riesige Steinpyramiden, so fern von Ägypten. Gigantische Tempelanlagen in Stufenform, Paläste mit Terrassen, enorme Ballspielplätze. Kein Mensch hatte sie bisher gesehen, kein Europäer jedenfalls. Als 1519 der Spanier Hernán Cortés mit seiner Flotte die Halbinsel Yucatán erreichte, erforschte er zuerst die Küsten. Aber dann entdeckte er Städte, die mit nichts zu vergleichen waren, was die Konquistadoren bis dahin gesehen hatten.

Bevor Kolumbus kam, bildeten die Maya jahrtausendelang eine Hochkultur, die das Land beherrschte. Ab ungefähr 2000 v. u. Z. entwickelte sie sich, hatte zwischen 300 und 900 n. u. Z. ihren Höhepunkt und ihre große Blüte und erlosch um 1550. Schnell vergaß man die Stätten und die Geschichte: die neuen christlichen Herren, weil sie wollten, und die Altamerikaner, weil sie mussten. Die Städte versanken im Dschungel. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten Archäologen nach und nach, die versunkene Zivilisation zu rekonstruieren. Bis heute brach die Faszination nicht ab, sondern wuchs mit jeder neuen Erkenntnis. Vieles liegt jedoch auch heute immer noch im Dunkeln.

Der französische Archäologe Éric Taladoire gibt in einem neuen, opulent und eindrucksvoll bebilderten Buch einen Überblick über die gesamte Welt der Maya, über ihre hieroglyphenartigen Inschriften, über die Struktur ihrer hierarchisch aufgebauten Gesellschaft. Er erzählt von der Religion, den Riten mit Menschenopfern, dem komplexen und komplizierten Götterpantheon, der Mythologie, den Königspriestern. Man erfährt aber auch viele Details über Architektur und das ausgefeilte Kunsthandwerk, das die Maya mit Luxusgütern versorgte und noch heute zu faszinieren vermag.

Ein spannendes Kapitel ist die Methode der Maya, die Zeit zu messen. Zwar hatten sie wie wir das Jahr in ungefähr 52 Wochen eingeteilt, sie hatten in ihrem "haab"-Kalender ein Gemeinjahr von 18 Monaten zu je 20 Tagen und fünf namenlosen Tage am Schluss, die "Schläfer des Jahres". Er beruht auf dem Ritualkalender "tzolk'in" von 260 Tagen mit zwanzig Tagesnamen, die mit den Zahlen 1 bis 13 verknüpft sind, also: 1 imix, 2 ik', 3 ak'bal usw. Verknüpft reichten beide für viele Daten aus, denn zusammengenommen hat man ein Zyklus von ca. 52 Jahren, genau 18.980 Tagen, bis ein bestimmtes Datum wieder erscheint.

Aber die Maya brauchten noch eine Methode, ferne Daten aufzuschreiben, lange Perioden zu messen und lange Intervalle aufzuschreiben: die "Lange Zählung". Ein Datum, das man auf einer Stele fand, lautete 4 k'atun, 0 tun, 0 winal, o k'in, es war ein Ereignis im Jahr 909 nach unserer Zeit. Es gab noch größere Perioden: Ein alautun umfasst 8000 pik'tun, ein pik'tun sind 20 bak'tun, und das sind 7885 Jahre. Ganz nebenbei: Die Maya kannten, wie die Araber, auch die Ziffer Null. Und so konnten sie auch genau angeben, wann die Welt entstand: am 8. September 3114 v.u.Z: 4 ajaw, 8 kum'ku dieses Jahres. Ihr Tag Null. So, nun wissen wir's.

Taladoire hat die Gabe, all diese zum Teil doch recht komplizierten Zusammenhänge sehr wissenschaftlich und gleichzeitig sehr einfach darzustellen. Mit großer Sachkenntnis begegnet er allen gängigen Vorurteilen, stellt die Zusammenhänge dar und bietet viele Details, die man fast nebenbei in sich aufnimmt. Es sind viele verwirrende Sachen darunter. Auch die Architektur, die "Modellierung der Landschaft", wie Taladoire das in einem Kapitel nennt. Oder die Betrachtung der Bauwerke, der Stelen, der Skulpturen, die man nach ihm nur erfassen kann, wenn man sie miteinander in Beziehung setzt, wenn man sie von einer gewissen Entfernung aus betrachtet, "indem man zurücktritt". Wie die Tempel wollen auch die ikonografischen Fassaden "von ferne betrachtet werden". Oder die vielschichtige soziale Hierarchie, die auf gesellschaftlichem Status gründet, die Platz hatte für Spezialisten und für Aufsteiger, ebenso wie die Maya-Gesellschaft offen war für Ausländer.

Ein besonders einnehmender Punkt in diesem spannenden Buch sind die Abbildungen. Gleichberechtigt neben den Kommentaren von Taladoire stehen die vielen opulenten, graziösen und präzisen Fotos von Jean-Pierre Courau. Sie haben nicht nur illustrierenden Charakter, sondern sie machen oft auf einen Schlag augenscheinlich, was der Text umschreibt, beschreibt und diskutiert. Kleinteilige Nahaufnahmen wechseln mit großformatigen, oft zweiseitigen Panoramen, Masken springen einen beim Umblättern unvermittelt an, verwitterte Gesichter blicken melancholisch, Schmuckstücke glänzen in brillantem Hinterlicht.

Entstanden ist so ein prächtiger Bild-Text-Band über eine immer noch recht unbekannte Zivilisation, die die Konquistadoren gründlich genug zerstört haben und die jetzt neu ausgegraben werden muss.


Titelbild

Éric Taladoire: Die Maya.
Übersetzt aus dem Französischen von Jochen Grube.
Primus Verlag, Darmstadt 2005.
248 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3896782789

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